Der Imperialismus –
Grundzüge des monopolistischen
Kapitalismus

3.1
Die Konzentration des Bankkapitals

Die Entwicklung der freien Konkurrenz zum Monopol in der Industrie ist aufs engste mit der Entwicklung der freien Konkurrenz zum Monopol im Bankwesen verbunden. Beide Entwicklungsprozesse bedingen einander. Das von den Banken betriebene Kreditgeschäft sowie der Handel mit Wertpapieren und die Gründung von Aktiengesellschaften wirkten in bedeutendem Maße als Hebel des Monopolisierungsprozesses in der Industrie, im Handel und im Bankwesen selbst.

Die Konzentration von vorübergehend freigesetztem oder brachliegendem Geldkapital ist die wichtigste Grundlage der Konzentration des Bankkapitals, des Konkurrenzkampfes der Banken untereinander und des Umschlagens der freien Konkurrenz in das Monopol im Bankwesen.

Schon Marx konstatiert im „Kapital“ die Tatsache, daß sich mit der kapitalis-tischen Industrie auch das kapitalistische Kreditwesen entwickelt. Die Industrie selbst lieferte mit der Ausdehnung ihrer Waren- und Geldzirkulation dem Geldhandlungskapital die Mittel für dessen Entwicklung zum Bankkapital. Die Einlagen für die Aufbewahrung vorübergehend freier Geldmittel – Akkumulations-, Amortisations- und Reservefonds – und die Zahlungsvermittlung – für die Rechnungszahlung und -kassierung, die Einziehung von Wechseln, die Überweisung von Steuerzahlungen usw. – bildeten gewöhnlich neben dem Eigenkapital der Banken die Grundlagen für das Kreditgeschäft. Die Banken verfügten über die Einlagen ihrer Kunden wie über ihr eigenes Kapital und konnten dadurch die Industrie und den Handel in großem Ausmaß mit Geldkapital versorgen.48

Die ökonomische Macht einer Bank hängt von der Höhe der Depositen, der Einlagen, ab, die sich in ihren Händen, das heißt auf den Konten ihrer Kunden, befinden. Daher entwickelte sich ein Konkurrenzkampf um die Einlagen. Dieser Konkurrenzkampf wurde in zwei Formen geführt.

Erstens in der Form, daß um die Einlagen der Bankkunden geworben wurde. Hierbei wird der Zins als Mittel der Konkurrenz eingesetzt. In der Frühzeit des kapitalistischen Bankwesens mußten die Bankkunden für die Geldaufbewahrung Gebühren bezahlen. Das gilt auch heute noch für die Verwahrung von Wertsachen in Tresoren, über die die Bank nicht verfügen kann. Dann wurde es üblich, Zinsen für die Einlagen zu zahlen, um die Kunden anzulocken. Die Höhe dieser Zinsen hing von der Höhe der Zinsen ab, die die Banken für die Vergabe von Krediten erhielten. Die ersteren haben die Fachbezeichnung „Habenzinsen“, die letzteren heißen „Sollzinsen“. Im Konkurrenzkampf gewannen die Banken die meisten Einlagen, die die höchsten „Habenzinsen“ für die Einlagen bezahlten.

Zweitens in Form der Konzentration der Depositen durch eine Konzentration beziehungsweise Zentralisation der Banken. Bei der Konzentration der Depo-siten, der Einlagen, ging es nicht nur um die Anzahl der Einlagen, sondern auch und vor allem um die Gewinnung der ökonomisch größten Bankkunden. Diese großen Bankkunden entstanden und entwickelten sich mit der Konzentration und Zentralisation des Kapitals in der Industrie. Diejenigen Banken entwickelten sich demzufolge rasch zu Großbanken, das heißt zu Banken mit den höchsten Einlagen, die die größten Industrie- und Handelsunternehmen zu ihren Kunden zählten. Sie waren durch die Konzentration der Einlagen auch besser in der Lage, größere Kredite zu vergeben und dadurch ebenfalls weitere bedeutende Kunden und damit Einlagen zu gewinnen.

Lenin stellte fest, daß im Jahre 1907/1908 9 Berliner Großbanken 47 Prozent und im Jahre 1912/1913 49 Prozent der Einlagen bei sich konzentrierten. „Die Kleinbanken sind von den Großbanken verdrängt, von denen allein neun fast die Hälfte aller Einlagen bei sich konzentrieren. Dabei ist aber noch sehr vieles außer acht gelassen, z.B. die Verwandlung einer ganzen Reihe von Kleinbanken in faktische Zweigstellen der Großbanken usw.“49 Diese Konzentration hat heute ein riesiges Ausmaß angenommen.

Was die absolute Höhe der Einlagen betrifft, bezifferte Lenin sie nach bürgerlichen Angaben für das Jahr 1907/1908 für alle Aktienbanken mit mehr als je 1 Million Mark Kapital auf 7 Milliarden Mark und für das Jahr 1912/1913 auf 9,8 Milliarden Mark.50

Die Banken verfügen nicht nur über die durch die Verrechnung, das heißt den bargeldlosen Zahlungsverkehr, frei werdenden Einlagen ihrer Kunden, sondern auch über aufgekaufte, diskontierte Wechsel, die zur „Refinanzierung“ bei der staatlichen Notenbank benutzt werden. Sie verkaufen, rediskontieren dann die Wechsel an die Staatsbank, und diese emittiert dafür Banknoten oder Bargeld. Sie erhöht damit den Geldumlauf, und die Privatbanken verfügen über dieses neugeschaffene, durch „Geldschöpfung“ vermehrte Geld, um entweder ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, um, wie es in der Fachsprache heißt, „liquid“, flüssig, zu sein, oder um aufgrund der zur Verfügung stehenden Banknoten Kredite zu vergeben.

Eine wesentliche Rolle spielte in dem Konzentrationsprozeß der Banken, daß sich – wie in der Industrie – das private Einzelkapital in Gesellschaftskapital in Form von Aktiengesellschaften verwandelte. Die Banken wurden in Aktiengesellschaften, Aktienbanken, umgewandelt. Das war auch deshalb notwendig, weil das zur Führung der Bankgeschäfte notwendige Kapitalminimum anwuchs. In der Industrie war ein höheres Kapitalminimum das Ergebnis des Wachstums der Produktivkräfte. Im Bankwesen erforderten die wachsenden Einlagen und der erweiterte Umfang der Kreditgeschäfte ein größeres Eigenkapital der Banken.

Die Erhöhung des Aktienkapitals wurde ebenfalls zu einem Mittel des Konkurrenzkampfes besonders der Großbanken gegeneinander, wie Lenin am Beispiel der Deutschen Bank und der Berliner Disconto-Gesellschaft in ihrem Ringen um die Vormachtstellung, die Hegemonie, nachwies. Im Jahre 1870 betrug das Gründungskapital der Deutschen Bank 15 Millionen Mark. Es wurde im Jahre 1908 auf 200 Millionen und im Jahre 1914 auf 250 Millionen Mark erhöht. Die Disconto-Gesellschaft begann mit 30 Millionen Mark, erhöhte im Jahre 1908 auf 170 Millionen Mark und brachte es im Jahre 1914 durch eine Fusion mit einer anderen Großbank, dem Schaffhausenschen Bankverein, auf 300 Millionen Mark.51 Die Disconto-Gesellschaft ist in den dreißiger Jahren in die Deutsche Bank „aufgegangen“, das heißt, beide haben nach heftigen Konkurrenzkämpfen fusioniert.

Das Eigenkapital der Banken umfaßt allerdings nicht nur das Aktienkapital als Grundkapital, sondern auch die offenen Rücklagen. Diese sind wesentlich höher als das Grundkapital und verkörpern einen bedeutenden Teil des von den Banken akkumulierten Profits.

Durch staatliche Bankgesetze ist festgelegt, daß zwischen der Summe des Eigenkapitals und den Reserven und der Summe der Kredite, die aufgrund der Einlagen vergeben werden, ein bestimmtes Verhältnis bestehen muß. Das Eigenkapital und die Reserven machen aber immer nur einen Bruchteil der Einlagen aus, die den Banken für ihre Kreditgeschäfte zur Verfügung stehen.

So demonstriert auch die Entwicklung des Eigenkapitals der Großbanken den gewaltigen Konzentrationsprozeß des Bankkapitals.

Die Konzentration und Zentralisation der Banken im Verlauf des Konkurrenzkampfes durch Vernichtung und Aufsaugung beziehungsweise Angliederung der Kleinbanken durch die Großbanken, ihre Verwandlung in Filialen und Nebenstellen oder die Gründung von Filialen und Niederlassungen in größeren Städten und Bezirken des Landes und über die Grenzen des Landes hinaus ermöglichte es den Großbanken, nahezu alles freie Geld zu erfassen. Durch dieses System von Filialen und Niederlassungen, der „Beteiligung“ mittels Aufkaufs der Aktienmehrheit oder eines beträchtlichen Teils der Aktien anderer Banken streckten die Großbanken wie ein Polyp ihre Arme über das eigene Land und fremde Länder. Sie saugten das fremde Geld und Geldkapital an sich und verwandelten es in ein Machtinstrument zur Beherrschung der gesamten Wirtschaft.

„In dem Maße, wie sich das Bankwesen und seine Konzentration in wenigen Institutionen entwickeln, wachsen die Banken aus bescheidenen Vermittlern zu allmächtigen Monopolinhabern an, die fast über das gesamte Geldkapital aller Kapitalisten und Kleinunternehmer sowie über den größten Teil der Produktionsmittel und Rohstoffquellen des betreffenden Landes oder einer ganzen Reihe von Ländern verfügen. Diese Verwandlung zahlreicher bescheidener Vermittler in ein Häuflein Monopolisten bildet einen der Grundprozesse des Hinüberwachsens des Kapitalismus in den kapitalistischen Imperialismus …“52

Die Konzentration der Funktion der Geldaufbewahrung, der Deponierung, in die Hände weniger Großbanken führte zum Bankmonopol. Auf die Tatsache, daß diese auch den größten Teil der Produktionsmittel und der Rohstoffquellen beherrschen, wird noch näher eingegangen. In diesen Konzentrations- und Monopolisierungsprozeß werden selbst die Geldeinkommen der Arbeiter und anderer „kleinerer Leute“ einbezogen. Schon Lenin stellte fest, daß nicht nur bei den Banken die freien Geldmittel angesammelt werden, sondern auch bei Sparkassen, Kreditgenossenschaften, Postanstalten und im Giroverkehr. Auch diese Geldmittel gelangen in großem Umfang zu den Großbanken. Es handelte sich schon damals um bedeutende Beträge.

Die Funktion der Banken als Geldaufbewahrer und Zahlungsvermittler führte auf der Grundlage der Konzentration der Einlagen und des Bankkapitals zur Herausbildung der Großbanken und damit auch im Bankwesen an das Monopol heran.

Der Umschlag der freien Konkurrenz in das Monopol vollzog sich im Bankwesen entsprechend der spezifischen Tätigkeit der Banken. Sie haben es mit dem Kapital in seiner allgemeinen und beweglichsten Form, der Geldform, zu tun. Der Konzentrationsprozeß erfolgt daher im Bankwesen unmittelbar als Konzentration des Geldkapitals, in Form der Konzentration der Einlagen, der Zahlungsvermittlung, des Kreditgeschäfts und des Wertpapiergeschäfts, des Handels mit fiktivem Kapital.

Die Konzentration des Bankkapitals wurde durch die Aufsaugung oder Angliederung kleinerer Banken an die großen verstärkt. „Die großen Unternehmungen, besonders die Banken, verschlingen nicht nur unmittelbar die kleinen, sondern ,gliedern‘ sie sich an, unterwerfen sie, schließen sie in ,ihre‘ Gruppe, ihren ,Konzern‘ – wie der technische Ausdruck lautet – ein durch ‚Beteiligung‘ an ihrem Kapital, durch Aufkauf oder Austausch von Aktien, durch ein System von Schuldverhältnissen usw. usf.“53

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten sich, wie Lenin feststellt, in Deutschland vier große Bankgruppen herausgebildet, die vier D-Banken Deutsche Bank AG, Dresdner Bank AG, Disconto-Gesellschaft AG sowie die Darmstädter und Nationalbank AG. Diese Banken standen – im Zusammenhang mit dem rasch voranschreitenden Monopolisierungsprozeß in der Industrie – in heftigem Konkurrenzkampf um die Vormachtstellung. Dabei ging es sowohl um die Vorherrschaft in den „reinen“ Bankgeschäften, also in der Zahlungsvermittlung und der Kreditvergabe, als auch um den vorherrschenden Einfluß auf die Großindustrie beziehungsweise um die Verbindungen zu ihr. Die Expansion der Industrie, ihr Vordringen auf die Weltmärkte und vor allem zu den Rohstoffquellen und Kapitalanlagegebieten brachte solche riesigen Objekte hervor, die nicht von einer Großbank allein finanziert werden konnten. Daher kam es auch zu Vereinbarungen zwischen den konkurrierenden Großbanken. „Selbstverständlich“, schreibt Lenin, „geht dieser Kampf um die Hegemonie Hand in Hand mit immer häufigeren und festeren ‚Vereinbarungen‘ zwischen den beiden Banken“ (der Deutschen Bank und der Disconto-Gesellschaft).54

Die Konzentration des Bankkapitals und das Hinüberwachsen der freien Konkurrenz in das Monopol vollzog sich ähnlich wie in der Industrie durch Vernichtung und Unterordnung der kleinen unter die Herrschaft der großen Kapitale. Das erfolgte außerdem durch den Aufkauf von Aktienmehrheiten, durch „Verschachtelung“ des Aktienbesitzes oder durch die Gründung von Tochter- und Enkelgesellschaften. Das Ergebnis war eine Monopolbank.

Von den damaligen vier D-Banken sind heute nur noch zwei übriggeblieben, die Bankkonzerne Deutsche Bank AG und die Dresdner Bank AG. Beiden sind außer der Stammbank mit ihren Filialen eine größere Anzahl von formell selbständigen Banken angeschlossen, beziehungsweise beide haben Tochtergesellschaften gegründet. Lenin weist nach, daß die Deutsche Bank an 87 Banken beteiligt war.

Ausschlaggebend für die Beherrschung der „deutschen Kreditlandschaft“, das heißt für die Monopolstellung der Großbanken, ist nicht nur die Größe der Bilanzsumme, sondern die Qualität ihrer „Aktiva“, das heißt ihre Kreditanlage vor allem in Form von „Beteiligungen“ an wichtigen Industrie- und anderen Monopolen. Die Bankbilanzen sagen, wie Lenin hervorhebt, nichts darüber aus, wie die Großbanken auch an ihren Konkurrenten beteiligt und untereinander verbunden sind. „Es ist klar, daß eine Bank, die an der Spitze einer solchen Gruppe steht und mit einem halben Dutzend anderer ihr wenig nachstehender Banken zum Zwecke besonders großer und vorteilhafter Finanzoperationen, wie z.B. Staatsanleihen, eine Verbindung eingeht, bereits über die bloße ‚Vermittler‘rolle hinausgewachsen ist und sich in eine Vereinigung eines Häleins von Monopolisten verwandelt hat.“55