RotFuchs 203 – Dezember 2014

Schon Hitlers Ribbentrop verfocht
„Europäische Wirtschaftskonventionen“

Alter Wein in neuen Schläuchen

Prof. Dr. Georg Grasnick

Deutschland beging 2014 „große Jubiläen“: hundert Jahre Erster Weltkrieg, 75 Jahre Zweiter Weltkrieg, 25 Jahre „Sieg der friedlichen Revolution“. So haben es Propagandisten des neudeutschen Geschichtsrevisionismus verkündet.

In den ersten großen Krieg sei das Reich „regelrecht hineingeschlittert“, wird der Jugend vermittelt. Der zweite habe der Abwehr der Expansion des polnisches Staates gegolten. Die Berufsrevanchistin Erika Steinbach (CDU) – sie verlieh Angela Merkel erst unlängst einen eigens für sie entworfenen güldenen „Orden der Vertriebenen“ – weiß es noch besser: Polen hatte „bereits 1933 mobil“ gemacht. Der Einmarsch der Wehrmacht 1939 und damit die Auslösung des Zweiten Weltkrieges, seien „nur der zweite Schritt“ gewesen.

Und wie steht es um den „Sieg der friedlichen Revolution“? Er bestand, wie man stolz erklärt, in der Beseitigung des „Unrechtsstaates DDR“. Das war endlich ein Sieg. Er wurde im Kalten Krieg errungen, den einige US-Politologen ja als Dritten Weltkrieg einstufen.

Tatsächlich hatte der erste Friedensstaat in der deutschen Geschichte den Frevel begangen, für vier Jahrzehnte dem deutschen Imperialismus einen dritten Versuch zu verwehren, sich als Weltmacht zu etablieren.

Der erste Versuch, der zum „Platz an der Sonne“ führen sollte, verfolgte als Nahziel die Beherrschung wesentlicher Teile Europas und die Ausweitung kolonialen Besitzes auf anderen Kontinenten. Theobald von Bethmann-Hollweg, Reichskanzler Wilhelms II., erklärte im September 1914: „Es ist die Gründung eines mitteleuropäischen Wirtschaftsverbandes durch gemeinsame Zollabmachungen, unter Einschluß von Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Österreich-Ungarn, eventuell Italien, Schweden und Norwegen zu erreichen. Dieser Verband, wohl ohne gemeinsame konstitutionelle Spitze, unter äußerlicher Gleichberechtigung seiner Mitglieder, aber tatsächlich unter deutscher Führung, muß die wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands in Mitteleuropa stabilisieren.“ Die gegenüber Rußland zu verfolgenden Ziele würden „später geprüft“. Der erste Versuch, „deutsche Führung“ und die „Vorherrschaft Deutschlands“ durchzusetzen, kostete über 10 Millionen Menschen das Leben.

Mit dem zweiten Versuch wurde das angestrebt, was die SA-Mörderbanden schon frühzeitig hinausposaunt hatten: „Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.“

Als Ausgangsbasis betrachteten sie ein okkupiertes, vom deutschen Imperialismus beherrschtes Europa. Zu Hauptfeinden hatte Hitler schon Mitte der 20er Jahre den ersten sozialistischen Staat und den „Weltbolschewismus“ erklärt. Der von der Beschwichtigungspolitik der imperialistischen Westmächte begleitete „weltgeschichtliche Kampf der arischen Rasse“ gipfelte im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion.

Große Teile des Kontinents waren vier Jahre nach Beginn des Krieges von den faschistischen „Neuordnern“ versklavt, ausgeplündert und zerstört.

1943, als sich mit den Schlachten im Kursker Bogen und um Stalingrad bereits die Wende im Kampfverlauf abzeichnete, präsentierte Hitlers 1946 zum Tode verurteilter Außenminister Ribbentrop in einer Denkschrift seine Vorstellungen zur „Neuordnung“. Darin hieß es: „Die Einigung Europas ist eine zwangsläufige Entwicklung … Die Aufgabe des Europäischen Wirtschaftstages und seiner Ausschüsse ist die Vorbereitung und Durchführung europäischer Wirtschaftskonventionen zur Lösung der gemeinsamen wirtschaftlichen Aufgaben, z. B. für die Behandlung der europäischen Wirtschaftsprobleme unter dem Gesichtspunkt der Blockadefestigkeit, die Regelung des Warenaustausches nach dem Grundsatz der europäischen Präferenz gegenüber den außereuropäischen Ländern mit dem späteren Ziel einer europäischen Zollunion und eines freien europäischen Marktes, europäisches Zentralclearing und feste innereuropäische Währungsverhältnisse mit dem späteren Ziel einer europäischen Währungsunion.“

Der zweite Versuch des deutschen Imperialismus endete mit der militärischen Niederlage und nahezu 60 Millionen Toten.

Die wichtigste geopolitische Nachkriegsschöpfung der USA in Europa, der westdeutsche Separatstaat BRD, galt in der Truman-Strategie des „Zurückrollens des Kommunismus“ (Rollback) als Speerspitze. Mit dem Marshallplan wieder in den Sattel gehoben, erlangte der deutsche Imperialismus schrittweise ein beachtliches wirtschaftliches Potential. Darauf gestützt nahm er Kurs auf Einfluß und Führungspositionen im Rahmen des westeuropäischen Integrationsprozesses.

Manche Begriffe aus der 43er Denkschrift wie die Einrichtung eines „Europäischen Wirtschaftstages“ oder die Schaffung „Europäischer Wirtschaftskonventionen“, nahmen bundesdeutsche Politiker als Leitfaden ihres Handelns mit auf den Weg durch die Institutionen, von der 1957 geschaffenen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) über die Europäische Gemeinschaft (EG) bis zur EU. Die Hegemonieansprüche des deutschen Großkapitals konnten Stück für Stück – diesmal ohne Wehrmacht – umgesetzt werden.

Für den Aufbruch zu einem dritten Versuch stand dem deutschen Imperialismus jedoch bis 1989 die sozialistische Staatengemeinschaft – auf deutschem Boden die DDR – im Wege. Deren mit der Konterrevolution erreichter Anschluß an die BRD schuf den erforderlichen Freiraum für den Expansionismus des deutschen Großkapitals.

Dieses beherrscht inzwischen die weite Bereiche Europas umspannende EU. Jeder dritte der umsatzstärksten transnationalen Konzerne auf ihrem Terrain ist deutsch. Mit geballter Kraft nutzen sie das Potential der EU, um die globalen Hegemonieabsichten der BRD voranzubringen und den Wirtschaftsblock unter deutscher Führung als „Global Player“ aufzubauen. Der deutsche Imperialismus gibt nach den von Merkel und Schäuble durchgesetzten Maßstäben und Richtlinien den Ton für das weitere Vorgehen der EU an. Als Fraktionsvorsitzender der Unionsparteien im Bundestag hatte Kauder schon vor drei Jahren auf dem Leipziger CDU-Parteitag in ultranationalistischer Manier verkündet: „Jetzt wird in Europa deutsch gesprochen … Wir spüren, daß wir dieses Europa in eine neue Zeit führen müssen.“ Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD unterstreicht diesen Anspruch: „Gerade Deutschland – als größte Volkswirtschaft in Europa – kommt eine besondere Verantwortung für unseren Kontinent zu.“

Um zu erreichen, daß in ganz Europa deutsch gesprochen wird, soll der Hauptgegner Rußland als Großmacht geschwächt und möglichst zu Fall gebracht werden. Während in den tonangebenden Medien der BRD Russophobie längst zum Tagesprogramm gehört, wird die politisch-militärische Einkreisung Rußlands fortgesetzt. Nach dem von der US-Administration und der BRD-Regierung gesponserten Kiewer Staatsstreich erklärte Ex-NATO-Generalsekretär Rasmussen im Namen des Kriegspaktes die Bereitschaft, dessen „Beziehungen zur Ukraine zu intensivieren“. Es folgte der bestellte Aufnahmeantrag des Klüngels um „Premier“ Jazenjuk.

BRD-Außenminister Steinmeier verkündete auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014: „Deutschland muß bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substantieller einzubringen.“

Unterdessen ist die Neubesetzung der EU-Spitzenposten erfolgt. Das Führungstrio Juncker/Tusk/Mogherini trage „ganz unzweifelhaft eine deutsche Handschrift“, urteilten renommierte Beobachter der Brüsseler Szene. Berlin habe über Juncker faktisch die Nominierung des EU-Leitungspersonals an sich gerissen. Die Zahl der BRD-Beamten, die Spitzenpositionen in den Brüsseler Apparaten einnehmen, ist inzwischen Legion.