RotFuchs 214 – November 2015

Vier schöne Jahre einer weißen Internationalistin
unter schwarzen Freunden

Als mich die DDR nach Guinea entsandte (Teil 7)

Renate Teller

Ein großer Tag für unsere École de la Santé! Guineas Staatspräsident Sekou Touré hat sich angesagt. In jedem Klassenzimmer wird Unterricht erteilt. Der hohe Gast wollte den Schulbetrieb in voller Aktion erleben. Für mich war keine Klasse mehr übrig, also setzte ich mich bei Condé auf die letzte Bank und wartete wie alle auf den Präsidenten. Condé begann mit dem Unterricht wie an jedem Tag.

Unsere Autorin im Kreis ihrer afrikanischen Schüler

Tatü-tata, Bewegung draußen. Condé unterrichtete unerschütterlich weiter, bis der Staatschef mit seiner Begleitung den Raum betrat und erfüllte. Die Schüler sprangen auf und schmetterten ihr Sprüchlein feuriger als sonst: Vive Sekou Touré! Vive la Victoire! Prêt pour la Révolution!

Der Präsident ging durch die Reihen, schüttelte Hände und sprach mit den Schülern. Die Direktorin, schön und unnahbar wie immer mit Blumen im Arm, die zu ihrem Kleid paßten, hielt die Fäden in der Hand und dirigierte ihren Schwager durch sämtliche Räume, die sie ihm mit Stolz präsentierte.

Guineas Präsident
Sekou Touré gehörte
zu den markantesten antiimperialistischen Staatsmännern des schwarzen Kontinents.

Der Präsident ging durch die Reihen, schüttelte Hände und sprach mit den Schülern. Die Direktorin, schön und unnahbar wie immer mit Blumen im Arm, die zu ihrem Kleid paßten, hielt die Fäden in der Hand und dirigierte ihren Schwager durch sämtliche Räume, die sie ihm mit Stolz präsentierte.

Nach dem Rundgang fanden wir uns alle im Hof unter dem alten schönen Affenbrot­baum zusammen. Wir Lehrer saßen vorne auf Bänken, und für Touré war ein Stuhl bereitgestellt. In lockerer Haltung, die Hände zwischen den Knien, die Augen auf das Schülerrund vor sich gerichtet, begann er mit seiner deutlichen Aussprache von der Freiheit und Unabhängigkeit zu reden, die sie nun nach jahrhundertelangem Leiden erlangt hätten. Diese müßten in bedingungslosem Kampf gegen diejenigen verteidigt werden, welche die Vergangenheit wieder heraufbeschwören wollten. Er sprach mit­reißend vom Wert, von der Kraft und Schönheit der afrikanischen Menschen, appel­lierte an Ausdauer und Zuverlässigkeit, an den Lerneifer jedes einzelnen. Er vergaß auch nicht – mit einem Blick auf uns – die Hilfe der sozialistischen Länder zu erwähnen. Sekou Touré dankte den Jugendlichen für ihren Einsatz an der „grünen Front“ und verkündete mit gehobener Stimme, daß ihre Schule den Namen der Volksheldin Bangura erhalten solle. Das löste bei den Schülern Jubel aus. Das afrikanische Temperament war nicht mehr zu zügeln, als der Präsident die Namen jener Ausbilder nannte, welche wegen besonderer Verdienste in den Lehrerrang erhoben werden sollten. Touré unterhielt sich noch mit dem einen und anderen, verabschiedete sich dann, setzte sich an das Lenkrad seines Wagens und fuhr lang­sam, ein weißes Tüchlein schwenkend, zum Tor hinaus, umringt von den Jugend­lichen, die ihn bis zur Hauptstraße geleiteten: Presi, vivat Preesi!!

Im kleinen Büro von Honoré kamen wir Lehrer noch einmal zusammen, um unsere Meinungen über das gerade Erlebte auszutauschen. „Nun hat die schöne Aicha ihren großen Tag gehabt und sich als Schwägerin des Präsidenten vorzeigen können“, spaßte Honoré bissig, während die anderen einverständlich schmunzelten. Die Direktorin war nämlich ihrer hochmütigen und so unafrikanisch zugeknöpften Art wegen unbeliebt.

Das Gespräch wurde sofort ernsthaft, als es um den Präsidenten ging. Seine Auto­rität ist unangefochten. Aggressionen und Sabotage wie westliche Lügen über ihn vermochten sie nicht zu erschüttern. Die Jugend glaubte an ihn, er ist für sie die Symbolfigur der Revolution. Er trägt die Republik.

Wer aber kommt danach? Und: Was kommt danach?

Hier ist so oft von der Revolution die Rede, durch die sich die Guineer mit Sekou Touré an der Spitze von allen kolonialen Mißständen befreit und einen eigenstän­digen selbstbestimmten Staat erkämpft haben. Das stimmt! Und ist auch ein Grund, stolz zu sein. Aber von einem sozialistischen Staat kann natürlich noch lange nicht gesprochen werden. Zunächst gilt es, Wirtschaft und Produktionsstätten zu ent­wickeln, dem Land eine normale Existenzgrundlage zu verschaffen. Damit wäre es dann zunächst einmal in die kapitalistische Staats- und Wirtschaftsform eingetaucht, die in Europa seit der Französischen Revolution besteht. Dann erst, wenn alle Länder der Erde diese kapitalistische Gesellschaftsformation durchlaufen haben – vielleicht in 100 oder 200 Jahren, vielleicht auch schon deutlich früher – könnten neuerliche Revolutionen zu einer friedlicheren Ordnung, einem sozialistischen Staatswesen führen, in dem nicht mehr das Geld die Hauptrolle spielt.

Doch zurück zu Guinea in Westafrika, dem nach eindrucksvollen Jahren des Kennen­lernens meine Sympathie und ganze Zuneigung gehören. Bald werde ich wieder daheim sein in meiner Welt, bei meiner Dorothee und ihrer geliebten Großmama, meiner Mutter. Ich freue mich sehr darauf. Aber ich werde sie nie vergessen – die Afrikaner mit ihrer außerordentlichen Menschlichkeit, aber auch die Tropen, das Meer und die wunderbaren Sonnenuntergänge!

Die Prüfungen sind an unserer École de la Santé vorbei. Auch unser Sorgenkind Sow hat bestanden. Cece schnitt am besten ab, an zweiter Stelle lag Karifala, an dritter Roger. Cece bekommt ein Stipendium für ein Medizinstudium in Kuba, Karifala und Roger werden in Conakry Pharmazie studieren. Wie ich mich für sie freue! Abends kommen alle drei zu mir. Alles, was ich noch im Kühlschrank habe, wird aufgetischt: Broiler, Kuchen, Obstsalat. Die drei Glücklichen putzen alles weg. Sie lehnen sich im Sessel zurück und breiten die Arme aus: Die Welt liegt vor ihnen!