RotFuchs 234 – Juli 2017

Anti-DDR-Hetze „im Namen des Volkes“

RA Ralph Dobrawa

Die vollendeten, aber auch die nicht gelungenen Versuche von westlicher Seite, die Deutsche Demokratische Republik auf dem Gebiet der Wirtschaft und Kultur zu schädigen, waren in den ersten Jahren nach ihrer Gründung besonders zahlreich. Dadurch entstand ein nicht unerheblicher volkswirtschaftlicher Schaden und wurde Unruhe und Unsicherheit bei der Bevölkerung erzeugt. Mit jedem Jahr der Existenz der DDR gab es weniger solche Handlungen. Wer jedoch annimmt, nach Abschluß des Grundlagenvertrages hätte es solche Ereignisse nicht mehr gegeben, der irrt.

Markantes Beispiel dafür ist der Diebstahl von wertvollen Bildern alter Meister, unter anderem von Tintoretto, die sich im Museum der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci befanden. Sie stammten aus einer Gemäldesammlung Friedrich II. Am 29. Januar 1977 drangen zunächst unbekannte Täter in das Museum ein und entwendeten insgesamt zehn Bilder. Weitere drei wurden beschädigt, darunter eines von Peter Paul Rubens. Der Gesamtwert der gestohlenen Bilder wurde mit einer Million Mark angenommen. Bereits frühzeitig deutete die Spurenlage darauf hin, daß die Täter aus der BRD gekommen sein mußten und sich wohl auch nach dorthin wieder abgesetzt hatten. Das erschwerte die Aufklärung beträchtlich. Erst als sich knapp zwei Monate später ein Mann aus dem Raum München beim Bundeskriminal­amt meldete, um mitzuteilen, daß ihm ein namentlich Bekannter die Gemälde zum Kauf anbot, kam Bewegung in die Sache. Im Rahmen einer Observationsmaßnahme wurden durch die Polizei zwei Personen festgenommen, in deren Pkw sich vier der gestohlenen Bilder befanden. Die sechs weiteren tauchten in einem anderen Pkw auf, als ein Tatverdächtiger in Untersuchungshaft sich offenbarte. Insgesamt waren fünf Personen verdächtig, an dem Diebstahl beteiligt gewesen zu sein. Darunter auch ein gewisser Bernd W., der bis 1961 in der BRD lebte und dann zu seinen Großeltern in die DDR zurückkehrte. 1969 wurde er hier straffällig und durch das Bezirksgericht Erfurt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, später erneut 1974 zu drei Jahren Freiheitsstrafe. Nach seiner Entlassung siedelte er in die BRD über.

Im Zuge der weiteren Ermittlungen räumten zwei weitere der Tatverdächtigen ihre Beteiligung ein, wobei darauf hingewiesen wurde, daß man mit dem eigentlichen Einbruch und dem Verbringen der Gemälde in die BRD nichts zu tun habe. Hierfür hätte der bereits genannte W. zwei Türken beauftragt, welche ihrerseits die Gemälde an eine andere namentlich bekannte Person noch auf dem Territorium der DDR übergeben hatten, die sie nunmehr heimlich in die BRD schafften. Auch diese drei Personen konnten festgenommen werden. Einer der beiden angeheuerten Türken sagte dann aus, daß er von W. angesprochen worden war, der ihnen sagte, worum es ging und wie sie bei dem Einbruch vorgehen sollten. Dabei konnte W. auf Kenntnisse zurückgreifen, die er als Architekt in der DDR mit dem Schloß Sanssouci gewonnen hatte. Über den Grenzübergang Helmstedt gelangten die Bilder schließlich in die BRD. Letztlich gestanden alle an der Tat Beteiligten bis auf W. ihre Mitwirkung ein. Die zuständigen Organe der DDR wurden über die Sicherstellung der Bilder und die Ergrei­fung der Täter nicht informiert und erhielten erst Kenntnis aus der West-Presse. Daraufhin bevollmächtigte der Generaldirektor der Schlösser und Gärten Sanssouci Rechtsanwalt Prof. Dr. Kaul, sich um die Rückführung der Gemälde in die DDR zu kümmern.

Dieser setzte sich mit der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main in Verbindung und sprach mit der zuständigen Oberstaatsanwältin. Bis zur Anklageerhebung mußten sie noch im Westen verbleiben. Man hatte sie in einem Museum in Wiesbaden einge­lagert. Dort wurden sie von Professor Kaul und einem Restaurator der Potsdamer Schlösser und Gärten in Augenschein genommen. Späterhin mußten beide wiederum aus der BRD-Presse entnehmen, daß die Hauptverhandlung gegen die Tatbeteiligten für den 25. April 1977 vor dem Amtsgericht Frankfurt/Main anberaumt worden war. So kam es, daß auch Rechtsanwalt Kaul zu diesem Zeitpunkt sich im Gerichtssaal befand. Er erlebte den Ablauf der Verhandlung mit, die damit begann, daß einer der Anwälte die DDR als einen „Unrechts- und Verbrecherstaat“ bezeichnete und sich alle anderen anwesenden Verteidiger diesen Hetztiraden anschlossen. Selbst die zustän­dige Oberstaatsanwältin sah sich zunächst nicht veranlaßt, hierauf in irgendeiner Weise mäßigend oder zurückweisend zu reagieren. Erst nachdem sie Professor Kaul in einer Pause auf diese unmöglichen Vorgänge hinwies, entschuldigte sie sich nach Fortsetzung der Verhandlung bei ihm für die Beleidigungen gegenüber der DDR.

Unabhängig von der Rückgabe der Bilder hatte Rechtsanwalt Kaul auch einen Schad­en­ersatzantrag gestellt. Gegen diesen tönte es nunmehr erneut von der Verteidiger­bank: Das Westberliner Oberverwaltungsgericht hätte entschieden, daß öffentliche Einrichtungen der „Sowjetzone“ keinen rechtsstaatlichen Schutz genießen würden. Außerdem habe das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Grundlagenvertrages festgestellt, „daß das ,Deutsche Reich‘ nach wie vor bestünde; sein ,geborener und gekorener Sachwalter‘ sei die Bundesre­publik Deutschland. Die in Frage stehenden Bilder seien widerrechtlich von dem ,Sowjetzonen-Staat‘ okkupiert und dem Sachwalter des rechtmäßigen Eigentümers, dem der Bundesrepublik, rechtswidrig vorenthalten worden“. Und schließlich: Der Schadenersatzantrag würde sich nicht zur Entscheidung im Strafverfahren eignen, weil doch der Initiator des Einbruchs W. gegenüber dem „Zonenstaat“ schließlich „Ansprüche wegen rechtswidriger Freiheitsberaubung und wegen der ebenso unrecht­mäßigen Beschlagnahme seines Kraftwagens habe und deshalb gegen die Schaden­ersatzforderung die Aufrechnung erklären könne“. Trotz dieser hanebüchenen Be­gründung folgte das Gericht dem Begehren, den Antrag auf Schadenersatz zurück­zuweisen.

Nun kam der Auftritt des Drahtziehers W. Er behauptete jetzt in unverschämter Drei­stigkeit – nachdem er zunächst vorangestellt hatte, daß er das „Zonenregime“ has­sen würde –, nicht in Bereicherungsabsicht gehandelt zu haben. Sein Ziel wäre es gewesen, „unseren Brüdern in der ,Zone‘ zu helfen“. Bereits während seiner Haftzeit in Cottbus sei ihm die Idee gekommen, Kunstwerke aus DDR-Museen zu stehlen und sie erst zurückzugeben, wenn verlangte Ausreisen gewährt werden würden. Er hielt das anscheinend für ein ehrenwertes Motiv. Im gleichen Atemzug bezeichnete er Professor Kaul als „Agenten des Staatssicherheitsdienstes“. Das Gericht verhängte Bewährungsstrafen zwischen elf und sechs Monaten. Der Hauptangeklagte W. erhielt eine solche von zwei Jahren. Dabei wurde ihm das vorgelogene Handlungsmotiv zu seinen Gunsten angerechnet. Jetzt war spätestens der Zeitpunkt, wo die Bilder an die DDR zurückzugeben waren. Die zuständige Oberstaatsanwältin versuchte Rechtsan­walt Kaul einige Tage hinzuhalten. Hier bestand die Gefahr, daß wegen des behaup­teten Aufrechnungsanspruchs durch W. von diesem ein Arrestbeschluß über die Bilder erwirkt wird und damit deren Rückgabe über längere Zeit verhindert würde.

Es ist letztlich nur dem unnachgiebigen Drängen von Professor Kaul zu verdanken, daß er bereits am Morgen nach der Urteilsverkündung die Herausgabe der Bilder bewerkstelligen und sie in seinem Pkw wieder sicher auf das Territorium der DDR zurückbringen konnte.

Das Beispiel zeigt einmal mehr, wie die gegen die DDR betriebene Hetze mit einher­gehender rechtswidriger Schädigung auch noch Jahre nach Abschluß des Grundla­genvertrages in einem Frankfurter Gerichtssaal seine Billigung fand – und das noch dazu „im Namen des Volkes“!

Robert Allertz:

Im Visier die DDR
Eine Chronik

edition ost / Das Neue Berlin
Berlin 2002,192 Seiten
ISBN 978-3-360-01039-6