Einleitung
Im ersten und zweiten Band des „Kapitals“ untersuchte Karl Marx die Grundlagen und wesentlichen Elemente der kapitalistischen Produktionsweise: den Produktions- und Verwertungsprozeß des Kapitals, den Zirkulationsprozeß des Kapitals und die Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Er enthüllte dabei das ökonomische Grundgesetz des Kapitalismus: „Produktion von Mehrwert oder Plusmacherei ist das absolute Gesetz dieser Produktionsweise.“1 Bei dieser Untersuchung beschäftigte sich Karl Marx mit den wesentlichen Elementen und objektiven Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise. Im dritten Band des „Kapitals“ geht es darum, „die konkreten Formen aufzufinden und darzustellen, welche aus dem Bewegungsprozeß des Kapitals, als Ganzes betrachtet, hervorwachsen“2. Damit nähern wir uns, wie Karl Marx schrieb, schrittweise der Form, worin die Gestaltungen der Kapitale „auf der Oberfläche der Gesellschaft, in der Aktion der verschiedenen Kapitale aufeinander, der Konkurrenz, und im gewöhnlichen Bewußtsein der Produktionsagenten selbst auftreten“3.
Im Prinzip haben wir uns mit diesem Prozeß schon vertraut gemacht, zum Beispiel bei der Verwandlung des Wertes einer Ware in den Tauschwert beziehungsweise in den Preis, bei der Verwandlung des Wertes oder Preises der Ware Arbeitskraft in den Preis der Arbeit oder den Arbeitslohn.
Im dritten Band des „Kapitals“ werden wir weitere derartige Verwandlungen kennenlernen. Selbst die zentrale Kategorie der politischen Ökonomie des Kapitalismus, der Mehrwert, erscheint an der Oberfläche der kapitalistischen Gesellschaft nicht als solcher, sondern, wie alle wesentlichen Kategorien des Kapitals, in verschleierter und mystifizierter Form.
Schließlich werden wir durch die Untersuchungen des Zusammenwirkens der Kapitale in ihrer Gesamtheit eine Reihe neuer ökonomischer Gesetze und Kategorien kennenlernen, die für das Verständnis der kapitalistischen Produktionsweise und für den Kampf der Arbeiterklasse zur Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen wichtig sind.
Die Verwandlung der wesentlichen Kategorien der kapitalistischen Produktionsweise in ihre Erscheinungsformen ist ein objektiver Prozeß, der aus dem gesellschaftlichen Charakter der privaten Warenproduktion hervorgeht. Die Warenform, der Wert und der Mehrwert sind keine natürlichen Eigenschaften der Produkte, sondern die Verkörperung gesellschaftlicher Beziehungen. Als solche können sie aber nicht direkt am Produkt selbst, sondern nur in ihrer Beziehung zu anderen Produkten in Erscheinung treten. Daher müssen die Produkte die Warenform und muß der Wert die Preisform annehmen.
Der Charakter der Waren und des Wertes wird aber auch durch den spezifischen gesellschaftlichen Charakter der beiden Formen der privaten Warenproduktion bestimmt. Daher erfahren die Waren und der Wert durch den Übergang der einfachen in die kapitalistische Warenproduktion eine Modifikation. Die Waren der einfachen Warenproduzenten sind Produkte ihrer eigenen Arbeit, und der in ihnen enthaltene Wert ist die Verkörperung der eigenen Arbeit. Die Waren der kapitalistischen Produktion sind dagegen Produkte fremder Arbeit, der Arbeit der Lohnarbeiter, und der in ihnen enthaltene Wert ist die Verkörperung der Arbeit der Lohnarbeiter, die sich der Kapitalist als Eigentümer der Produktionsmittel aneignet. Der Wert der Waren der einfachen Warenproduzenten setzt sich demzufolge aus dem Wert der verbrauchten Produktionsmittel und dem von ihnen neugeschaffenen Wert zusammen. Der Wert der kapitalistisch produzierten Waren dagegen besteht aus dem Wert des verbrauchten konstanten Kapitals (c), des reproduzierten variablen Kapitals (v) und dem Mehrwert (m), also aus c + v + m. Den Waren selbst ist dieser Unterschied, diese Veränderung des gesellschaftlichen Inhalts der Warenform und des Wertes nicht anzusehen.
Bürgerliche Ökonomen und Revisionisten stellten nach dem Tode von Karl Marx und zum Teil noch zu Lebzeiten von Friedrich Engels die Behauptung auf, daß zwischen der Darlegung der Werttheorie im ersten Band und der im dritten Band des „Kapitals“ ein Widerspruch bestünde oder daß die Werttheorie eine reine Abstraktion sei, die für das Verständnis der kapitalistischen Ausbeutung nicht notwendig wäre und die Karl Marx durch seine Theorie vom Produktionspreis im dritten Band des „Kapitals“ selbst aufgegeben habe. Diese Behauptung zur „Widerlegung“ der Marxschen politischen Ökonomie und deren Kernstück, der Mehrwerttheorie, wird auch heute noch von bürgerlichen und revisionistischen Ökonomen aufrechterhalten.
Sie versuchen den Eindruck zu erwecken, als ob Marx den dritten Band erst geschrieben habe, nachdem der erste Band erschienen war. Tatsache ist, daß alle drei Bände des „Kapitals“ schon im Entwurf vorlagen, bevor der erste Band für den Druck fertiggestellt wurde. „Zwischen 1863 und 1867 hatte Marx nicht nur die beiden letzten Bücher des Kapitals im Entwurf und das erste in druckfertiger Handschrift hergestellt, sondern auch noch die mit der Gründung und Ausbreitung der Internationalen Arbeiterassoziation verknüpfte Riesenarbeit getan“4, schrieb Friedrich Engels im Vorwort zum dritten Band des „Kapitals“.
Aus dem Vorwort ist ersichtlich, daß Karl Marx mit der Lehre vom Durchschnittsprofit und Produktionspreis seine Werttheorie nicht aufgegeben hat und daß es ihm gerade aufgrund der Werttheorie allein möglich war, die Verwandlung des Profits in den Durchschnittsprofit und des Wertes in den Produktionspreis wissenschaftlich zu erklären.
In seiner Bemerkung zu den Darlegungen P. Firemans, die sich mit der Marxschen Theorie des Produktionspreises beschäftigen, schrieb Friedrich Engels: „Ich gehe nicht ein auf seine Bemerkungen über sonstige Seiten der Marxschen Darstellung. Sie beruhen auf dem Mißverständnis, daß Marx da definieren will, wo er entwickelt, und daß man überhaupt bei Marx nach fix und fertigen, ein für allemal gültigen Definitionen suchen dürfe. Es versteht sich ja von selbst, daß da, wo die Dinge und ihre gegenseitigen Beziehungen nicht als fixe, sondern als veränderliche aufgefaßt werden, auch ihre Gedankenbilder, die Begriffe, ebenfalls der Veränderung und Umbildung unterworfen sind; daß man sie nicht in starre Definitionen einkapselt, sondern in ihrem historischen resp. logischen Bildungsprozeß entwickelt. Danach wird es wohl klar sein, warum Marx am Anfang des ersten Buchs, wo er von der einfachen Warenproduktion als seiner historischen Voraussetzung ausgeht, um dann weiterhin von dieser Basis aus zum Kapital zu kommen - warum er da eben von der einfachen Ware ausgeht und nicht von einer begrifflich und geschichtlich sekundären Form, von der schon kapitalistisch modifizierten Ware …“5
Wir müssen uns auch beim Studium des dritten Bandes des „Kapitals“ auf die Kenntnis der Marxschen Methode des dialektischen Materialismus stützen, wie sie im KKK-Band „Gegenstand und Methode der marxistisch-leninistischen politischen Ökonomie“ in ihren Grundzügen dargestellt wurde. Besonders die Verbindung von Wesen und Erscheinung, von logischer und historischer Betrachtungsweise macht uns die Modifikation, die Verwandlung des Wertes der Waren in den Produktionspreis, verständlich. Wenn wir wissen, daß der Wert der Waren vergegenständlichte gesellschaftlich notwendige Arbeit und der Mehrwert vergegenständlichte unbezahlte Mehrarbeit der Lohnarbeiter ist, erklärt sich, daß der Produktionspreis die kapitalistisch verwandelte Form des Wertes der Waren ist. Karl Marx schrieb dazu: „Die ganze Schwierigkeit kommt dadurch hinein, daß die Waren nicht einfach als Waren ausgetauscht werden, sondern als Produkte von Kapitalen, die im Verhältnis zu ihrer Größe, oder bei gleicher Größe, gleiche Teilnahme an der Gesamtmasse des Mehrwerts beanspruchen.“6
Es gibt also bei Karl Marx weder einen Widerspruch zwischen dem ersten und dritten Band des „Kapitals“ noch zwischen seiner Theorie und der kapitalistischen Wirklichkeit. Die Werttheorie allein gibt die wissenschaftliche Grundlage für das Verständnis der kapitalistischen Kategorien Profit, Durchschnittsprofit und Produktionspreis. Die Werttheorie ist für die Arbeiterklasse und ihren Kampf ebenso wichtig wie ihre Weiterentwicklung zur Mehrwerttheorie und Profittheorie. Denn was den Arbeitern an der Oberfläche der kapitalistischen Gesellschaft an Wert- und Mehrwertkategorien erscheint, wie Arbeitslohn, Preis, Profit, Zins usw., verdeckt die gesellschaftlichen und Klassenbeziehungen, die hinter ihnen verborgen sind. Gerade diese sind es aber, die die Arbeiterklasse erkennen muß, um zu wissen, worauf sie ihren Kampf richten muß.