RotFuchs 202 – November 2014

Ein Schöpfer bewegender Kinderliteratur,
der den Nerv junger Leser traf

Abschied von Benno Pludra

Dr. Katrin Pieper

Jeder ist nur einmal da. Er muß diese Einmaligkeit begreifen, die Kraft, die Begabung, die er hat, um das Alltägliche und das Besondere zu tun, wie wir’s zum Leben brauchen und wie es die Gesellschaft braucht, es auch dann zu tun, wenn es schmerzhaft ist für ihn selber oder für die Gesellschaft oder für beide. Hier zuerst sehe ich eine Möglichkeit und auch Verpflichtung von Literatur, gleichgültig wieder, ob für Kinder oder für Erwachsene geschrieben. Wir leben in einer gemeinsamen Welt, in gegenseitiger Abhängigkeit. Die Kinder in größerer, weil sie uns brauchen, und wir in sozusagen Langzeitabhängigkeit, weil wir die Kinder später brauchen, ohne sie geht’s nicht weiter.“

In diesen wenigen Zeilen läßt sich all das finden, was die Bücher Benno Pludras in Gänze ausmacht und worin sich ihre Lebensfähigkeit bis heute bewahrt hat: Träume und Wünsche zuzulassen und ihre Kraft an der Realität, die sie umgibt, zu messen. Ich denke an mehr als vierzig Bücher, geschrieben in einem langen Leben, das an der gesellschaftlichen Wirklichkeit und der ganz eigenen Wirklichkeit der Kinder nie vorbeigegangen ist, sie Poesie werden ließ, die Zartheit mit Härte zu verweben mußte.

Er ist am 27. August 88jährig gestorben – seit er sein Haus in Nedlitz verlassen mußte, weil das Alter ihn letztlich in die Knie zwang, in einer Seniorenresidenz. Er hat in Würde und materieller Geborgenheit gelebt, und so ist er auch gegangen, friedlich und eines Morgens.

Am 1. Oktober 1925 in Mückenberg, heute Lauchhammer, geboren, der Vater Metallformer, die Mutter Hausfrau, ging er 1942 zur Handelsmarine und geriet in die Kraftfelder des 2. Weltkriegs.

Pludra wollte immer Seemann werden. Als Schiffsjunge auf der Viermastbark „Padua“ fand er all das, wovon die Träume und Bücher seiner Kindheit erzählten. Wenn auch die Romantik ihren Riß in der Wirklichkeit bekam, als er als Vollmatrose einen Frachter bestieg, der in der Dezemberkälte torpediert wurde, blieb doch die Liebe zum Meer, die Sehnsucht nach der See, den Schiffen, welche die Welt bereisten.

Es gab Ersatz: ein Viertelhaus auf Hiddensee, Schiffsmodelle in den eigenen vier Wänden, Segelboote, seine Wohnungen: immer am Wasser, wenn es auch nur die Spree oder ein Arm der Havel war. Wasser war wichtig, war Voraussetzung, sollte ein neues Domizil bezogen werden.

Nach dem 2. Weltkrieg machte er Abitur und begann als Neulehrer zu arbeiten, studierte etwas Kunstgeschichte und Germanistik, wurde Reporter einiger kleiner Zeitungen, später Redakteur eines Rundfunkjournals, schrieb Reportagen und wurde 1952 freischaffend. Die fünfziger Jahre erwiesen sich für ihn als äußerst produktiv. Zwischen 1952 und 1956 erschienen sieben Bücher, die, liest man sie heute, allemal schon den entschiedenen Zugriff auf die gesellschaftliche Wirklichkeit zeigen, die späterhin alle Erzählungen Pludras auszeichnen. Sicherlich geschah dies noch im Spiegel des unmittelbar Erlebten, er folgte Aufträgen, die von den Zeitungen und den Verlagen kamen. Noch ist er unsicher im Einsatz handwerklicher Mittel, erkennbar aber allemal der eigene Sprachduktus, die ihm eigene Rhythmik, die später zu großer Verfeinerung gelangten.

„Sheriff Teddy“ oder „Die Jungen von Zelt 13“ zeichnen das Leben der Kinder in einer geteilten Stadt im Nachkriegsdeutschland oder stellen genormte pädagogische Leitlinien einer sich entwickelnden sozialistischen Gesellschaft in Frage.

Aber damals auch schon die kleine, romantische Geschichte, „Haik und Paul“, die von der Unmöglichkeit einer Liebesbeziehung erzählt: „Die Verhältnisse, sie sind nicht so.“ Und das meint: gesellschaftliche, denn: Sie ist aus Hamburg und er aus der Niederlausitz.

Die kommenden Jahrzehnte bringen wunderbare Erzählungen: Sein liebstes Buch. „Lütt Matten und die weiße Muschel“ erscheint 1963 und ist bis zum heutigen Tag wohl ein Edelstein in der deutschen Kinderliteratur.

Eine Grundsatzfrage in dieser: das Vorbild, seine Akzeptanz und Wirksamkeit, zugleich aber auch seine mögliche Nachvollziehbarkeit durch die Jungen.

Lütt Mattens Vater ist ein erfolgreicher Fischer, doch was er übersieht, ist das Bemühen des Jungen, es dem Vater gleichzutun, ihm ebenbürtig zu sein.

Pludra bringt den Jungen in Existenznot, es könnte sein, daß er ertrinkt. Aber er läßt es nicht zu. Doch noch deutlicher wird das Verantwortungsprinzip in der Erzählung „Insel der Schwäne“. Am Rand seiner physischen und psychischen Existenz, sucht der Held Ausweg- und Fluchtmöglichkeiten zugleich. Pludra fängt ihn auf, zeigt Hoffnung und Menschlichkeit. Die spätere Verfilmung ist da konsequenter, verfolgt das dichterische Konzept logisch, der Junge verliert. Ein dramatisches Ende, was den Film scharf in die Kritik brachte.

Pludra verständigt sich in den Folgejahren gern auf kleinere eindringliche Erzählungen, die immer wieder um die Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern kreisen. Sein Zugriff wird härter, zugleich gewinnen seine poetische Kraft, seine Figurenzeichnung, seine Sprache an Intensität, an Detailreichtum. Deutlich auch das Einbringen phantastischer, märchenhafter Elemente. Sie verstärken das Erfassen psychischer und physischer Situationen seiner Gestalten.

„Tambari“ ist das Schlüsselwort für Glück und Sehnsucht, der Name des Kutters, den der alte abenteuerumwehte Seemann Luden Dassow seinen Leuten vererbt. Keiner will ihn haben, nur der Junge Jan Töller erkennt in ihm seine Träume, nimmt den Kampf um den Kutter auf. Ein Kampf gegen Gleichgültigkeit, überlebtes Denken, gegen Mitleidlosigkeit und mangelnde Verantwortungsbereitschaft. Aber er wird gewonnen. Noch will Pludra nichts ohne Hoffnung enden lassen.

Das ändert sich in den Folgejahren. „Jakob heimatlos“, eine der letzten größeren Erzählungen, zeigt Niederlagen und Ausweglosigkeit. Da ist keine Chance auf Rückkehr zu den Träumen der Kindheit, die schmerzhaft verlassen wird. Ein Verlierer geht seinen vorgegebenen Weg. Der Autor verklagt eine Gesellschaft.

Unsere Autorin war Cheflektorin des Kinderbuchverlags.