Reproduktion und Zirkulation
des gesellschaftlichen Gesamtkapitals

5.2.2
Die entgegenwirkenden Faktoren

Der technische Fortschritt ist im gegenwärtigen Kapitalismus gleichzeitig ein entscheidender Faktor, der Tendenzen hervorbringt, die der vorrangigen Entwicklung der Produktion von Produktionsmitteln entgegenwirken. Er führt in immer stärkerem Maße zur Erhöhung der Effektivität der gesellschaftlichen Produktion. Beim Einsatz der neuen Technik geht es gerade darum, eine Einsparung an lebendiger und vergegenständlichter Arbeit je Erzeugnis zu erreichen. Das hat bestimmte Auswirkungen auf die technische, wertmäßige und damit auch auf die organische Zusammensetzung des Kapitals sowie auf das Wachstum der beiden Abteilungen der gesellschaftlichen Produktion.

Eine intensiv erweiterte Reproduktion kann einerseits damit verbunden sein, daß die Steigerung der Arbeitsproduktivität im wesentlichen durch Einsparung von lebendiger Arbeit überwiegt, während die Aufwendungen von vergegenständlichter Arbeit (je Gebrauchswert, je Erzeugnis) ansteigen. Andererseits erfolgt eine intensiv erweiterte Reproduktion, bei der das Ansteigen der gesellschaftlichen Arbeitsproduktivität sowohl durch die Einsparung an lebendiger als auch an vergegenständlichter Arbeit erfolgt, was sich in einer Verringerung der sogenannten Material- und Kapitalintensität widerspiegelt.

Diese Einteilung ist für die Wachstumsbeziehungen zwischen den beiden Abteilungen der gesellschaftlichen Produktion wichtig. Die Einsparung an vergegenständlichter Arbeit ist ein bedeutender Faktor, der der Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals entgegenwirkt und somit einen beträchtlichen Einfluß auf das Wachstumsverhältnis beider Abteilungen ausübt.

Auch die engen Wechselbeziehungen zwischen einfacher und erweiterter Reproduktion, insbesondere der Reproduktionseffekt, beeinflussen die extensiv und intensiv erweiterte Reproduktion. Der Reproduktionseffekt ergibt sich aus den besonderen Reproduktionsbedingungen der Arbeitsmittel im kapitalistischen Arbeits- und Verwertungsprozeß, in dem zeitliche Differenzen zwischen der Wertübertragung und der stofflichen Ersetzung der Arbeitsmittel auftreten. Es besteht die Möglichkeit, diese Amortisationen in der Zwischenzeit als Finanzierungsquelle der erweiterten Reproduktion der Arbeitsmittel auszunutzen.

Die folgenden Faktoren beeinflussen das Ausmaß des Reproduktionseffektes: Verlängerung der Nutzungsdauer der Arbeitsmittel; Abschreibungsmethoden; Verminderung des Reproduktionswertes der zu ersetzenden Arbeitsmittel; Wiederbeschaffungspreis; Ersatz der verschlissenen Arbeitsmittel durch produktivere; Bewertung der Arbeitsmittel.

Hervorzuheben ist, daß es dem Kapital durch den technischen Fortschritt und die damit verbundene Steigerung der Arbeitsproduktivität möglich ist, die verbrauchten Maschinen, Ausrüstungen usw. durch technisch vollkommenere Arbeitsmittel zu ersetzen. Obwohl der wertmäßige und stoffliche Ersatz der verbrauchten Arbeitsmittel ein Element der einfachen Reproduktion ist, tritt durch die technisch höher entwickelten Arbeitsmittel (infolge der höheren Leistungsfähigkeit) die Wirkung einer erweiterten Reproduktion ein, und zwar der intensiv erweiterten Reproduktion. Des weiteren setzt jede Senkung des Preisniveaus für Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstände, jede Verringerung des Materialverbrauchs, jede Erhöhung der Qualität der Produktionsmittel usw. Mittel der einfachen Reproduktion frei für die Finanzierung der erweiterten Reproduktion, sowohl der extensiven als auch der intensiven. All das wirkt einer Erhöhung der organischen Zusammensetzung des Kapitals entgegen und beeinflußt das Wachstumsverhältnis beider Abteilungen.

Wie in diesem Abschnitt bereits gezeigt wurde, ist eine schnelle technische Entwicklung nicht unbedingt und immer mit einer entsprechend schnellen Entwicklung der organischen Zusammensetzung des Kapitals sowie der Abteilung I verbunden. Die Entwicklung in industriell fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern zeigt, daß der technische Fortschritt und die wissenschaftlich-technische Revolution durchaus mit gleichbleibender oder sogar zeitweise sinkender organischer Zusammensetzung des Kapitals sowie einem entsprechenden Wachstum der Abteilung I verbunden sein können.

Das ergibt sich im einzelnen aus den folgenden Entwicklungsprozessen, aus bestimmten Faktoren, die das Wirken des Gesetzes vom vorrangigen Wachstum der Produktion von Produktionsmitteln gegenüber der Produktion von Konsumtionsmitteln im gegenwärtigen Kapitalismus beeinflussen.

Die sinkende Intensität des konstanten fixen Kapitals, die sinkende Fondsintensität:

Der technische Fortschritt ist mit einer ausgeprägten Tendenz zur Senkung der sogenannten Fondsintensität verbunden. Diese Fondsintensität sinkt, wenn mit gleichbleibendem oder sinkendem Aufwand an konstantem fixem Kapital ein größeres oder gleiches Produktionsresultat erzielt wird. Der Anteil des übertragenen Wertes des fixen Kapitals (der verbrauchten Maschinerie usw.) am Gesamtwert des einzelnen hergestellten Produkts und letztlich an der gesamten Industrieproduktion geht zurück.

Im dritten Band des „Kapitals“ untersucht Marx – ausgehend von einer wachsenden organischen Zusammensetzung des Kapitals97 – den Einfluß der damit verbundenen ansteigenden Arbeitsproduktivität auf die Wertstruktur der Waren. Marx kommt zu der Feststellung, daß „ein stets größres Quantum Produktionsmittel durch ein stets geringres Quantum Arbeit in Bewegung“ gesetzt wird und daß dadurch „jede einzelne Ware … weniger lebendige Arbeit absorbiert und ferner weniger vergegenständlichte Arbeit enthält, sowohl im Verschleiß des angewandten fixen Kapitals wie in den verbrauchten Roh- und Hilfsstoffen. Jede einzelne Ware enthält also eine geringere Summe von in Produktionsmitteln vergegenständlichter und während der Produktion neu zugesetzter Arbeit.“98 Bis auf die Untersuchungen des Reproduktionsprozesses im zweiten Band des „Kapitals“, in dem die organische Zusammensetzung des Kapitals als unverändert angenommen wird, geht Marx sonst stets von der sich in der kapitalistischen Wirklichkeit durchsetzenden Erhöhung der organischen Zusammensetzung und ihrer verschiedenartigen Auswirkungen aus; so zum Beispiel bei der Darstellung der Akkumulationstheorie (im ersten Band) und der Profittheorie, insbesondere auch beim Nachweis des tendenziellen Falls der Profitrate (im dritten Band des „Kapitals“).

In der bereits zitierten Arbeit von Wygodski werden Angaben gebracht, nach denen sich die Fondsintensität in der verarbeitenden Industrie der USA von 1919 bis 1965 um 52 Prozent, das heißt um mehr als die Hälfte, verringerte. Andere Zahlenangaben zeigen, daß sich das Produktionsvolumen von 1929 bis 1965 auf das 3,75fache vergrößerte, während der sogenannte Buchwert des fixen Kapitals im gleichen Zeitraum nur um 79 Prozent anstieg.99 Diese bedeutende Verringerung der Fondsintensität der Produktion ist Ausdruck des technischen Fortschritts und der Steigerung der Arbeitsproduktivität.

Da sich der Anteil des variablen Kapitals je Arbeitsprodukt gleichzeitig schneller verringerte als der Anteil des fixen Kapitals, widerspricht dieser tendenzielle Fall der Fondsintensität generell nicht dem Gesetz des vorrangigen Wachstums der Produktion von Produktionsmitteln.100

Ein praktisches Beispiel soll die sinkende Kapitalintensität veranschaulichen: Um eine bestimmte Menge von Werkstücken herzustellen, hier beispielsweise 30.000 Motorenstößel, waren früher einmal 22 Drehautomaten im Wert von 1,5 Millionen € erforderlich. Zu ihrer Bedienung, Wartung, Instandhaltung und Einrichtung wurden je Schicht etwa 7 Arbeiter benötigt. Der Zerspanungsabfall betrug 82 Prozent. Nachdem von der spanabhebenden Fertigung zur spanlosen Verformung durch Pressen übergegangen worden war, waren nur noch 3 Stufenpressen im Werte von 226.000 € mit etwa 4 Arbeitern erforderlich. Der Abfall verringerte sich auf 5 Prozent. Vorausgegangen war, daß die 22 Drehautomaten ihrerseits rund 300 normale Drehbänke ablösten.101 Dieses Beispiel illustriert sehr deutlich die sinkenden Aufwendungen für konstantes fixes Kapital.

Zu dieser sinkenden Kapitalintensität kommen ferner Einsparungen an Gebäuden, Beleuchtung, Energie usw. Allgemein ist, auf jeden Fall in der Industrie, eine Strukturveränderung der Elemente des konstanten fixen Kapitals in der Richtung festzustellen, daß der Anteil für Maschinen und Ausrüstungen steigt, während der Anteil für Bauten zurückgeht.

Die sinkende Intensität des konstanten zirkulierenden Kapitals, die sinkende Materialintensität:

Der technische Fortschritt ist ferner mit einem sinkenden Aufwand an Rohstoffen und Hilfsstoffen pro Arbeitsprodukt verbunden. Das kann durch bessere Produktionsverfahren, durch neue und bessere Rohstoffe mit vorgegebenen Eigenschaften, durch höhere Qualität der traditionellen Rohstoffe und Hilfsstoffe usw. erreicht werden. Pro Produkt beziehungsweise pro Ware werden weniger und billigere Arbeitsgegenstände usw. verarbeitet, was zu einem Anteilrückgang des konstanten zirkulierenden Kapitals am Warenwert führt.

Das zitierte Beispiel aus der Automobilindustrie macht außer der sinkenden Kapitalintensität auch eine sinkende Materialintensität deutlich erkennbar. Dieser hier angeführte verstärkte Übergang von spanabhebenden Maschinen zur spanlosen Verformung setzte sich in allen entwickelten Industrieländern durch, was auch zu entsprechenden Strukturwandlungen in der Maschinenbauindustrie führte.

Besonders auch die chemische Industrie liefert eine Fülle von Beispielen. Mit der Produktion und Verwendung von Kunststoffen, Kunstfasern usw. ist nicht nur ein verminderter und billigerer Materialaufwand je Produkt verbunden, sondern auch eine verbesserte, billigere und effektivere Technologie sowie Qualitätsverbesserung der Produkte.

Diese sinkende Materialintensität führt zu zahlreichen Strukturwandlungen der Industrie. Proportionen und Wachstumsverhältnisse zwischen extraktiver und verarbeitender Industrie, zwischen der Produktion von Halbfabrikaten und Zwischenprodukten sowie der Erzeugung von Endprodukten für die produktive und individuelle Konsumtion ändern sich. In den kapitalistischen Industrieländern geht der Anteil der Rohstoffproduktion an der Gesamtproduktion zurück.

Verglichen mit dem Wachstum des variablen Kapitals wächst also das konstante Kapital (sein fixer und zirkulierender Teil) auch bei sinkender Materialintensität schneller. Die organische Zusammensetzung des Kapitals wächst in erster Linie durch eine immer stärkere Verdrängung der lebendigen Arbeit durch die Maschine, durch die Automatisierung der Produktion und die Einsparung an Arbeit.

Die Verbilligung der stofflichen Elemente des konstanten Kapitals:

Das ist ein weiterer Faktor, der sich auf die organische Zusammensetzung des Kapitals auswirkt und der damit zum Beispiel zu einer Annäherung des Entwicklungstempos beider Abteilungen führt. Als Folge der Steigerung der Arbeitsproduktivität ist eine allgemeine Wertminderung der Elemente des konstanten Kapitals zu verzeichnen. Diese Wertsenkung fördert ihrerseits die sinkende Intensität des konstanten fixen und zirkulierenden Kapitals.

Darauf wies Marx wiederholt hin: „Derselbe konstante Kapitalwert stellt sich in mehr Produktionsmitteln, d. h. mehr Arbeitsmitteln, Arbeitsmaterial und Hilfsstoffen dar, liefert also sowohl mehr Produktbildner als Wertbildner oder Arbeitseinsauger. Bei gleichbleibendem und selbst abnehmendem Wert des Zusatzkapitals findet daher beschleunigte Akkumulation statt.“102

Selbst eine wertmäßig nur einfache Reproduktion erweist sich daher stofflich bereits als erweiterte Reproduktion und ist durchaus mit dem technischen Fortschritt verknüpft.

Diese Entwicklung wird durch die monopolistische Preisbildung stark verzerrt; sie ist ein weiteres Moment, das die praktische Ermittlung des Verhältnisses der Abteilung I zur Abteilung II beziehungsweise von A und B sehr erschwert.

Steigende Löhne und Gehälter von Arbeitern und Angestellten, ein steigendes variables Kapital:

Als weiterer Faktor, der das Wachstum der beiden Produktionsabteilungen beeinflußt, ist diese Steigerung des variablen Kapitals zu nennen.

Im Ergebnis erfolgreicher Lohnkämpfe konnten in den 60er und 70er Jahren in zahlreichen kapitalistischen Ländern teilweise beträchtliche Erhöhungen der Nominallöhne durchgesetzt werden. Zwar beeinträchtigt durch hohe und anhaltende Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit sowie durch monopolistische Preissteigerungen und verstärkte Inflationstendenzen, was zu Reallohnsenkungen bis in die Gegenwart führte, riefen sie insgesamt in den kapitalistischen Industrieländern eine wachsende Nachfrage nach Erzeugnissen der Abteilung II hervor. Eine sich ändernde Struktur dieser Nachfrage nach Konsumgütern – in Richtung langlebiger Konsumtionsmittel (elektrischer Haushaltsgeräte, Radios, Fernsehgeräte, Kühlschränke und Autos) und hochwertiger Nahrungs- und Genußmittel – wirkte sich entsprechend auf die Entwicklung zum Beispiel bestimmter Industrie- und Landwirtschaftszweige aus.

Das Wachstum der Beschäftigten und der Löhne außerhalb der materiellen Produktion wirkte sich ebenfalls auf die Entwicklung beider Produktionsabteilungen aus. Die Verdrängung lebendiger Arbeit beziehungsweise von Arbeitskräften im materiellen Bereich103 wurde dadurch zeitweise kompensiert.

Von weiteren Faktoren, die auf die Proportionen beider Abteilungen und Unterabteilungen der gesellschaftlichen Gesamtproduktion einwirken, sollen hier noch zwei genannt werden: die hohen Rüstungsausgaben (und ähnliche unproduktive Ausgaben für den Polizeiapparat usw.) der imperialistischen Staaten sowie der Außenhandel, der unter anderem infolge eines Nichtäquivalentenaustausches mit den sogenannten Entwicklungsländern zur Verbilligung der stofflichen Bestandteile des konstanten Kapitals führen kann.104

Zusammenfassend läßt sich zum Wirken des Gesetzes vom vorrangigen Wachstum der Produktion von Produktionsmitteln gegenüber der Produktion von Konsumtionsmitteln feststellen:

  • Die ökonomische Entwicklung in den kapitalistischen Ländern zeigt über einen längeren Zeitraum das Wirken des Gesetzes vom vorrangigen Wachstum der Produktion von Produktionsmitteln gegenüber der Produktion von Konsumtionsmitteln sowie eine steigende organische Zusammensetzung des Kapitals, wobei besonders in den letzten Jahrzehnten die Erhöhung der technischen Zusammensetzung nicht von einer analogen Erhöhung der wertmäßigen Zusammensetzung des Kapitals begleitet wurde.
  • Auch dieses ökonomische Gesetz setzt sich als Tendenz durch. Entgegenwirkende Faktoren bewirkten ein verlangsamtes Anwachsen der organischen Zusammensetzung des Kapitals. Sie führten damit auch zu einer Annäherung des Wachstumstempos beider Abteilungen der gesellschaftlichen Produktion beziehungsweise zu einer zeitweilig schnelleren Entwicklung der Abteilung II.
  • Das äußerst komplizierte und vielseitige Wachstumsverhältnis der Abteilung I und II kann sich im Kapitalismus nur gewaltsam, in Verbindung mit Disproportionen, gesellschaftlichen Verlusten und Krisen durchsetzen.
  • Das Gesetz vom vorrangigen Wachstum der Produktionsmittel ist ein allgemeines ökonomisches Gesetz, das nicht nur im Kapitalismus wirkt. Aber auf der Grundlage der jeweils herrschenden Produktionsverhältnisse sowie des entsprechenden ökonomischen Grundgesetzes und Grundwiderspruchs und in Wechselwirkung mit den Produktivkräften tritt es in unterschiedlicher Erscheinungsform zutage. Auch innerhalb der Produktionsweisen, zum Beispiel in den verschiedenen Entwicklungsetappen des Kapitalismus, wirkt es unterschiedlich.

Die marxistisch-leninistische Reproduktionstheorie, die nicht nur den kapitalistischen Produktions- und Reproduktionsprozeß untersucht, sondern allgemeine Beziehungen jeder gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion erfaßt, ist auch von großer Bedeutung für die Theorie der sozialistischen Reproduktion.