RotFuchs 213 – Oktober 2015

Vier schöne Jahre einer weißen Internationalistin
unter schwarzen Freunden

Als mich die DDR nach Guinea entsandte
(Teil 6)

Renate Teller

Eine Reise der Lehrergruppe bildete für uns den Höhepunkt des Jahres. Wir starteten in drei Wagen: dem sehr soliden Landrover, einem Trabant-Kombi und einem französischen Peugeot. Neben meinem Platz hinten im Wagen lag ein Tank mit abgekochtem Trinkwasser. Für fünf Tage mußte Verpflegung mitgenommen werden. Die Autos waren demnach gerappelt voll. Im Landesinnern Guineas umgibt die Dörfer mit ihren Rundhütten stacheliges Gebüsch, das ungeliebten Besuchern den Zutritt sicherer als jeder Stacheldraht verwehrt. Man erlebt die großartige Gebirgslandschaft, Bergrücken an Bergrücken, überzogen mit einem braungelben Fell aus vertrocknetem Gras, das irgendwie die Steppenbrände überdauert hat. Das alles ist Afrika, wie es meinen Vorstellungen entsprach. Die Savanne zieht sich weit und offen hin.

Auch in Guinea ruhen viele Hoffnungen auf der heranwachsenden Generation. Angesichts vieler Stammessprachen gilt Französisch als landesweites Kommunikationsmittel.

Magere Namar-Rinder finden jeden Abend getreulich in den Kral zurück, um gemolken zu werden. Ich fragte einen Bauern, der sich in der Nähe einer solchen Kuh zu schaffen machte, wieviel Milch sie ihm täglich liefere. Er verstand mein Französisch und kannte auch den Begriff Liter. Dies wäre seine beste Kuh. Sie hätte auch gerade gekalbt, so daß sie jetzt vier Liter Milch gäbe. Da haben wir’s – das Ernährungsproblem, bei dem sich alles ums Eiweiß dreht. Jahrelanges Stillen hilft den Babys über die erste kritische Zeit hinweg, dann aber macht sich der Eiweißmangel durch die dicken Bäuchlein bemerkbar. Die Anfälligkeit für Krankheiten ist sehr groß.

Dalaba ist unser „Basislager“, von dem wir zu unseren schönen Ausflügen starten. Es liegt in etwa 1000 Meter Höhe. Die Luft ist trocken, daher kann man die Hitze besser ertragen. Wir wohnen in einem Regierungsgästehaus. Daneben steht das Gästehaus des Präsidenten Sekou Touré in wunderschönem afrikanischem Stil.

Am letzten Tag sind wir bis nach Labé, der Hauptstadt des Fouta Djalon, vorgestoßen. Camara, der Hotelverwalter, führte uns, was sich als Glück erweisen sollte. Die Fahrt ging über ebenes Gelände durch ein Dorf der nahen Gebirgskette zu. Aus der Richtung, aus der wir gerade kamen, breitete sich ein wabernder Feuervorhang aus – phantastisch-gruselig. Wir hatten auf unseren Fahrten hin und wieder verbrannte Flächen entdeckt und uns darüber unterhalten, ob diese Brandrodungen wohl die richtige Methode der Urbarmachung seien. Oft mag keine Absicht dahinterstecken, ein Blitzschlag, ein unachtsam weggeworfenes Streichholz kann dann prasseldürres Gras in Sekundenschnelle entzünden.

Auf schmalem Pfad haben wir schließlich den Gipfel erklommen. Unter uns – auf der anderen Seite des Berges – tost der Wasserfall. Wir wären gerne das Felstreppchen zum Fuße der herrlich kühlenden Wasserwand hinabgestiegen, doch Camara drängte diskret zum Aufbruch. Er war merkwürdig einsilbig geworden.

Als unsere kleine Autokolonne wieder die Ebene erreicht hatte, begegneten uns zwei abenteuerliche Gestalten auf Fahrrädern, das Gewehr quer überm Bauch. Sie setzten sich vor den Landrover, so daß sich Ahmadou, unser bewährter Fahrer, ihrem Tempo anpassen mußte. Den Trabanten mit Camara neben dem Fahrer hatten sie passieren lassen. Ahmadou will rechts überholen, dann links vorbei, doch die beiden Radfahrer gucken böse über die Schulter zu ihm hin und schaukeln ihm weiter vor dem Kühler herum. Jeder Durchbruchsversuch wird geschickt von den Milizionären abgefangen. Camara legt sich ins Mittel, ein Wortschwall antwortet ihm. Da reißt Ahmadou der Geduldsfaden. Er springt aus dem Auto und geht einem der beiden an die Gurgel. Sie beschimpfen einander, was das Zeug hält und sind kurz davor, sich die Schädel einzuschlagen. Als der andere das Gewehr auf Ahmadou anlegt, ist Camara mit einem Satz aus dem Wagen und schlägt ihm das Schießeisen aus der Hand. Er bleibt dabei bewundernswert gelassen und redet ruhig auf die beiden Kampfhähne ein. Die lassen sich auch davon beeindrucken und geben den Weg frei. Ahmadou ist jetzt auffällig still geworden, hockt sich hinter seinen Lenker und fährt an.

Was ist denn nur passiert? Wir fragen Camara, kriegen aber nichts aus ihm heraus.

Nach einigen Kilometern kommen wir am noch glimmenden Brandgebiet vorbei. Aha! Genau an diesem Feld hatten wir eine kurze Pause eingelegt, in der Ahmadou rauchte … Bei unserer Ankunft im Dorf war die gesamte Bevölkerung auf den Beinen. Aus ihrer Mitte erhob sich das Dorfoberhaupt im würdigen Boubou, eine Anklageschrift in der Hand. Wir wurden beschuldigt, das Feld angezündet und das Dorf in größte Gefahr gebracht zu haben. kurz nach unserer Weiterfahrt wäre der Brand aufgeflackert. Beklemmende Stille herrschte in unseren beiden Autos. Ahmadou, der sonst das große Wort führte, verkroch sich hinter den Schultern seines Beifahrers und verfolgte die Szene mit schrägem Blick. Kein Zweifel, der Brand war unsere Schuld. Zum großen Glück hatte der Wind das Feuer vom Dorf weggetrieben.

Monsieuer Camara und Werner, unser Sprecher, verhandelten mit dem Dorfältesten, redeten, hörten zu, widersprachen, bis es ihnen gelang, die feindliche Stimmung etwas abzubauen. Mehr noch. Als Camara ihm eindringlich etwas auseinandergesetzt hatte, brach der Dorfälteste auf einmal in befreiendes Lachen aus, zerriß seinen Rapport, schüttelte uns allen die Hände und wünschte gute Weiterfahrt.

Wir wußten nicht, wie uns geschah. Erleichtert verteilten wir die letzten Bonbons an die Kinder, die schon lange um unsere Autos herumstrichen. Die Dorfbewohner winkten, wir schieden aufs freundschaftlichste. Natürlich wollten wir wissen, was diesen Stimmungsumschwung ausgelöst hatte. Die Antwort Camaras verschlug uns die Sprache: „Ich habe ihnen gesagt, daß Sie aus der Deutschen Demokratischen Republik kommen.“ Sogar in diesem Dorf kennt man sie, unsere DDR!

Die Spannung löste sich, wir gackerten alle durcheinander und hoben unseren Retter in den Himmel.