Kapital und Mehrwert

3.3.3.3
Die Entwicklungsetappen der maschinellen Großindustrie
und der vollen Entfaltung der antagonistischen
Klassenverhältnisse des Kapitalismus

In diesem Stadium der Produktion des relativen Mehrwerts entwickelten sich neue Bewegungsformen des Widerspruchs zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen. Eine neue Stufe der gesellschaftlichen Arbeitsproduktivität und damit der Ausdehnung der Mehrarbeit beziehungsweise der Produktion des Mehrwerts und der Ausbeutung wurde erreicht. Erst jetzt kam es, wie Marx ausführt, zur vollen Unterordnung der Arbeiter unter das Kapital, bildete sich also der antagonistische Gegensatz zwischen Arbeits- und Verwertungsprozeß voll heraus, erreichte die Produktion des relativen Mehrwerts eine qualitativ neue Stufe. Die Manufakturperiode schloß in sich den Widerspruch zwischen der gesellschaftlichen Produktion und dem handwerklichen Charakter der Produktionsinstrumente ein. Dem Ziel der kapitalistischen Produktion - Erlangung von relativem Mehrwert, von Extramehrwert - waren infolge der engen technischen Basis der Manufaktur Grenzen gesetzt. Diese engen Grenzen wurden durchbrochen. Die materiell-technische Grundlage dieser Umwälzung wurde die Maschine. Im Stadium der großen Industrie wurde bis Ende des 19. Jahrhunderts eine Übereinstimmung, eine widerspruchsvolle Einheit von materiell-technischer Basis und kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnissen erreicht.

Im gesamten Verlauf der Entwicklung der maschinellen Produktion des Kapitalismus beziehungsweise der kapitalistischen Industrialisierung kam es bisher zu drei tieferen Einschnitten. Sie bedeuteten jeweils eine qualitativ neue Stufe der Vergesellschaftung der Produktion und der kapitalistischen Aneignung, eine neue Stufe der Produktion des relativen Mehrwerts und der Entfaltung des kapitalistischen Grundwiderspruchs.

Der erste Einschnitt umfaßte revolutionäre sozialökonomische und revolutionäre technisch-ökonomische Umwälzungen, die in ihrem Zusammenwirken in der bürgerlichen Revolution historisch die Phase der vollen Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise und des Sieges über den Feudalismus sind. Dieser erste Einschnitt in die Entwicklung der maschinellen Produktion wird, wie Lenin feststellt, als industrielle Revolution bezeichnet.117 Der Beginn dieser ersten revolutionären Umwälzung innerhalb der kapitalistischen Produktion war in den einzelnen Ländern unterschiedlich, fiel aber generell etwa in das letzte Drittel des 18. bis in das erste Drittel des 19. Jahrhunderts. Sozialökonomisch löste der kapitalistische Industriebetrieb im Resultat der bürgerlichen Revolution die kapitalistische Manufaktur ab. Die damit verbundene radikale technisch-ökonomische Umwälzung war durch den Übergang von der manuellen zur maschinellen Technik, zur Werkzeugmaschine, durch Einsatz eines universellen Wärmemotors, der Dampfmaschine als mechanischer Antriebskraft und durch den breiten Übergang von der Arbeitsorganisation der Manufaktur zur Fabrik gekennzeichnet. Engels schrieb, daß es die industrielle Revolution gewesen ist, die überall Klarheit geschaffen hat in den Klassenverhältnissen. Sie ist es gewesen, die eine wirkliche Bourgeoisie und ein wirkliches großindustrielles Proletariat erzeugt und in den Vordergrund der gesellschaftlichen Entwicklung gedrängt hat.118

Der zweite qualitative Einschnitt in die Entwicklung der maschinellen Produktion des Kapitalismus umfaßt qualitative Veränderungen innerhalb der sozialökonomischen Struktur des Kapitalismus und revolutionäre technisch-ökonomische Umwälzungen, die in ihrem Zusammenwirken den Übergang vom Kapitalismus der freien Konkurrenz zum Imperialismus bedingten. Sie leiteten die Niedergangsphase der kapitalistischen Produktionsweise ein. Um 1900 wurde das imperialistische Monopol zum entscheidenden sozialökonomischen Merkmal der kapitalistischen Produktionsweise, bildeten sich die ökonomischen Grundmerkmale des Imperialismus heraus. Diesem qualitativen Einschnitt maß besonders Lenin im Zusammenhang mit der Elektrotechnik und den revolutionären Veränderungen in der Naturwissenschaft große Bedeutung bei. Melestschenko und Schuchardin bezeichnen diesen Einschnitt wissenschaftlich-technisch als Vorbereitungsphase der wissenschaftlich-technischen Revolution.119

Der dritte qualitative Einschnitt in die Entwicklung der maschinellen Großproduktion des Kapitalismus beziehungsweise die Entwicklung der Produktion des relativen Mehrwerts umfaßt sozialökonomische und technisch-ökonomische Veränderungen innerhalb des Imperialismus (als der Phase des zunehmenden Zerfalls der kapitalistischen Produktionsweise). In ihrer Gesamtheit bedingten sie die volle Durchsetzung des staatsmonopolistischen Kapitalismus. Die sich hier vollziehenden Veränderungen charakterisieren den Imperialismus als vollständige materielle Vorbereitung des Sozialismus, als seine unmittelbare Vorstufe.120

Es kam in allen entwickelten imperialistischen Ländern seit den fünfziger, sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, in Verbindung mit dem allgemeinen wissenschaftlich-technischen Fortschritt, zu tiefgehenden quantitativen und qualitativen Veränderungen in der materiell-technischen Basis der Produktion sowie in der Stellung des Menschen im Arbeitsprozeß und damit im Charakter der Arbeit (sprunghaft zunehmende Bedeutung der Wissenschaft; Automatisierung; Anwendung der Atomenergie usw.).121 Die hier sichtbar werdenden revolutionären Umwälzungen innerhalb der Produktivkräfte können im Rahmen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht mehr voll durchgesetzt werden. Die Große Sozialistische Oktoberrevolution eröffnete den Weg für eine schnelle Entwicklung von Wissenschaft und Technik.

Die tiefgehende gesellschaftliche Bedeutung der Phase der industriellen Revolutionierung im 19. Jahrhundert bestand in der Schaffung der wesentlichsten materiellen Bedingungen für die Ausbreitung der kapitalistischen Produktionsweise durch die Ablösung manueller, handwerklicher Arbeit. Die gesellschaftliche Bedeutung der wissenschaftlich-technischen Revolution besteht darin, daß sie umfassend die Produktivkräfte der kommunistischen Gesellschaft hervorbringt. Die wissenschaftlich-technische Revolution negiert den durch die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts hervorgebrachten Teilarbeiter. Sie fordert objektiv den allseitig gebildeten, universellen Produzententyp, der seine eigenen gesellschaftlichen Verhältnisse beherrscht, dessen Arbeit ihrem Wesen nach schöpferische Tätigkeit ist. Die wissenschaftlich-technische Revolution bedingt die volle Durchsetzung der Arbeiterpersönlichkeit.122 Nach Marx bildet die Automatisierung der Produktion, die Anwendung automatischer Maschinensysteme, die abschließende Phase der maschinellen Produktion.123 Die allseitige Entfaltung und Nutzung der freigesetzten schöpferischen Potenzen im Interesse der unmittelbaren Produzenten, vor allem der Arbeiterklasse, ist das entscheidende Wesensmerkmal der wissenschaftlich-technischen Revolution, das nur in einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung verwirklicht werden kann.