Der Imperialismus –
Grundzüge des monopolistischen
Kapitalismus

2.1
Konzentration der Produktion und Monopol

Der Imperialismus, stellt Lenin fest, ist ein besonderes Entwicklungsstadium des Kapitalismus, dessen ökonomisches Wesen durch den Übergang der freien Konkurrenz in das Monopol charakterisiert ist. Das Monopol ist ein entwickeltes kapitalistisches Produktions- und Ausbeutungsverhältnis, das aus der durch das Mehrwertgesetz vorangetriebenen Konzentration der Produktion und des Kapitals hervorging und sich durch Beherrschung der Produktion und des Marktes unter Anwendung ökonomischer und außerökonomischer Gewalt im Monopolprofit realisiert. Es ist ein Herrschaftsverhältnis, das alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens des Kapitalismus durchdringt.

Als monopolistisches Stadium ist der Imperialismus durch fünf grundlegende Merkmale gekennzeichnet:

  1. Konzentration der Produktion und des Kapitals in einem Ausmaß, daß sie zur Bildung von Monopolen führt, die im Wirtschaftsleben die entscheidende Rolle spielen;
  2. Verschmelzung des Industrie- und Bankkapitals zum Finanzkapital und Herausbildung einer Finanzoligarchie;
  3. der Kapitalexport gewinnt gegenüber dem Warenexport an besonderer Bedeutung;
  4. internationale Monopole teilen die Welt ökonomisch unter sich auf;
  5. die territoriale Aufteilung der Welt unter die kapitalistischen Großmächte ist beendet.

„Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist.“11

Die Konzentration der Produktion und des Kapitals ist das Ergebnis einer tiefgehenden Umwälzung und Entwicklung der Produktivkräfte, die eine Veränderung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und mit ihr der Gesamtheit der Produktionsverhältnisse auf die Tagesordnung stellte.

Die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte äußerte sich in der kolossalen Ausdehnung der Eisen- und Stahlindustrie, die durch neue Schmelzverfahren und das rasche Wachstum des Eisenbahn- und des Schiffbaus vorangetrieben wurde. Sie zeigte sich weiter in der Erfindung und Anwendung der Dampfturbine, des Verbrennungsmotors, des Dynamos und des Elektromotors, der Übertragung von Elektroenergie über weite Entfernungen sowie in anderen Entdeckungen und Erfindungen, die in großem Maßstab industriell ausgenutzt werden konnten. Sie zeigte sich im besonderen Maße in der Entwicklung der chemischen Industrie.

Diese gewaltigen gesellschaftlichen Produktivkräfte erforderten eine Erhöhung des zur Gründung und Inganghaltung eines Industriebetriebes notwendigen Kapitalminimums für die Akkumulation, für die der aus den Arbeitern der betreffenden Betriebe herausgepreßte Mehrwert nicht ausreichte. Die Ausdehnung der Kreditaufnahme wurde zur Bedingung der weiteren Entwicklung, die durch den sich verschärfenden Konkurrenzkampf erzwungen wurde. Damit erhielten die Banken für den Konzentrationsprozeß eine entscheidende Bedeutung. Die Verbindung des Industrie- und Bankkapitals wurde dadurch notwendigerweise immer enger, so daß, wie noch näher erläutert wird, mit dem Umschlagen der freien Konkurrenz in das Monopol in der Industrie und im Bankwesen zugleich die Verschmelzung von Industrie- und Bankkapital zum Finanzkapital erfolgte.

Die Entfaltung der gesellschaftlichen Produktivkräfte führte auch zu einem raschen Anwachsen des konstanten, insbesondere des fixen Kapitals und damit der organischen Zusammensetzung des Kapitals. Das aber hatte den Fall der Profitrate zur Folge. Für das Kapital drückt sich der Fortschritt der Produktivkräfte und der Arbeitsproduktivität in einer Verschlechterung seiner Verwertungsbedingungen aus. „Es ist dies“, wie Marx hervorhebt, „in jeder Beziehung das wichtigste Gesetz der modernen politischen Ökonomie und das wesentlichste, um die schwierigsten Verhältnisse zu verstehen. Es ist vom historischen Standpunkt aus das wichtigste Gesetz.“12

Marx zeigt im „Kapital“, daß das Kapital selbst dem Fall der Profitrate entgegenwirkende Faktoren hervorbringt, die bewirken, daß das Gesetz des Falls der Profitrate nur als Tendenz wirkt. Zu diesen Faktoren gehören der Kredit und die Aktiengesellschaften.13

Durch den Kredit wird fremdes Kapital dem eigenen Kapital zur Verwertung hinzugefügt, für das aber nicht der gesamte damit erzeugte Mehrwert, sondern nur ein Teil in Form von Zinsen gezahlt wird. Der übrige Teil, der Unternehmergewinn, wird dem Profit, der mit dem Eigenkapital gewonnen wird, zugeschlagen. Dadurch aber wird die Profitrate des Eigenkapitals erhöht. Das ist in noch größerem Ausmaß bei den Aktiengesellschaften der Fall, bei denen die Aktionäre nur einen Bruchteil des Profits als Dividende erhalten, die Großaktionäre aber mit einem Minimum von Eigenkapital über das Gesamtkapital und damit über den Gesamtprofit verfügen.

Aber auch diese Faktoren reichen nicht aus, um den sich mit der gewaltigen Entwicklung der Produktivkräfte und der damit wachsenden organischen Zusammensetzung des Kapitals verstärkenden Anforderungen der Akkumulation des Kapitals gerecht zu werden und dem Fall der Profitrate entgegenzuwirken. Daher wird der Übergang der freien Konkurrenz zum Monopol zur Gewinnung und Sicherung von Monopolprofit für die Existenz und die weitere Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise zur objektiven Notwendigkeit.

Die Verwertung und Akkumulation des Monopolkapitals erfordert den Monopolprofit. Seine Verwandlung in Kapital, also die Akkumulation des Monopolkapitals, muß aber unter Bedingungen erfolgen, die einen Monopolprofit gewährleisten. Das Mehrwertgesetz setzt sich daher in Form des Gesetzes vom Monopolprofit durch. Der Monopolprofit, der nicht im Lande zu Monopolprofit akkumuliert werden kann, drängt zum Kapitalexport und bildet die Grundlage für den Kampf um die Beherrschung der Rohstoffquellen, für die ökonomische Aufteilung der Welt unter die internationalen Monopole und die territoriale Aufteilung der Welt unter die imperialistischen Großmächte.

Das Monopol als das ökonomische Wesen des Imperialismus ist die Einheit seiner fünf Hauptmerkmale. Es ist das entwickelte Kapital- und Ausbeutungsverhältnis, das durch den Drang zur Expansion und Herrschaft charakterisiert ist. „Das Herrschaftsverhältnis und damit verbundene Gewalt – das ist das Typische für die ,jüngste Entwicklung des Kapitalismus‘, das ist es, was aus der Bildung allmächtiger wirtschaftlicher Monopole unvermeidlich hervorgehen mußte und hervorgegangen ist.“14

Der Übergang des Kapitalismus in sein monopolistisches Stadium wurde Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts in Westeuropa und Nordamerika vollzogen. In diesem Zeitraum erfolgte das Umschlagen der freien Konkurrenz in das Industrie- und Bankmonopol und die Verschmelzung des Industrie- und Bankkapitals zum Finanzkapital, gewann der Kapitalexport eine vorrangige Stellung, begann die ökonomische Aufteilung der Welt, wurde die territoriale Aufteilung der Welt abgeschlossen, und es begann der Kampf um die Neuaufteilung der Welt.

In diesem Entwicklungsprozeß ging auch die Veränderung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse vor sich. Das kapitalistische Eigentum an den Produktionsmitteln verwandelte sich in das monopolkapitalistische Eigentum. Diese Veränderung vollzog sich vor allem auf der Basis der Verwandlung des Privatkapitals in Gesellschaftskapital, der Privatunternehmen in Gesellschaftsunternehmen, insbesondere in Aktiengesellschaften.

In den USA und vereinzelt auch in den europäischen Ländern entwickelte sich das monopolkapitalistische Eigentum aus privaten Einzelunternehmen, die bestimmte Rohstoffquellen (zum Beispiel Erdöl) oder Erfindungen (zum Beispiel Panzerstahl) beherrschten.

Die Entwicklung der privaten Einzelunternehmen zu Monopolen wie auch die Verwandlung der Personalunternehmen in Gesellschaftsunternehmen beschleunigten die Konzentration der Produktion und des Kapitals sowie das Umschlagen der freien Konkurrenz in das Monopol. Das monopolkapitalistische Eigentum führte zur Beherrschung der Unternehmen durch einzelne oder durch Gruppen von Großkapitalisten, die über die Produktionsmittel des gesamten Unternehmens und der durch Kapitalverflechtung gebildeten Komplexe von Unternehmen verfügen.

Der Grundwiderspruch des Kapitalismus, der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der kapitalistischen Form der Aneignung, erfährt dadurch eine enorme Zuspitzung. Das Monopolkapital beherrscht nicht nur den kolossal entwickelten gesellschaftlichen Produktionsprozeß, sondern auch das auf kapitalistische Weise vergesellschaftete Kapital und eignet sich den Monopolprofit an, indem es von der ganzen Gesellschaft einen Tribut erhebt.
In seinem monopolistischen Stadium treibt der Kapitalismus die Vergesellschaftung der Produktion in einem Ausmaß voran, daß die Kapitalisten, ohne es zu wissen und zu wollen, die objektiven materiellen Vorbedingungen für den Übergang zum Sozialismus schaffen – allerdings nur die Vorbedingungen.

„Die Produktion wird vergesellschaffet, die Aneignung jedoch bleibt privat. Die gesellschaftlichen Produktionsmittel bleiben Privateigentum einer kleinen Anzahl von Personen. Der allgemeine Rahmen der formal anerkannten Konkurrenz bleibt bestehen, und der Druck der wenigen Monopolinhaber auf die übrige Bevölkerung wird hundertfach schwerer, fühlbarer, unerträglicher.“15 Dieser Druck, die Herrschaft des Monopolkapitals, kann nur beseitigt werden durch den von der Einsicht in die gesellschaftlichen, das heißt in die Klassenzusammenhänge getragenen organisierten Kampf der Arbeiterklasse und der mit ihr verbündeten Schichten, deren Existenz vom Monopolkapital untergraben wird.

Das Monopolkapital beherrscht alle Bereiche des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Die Grundlage seiner Macht ist die materielle Produktion. Wir beginnen daher die Analyse des Imperialismus als monopolistisches Stadium des Kapitalismus mit der Analyse der Konzentration der Produktion und der Herausbildung des Produktionsmonopols in der Industrie als der wichtigsten Seite des kapitalistischen Monopols. Die Ausbeutung der Industriearbeiter durch die Kapitalisten, die Mehrarbeit der Arbeiter, ist die Hauptquelle des Mehrwerts. Sie ist auch die Hauptquelle des Monopolprofits.

Methodisch wird dabei so vorgegangen, daß das Industriemonopol zunächst unabhängig von den anderen Formen des Monopols und des Monopolprofits behandelt wird. Es wird also zunächst davon abgesehen, daß das Industriemonopol nicht selbständig existiert, im Wechselverhältnis mit der Herausbildung des Bankmonopols entstand und mit diesem zum Finanzkapital verschmolz. Es wird also zunächst von diesen und den anderen Prozessen der Herausbildung des monopolistischen Kapitalismus abstrahiert, um die Entstehung und Entwicklung des Produktionsmonopols in der Industrie und des industriellen Monopolprofits aufzudecken. Die anderen Prozesse der Herausbildung und Entwicklung des kapitalistischen Monopols und des Monopolprofits werden im Anschluß an den Abschnitt über das Industriemonopol und in den beiden anderen Heften über den Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus behandelt.16