Kreislauf und
Umschlag des Kapitals

5.
Die Jahresrate des Mehrwerts

Beim Studium der Mehrwerttheorie erfuhren wir, daß die Mehrwertrate der wertmäßige Ausdruck des Ausbeutungsgrades der Arbeiter durch die Kapitalisten ist. Die Mehrwertrate ist das Verhältnis des Mehrwerts zum variablen Kapital: m : v. Sie wird bestimmt durch die Größe des Mehrwerts im Verhältnis zur Größe des variablen Kapitals. Je größer demzufolge die Mehrwertmasse im Verhältnis zur Masse des angewendeten variablen Kapitals, desto größer die Mehrwertrate. Anders ausgedrückt: Je größer der Mehrwert ist, den ein Kapitalist aus seinen Arbeitern herausholt, desto größer ist die Mehrwertrate:

50 m : 50 v = 100 %,  100 m : 50 v = 200 %,  200 m : 50 v = 400 %  usw.

Die Größe des Mehrwerts hängt von verschiedenen Umständen ab. Im ersten Band des „Kapitals“ deckte Karl Marx folgende Methoden auf: Verlängerung des Arbeitstages, Intensivierung der Arbeit, Erhöhung der Arbeitsproduktivität und damit Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit und Bezahlung der Arbeitskraft unter ihrem Wert.

Im zweiten Band des „Kapitals“ haben wir nun eine weitere Methode zur Erhöhung des Mehrwerts kennengelernt – die Beschleunigung des Umschlags des Kapitals, genauer gesagt, die Beschleunigung des Umschlags des variablen Kapitals. Je öfter dasselbe variable Kapital in den Kreislauf eingeht, desto häufiger wird es verwertet, desto größer ist der jährlich von den Arbeitern produzierte und von den Kapitalisten angeeignete Mehrwert. Die durch den Umschlag des Kapitals beeinflußte Größe des Mehrwerts ist bestimmend für die Jahresrate des Mehrwerts.

Karl Marx hat die wirkliche, durch den einmaligen Umschlag des variablen Kapitals bestimmte Mehrwertrate und die Jahresrate des Mehrwerts unterschieden. „Das Verhältnis der während des Jahres produzierten Gesamtmasse von Mehrwert zu der Wertsumme des vorgeschoßnen variablen Kapitals nennen wir die Jahresrate des Mehrwerts … Analysieren wir diese Rate näher, so zeigt sich, daß sie gleich ist der Rate des Mehrwerts, die das vorgeschoßne variable Kapital während einer Umschlagsperiode produziert, multipliziert mit der Anzahl der Umschläge des variablen Kapitals (die mit der Anzahl der Umschläge des ganzen zirkulierenden Kapitals zusammenfällt).“68

Der Umschlag des zirkulierenden Kapitals ist je nach der Art des Produktionszweiges sehr unterschiedlich. Wir sahen schon, daß zum Beispiel die Umschlagszeit des zirkulierenden Kapitals in der Schuhfabrikation sehr kurz ist, während sie sich im Schiffbau über Jahre hinziehen kann. Infolge dieses unterschiedlichen Umschlags des zirkulierenden Kapitals, das heißt vor allem des variablen Kapitals, sind auch die Jahresraten des Mehrwerts in beiden Produktionszweigen verschieden.

Nehmen wir an, daß das variable Kapital der Schuhindustrie zehnmal umschlägt, daß die Mehrwertrate 100 % und die Größe des variablen Kapitals 500 beträgt.

v = 500, m′ = 100 %, n = 10

Demzufolge ist die wirkliche Rate des Mehrwerts

m' = m = 500 m = 100 %
v 500 v

und die Jahresrate des Mehrwerts

M' = m × n = 5000 m = 1000 % 69
v 500 v

Dagegen schlägt das variable Kapital der Schiffbauindustrie in der Größe von 5000 v jährlich nur einmal um. Bei

v = 5000, m′ = 100 %, n = 1

beträgt die wirkliche Rate des Mehrwerts

m' = m = 5000 m = 100 %
v 5000 v

und die Jahresrate des Mehrwerts ebenfalls

M' = m × n = 5000 m = 100 %
v 5000 v

Aus dem unterschiedlichen Umschlag des variablen Kapitals ergibt sich, daß in der Schuhindustrie die Jahresmehrwertrate zehnmal größer ist als die wirkliche Mehrwertrate. In der Schiffbauindustrie dagegen stimmt die Jahresrate des Mehrwerts mit der wirklichen Rate des Mehrwerts überein. Offensichtlich ist der Verwertungsgrad des Kapitals in der Schuhindustrie größer als in der Schiffbauindustrie. Die Bedeutung dieses Umstandes wird bei der Behandlung der Profitrate untersucht.70