RotFuchs 214 – November 2015

Eine linke Antwort an Brüssels und Berlins Europa der Würger

Auf der Suche nach einem Ausweg

RotFuchs-Redaktion

Am 13. Juli wurde die demokratisch gewählte griechische Regierung Tsipras von der Europäischen Union auf die Knie gezwungen. Das „Abkommen“ vom 13. Juli ist in Wirklichkeit ein Staatsstreich. Es wurde mit der Schließung der griechischen Banken durch die Europäische Zentralbank (EZB) und der Drohung durchgesetzt, die Wiedereröffnung so lange zu untersagen, bis die griechische Regierung eine neue Fassung des bereits gescheiterten Programms unterzeichnet. Warum? Weil das offizielle Europa nicht den Gedanken ertragen kann, daß ein Volk, das unter einem zerstörerischen Austeritätsprogramm leidet, es wagen konnte, eine Regierung zu wählen, die entschlossen war, NEIN! zu sagen.

Yannis Varoufakis,
Jean-Luc Mélenchon
und Oskar Lafontaine
auf dem diesjährigen Fest
der „Humanité“ in
La Courneuve bei Paris

Ziehen wir die Lehren aus diesem Staatsstreich. Der Euro ist zum Instrument der wirtschaftlichen und politischen Herrschaft der europäischen Oligarchie geworden, die sich hinter der deutschen Regierung versteckt und sich dabei freut, daß Frau Merkel die Drecksarbeit übernimmt, welche die anderen Regierungen nicht in der Lage sind zu tun. Dieses Europa führt nur zu Gewalt innerhalb der und zwischen den Nationen: Massenarbeitslosigkeit, enormes Sozialdumping, Beleidigungen Süd­europas durch die deutsche Führung, denen sich alle „Eliten“ anschließen, einschließlich jener der betroffenen Länder selbst.

Die Europäische Union trägt so zum Aufstieg der extremen Rechten bei und ist zum Instrument geworden, mit dem die demokratische Kontrolle über die Produktion und Verteilung der Reichtümer in Europa entsorgt wird.

Zu behaupten, der Euro und die Europäische Union würden den Europäern nützen und sie vor Krisen schützen, ist eine gefährliche Lüge. Es ist eine Illusion zu glauben, daß die Interessen Europas innerhalb der Zwangsjacke der Regeln der Euro-Zone und der bestehenden Verträge vertreten werden könnten.

Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, hat es deutlich ausgesprochen: „Es kann keine demokratische Wahl gegen die europäischen Verträge geben.“

Wir haben es hier mit der neoliberalen Variante der „begrenzten Souveränität“ zu tun.

Wir sind entschlossen, mit diesem Europa zu brechen. Das ist die Voraussetzung dafür, die Zusammenarbeit zwischen unseren Völkern wieder auf eine neue Grundlage zu stellen.

Wir erleben eine außergewöhnliche Zeit. Wir sind mit einer Ausnahmesituation kon­frontiert.

Die Mitgliedsstaaten müssen politischen Spielraum bekommen, der ihren Demo­kratien Luft zum Atmen gibt und die Möglichkeit, eine Politik zu verfolgen, die an die nationalen Gegebenheiten angepaßt ist.

Unser Plan A lautet: Wir setzen uns in unseren jeweiligen Ländern und gemeinsam in Europa dafür ein, die europäischen Verträge völlig neu zu verhandeln. Wir verpflich­ten uns zu einer Kampagne des Ungehorsams gegenüber den europäischen Willkür­praktiken und irrationalen Regeln, bis die Neuverhandlung erfolgreich ist.

Unsere erste Aufgabe ist es, Schluß mit der Verantwortungslosigkeit der Euro-Gruppe zu machen. Die zweite Aufgabe besteht darin, mit der angeblichen Unabhängigkeit und dem scheinbar unpolitischen Charakter der Zentralbank aufzuräumen. In Wirk­lichkeit ist die EZB hoch politisiert (und das auf besonders perfide Art und Weise), sie ist völlig abhängig von Pleitebanken und deren politischen Vertretern. Sie ist jederzeit bereit, die Demokratie auf Knopfdruck abzuwürgen.

Auch die Mehrheit der Regierungen, welche die europäische Oligarchie repräsentieren und sich gern hinter Berlin und Frankfurt verstecken, hat einen Plan A: der Forderung der europäischen Bürger nach Demokratie auf keinen Fall nachzugeben und deren Widerstand rücksichtslos zu brechen.

Wir haben das im Juli in Griechenland erlebt. Warum ist es ihnen gelungen, die demo­kratisch gewählte Regierung Griechenlands zu unterwerfen? Weil sie auch einen Plan B hatten: nämlich Griechenland unter den schlimmsten Bedingungen aus dem Euro zu werfen und sein Bankensystem und seine ganze Volkswirtschaft zu zerstören.

Angesichts einer solchen Erpressung brauchen auch wir einen Plan B, um den reaktionärsten und undemokratischsten Kräften Europas etwas entgegensetzen zu können. Aber wir brauchen einen Plan B auch, um das einfache Prinzip zu bekräf­tigen, daß Europa nichts anderes ist als seine Bürger. Währungen sind dagegen nur ein Instrument, um Wohlstand für alle zu schaffen, nicht aber Folterwerkzeuge oder Waffen, um die Demokratie abzuwürgen.

Wenn der Euro nicht demokratisiert werden kann, wenn sie ihn weiterhin dazu benutzen, die Völker zu unterdrücken, werden wir uns erheben. Wir werden ihnen in die Augen blicken und sagen: „Probiert es doch mal, versuchsweise! Eure Drohungen schrecken uns nicht. Wir werden Wege zu einem Währungssystem finden, das zum Wohl der Menschen funktioniert, nicht gegen sie.“

Unser Plan A für ein demokratisches Europa, abgesichert durch einen Plan B, der allen zeigt daß die Herrschenden uns nicht bis zur Unterwerfung terrorisieren können, zielt darauf ab, die Mehrheit der Europäer zu erreichen. Zahlreiche Ideen liegen bereits auf dem Tisch: die Einführung paralleler Zahlungssysteme, Parallel­währungen, die Digitalisierung von Euro-Transaktionen, um Liquiditätslücken zu vermeiden, alternative, gemeinschaftsbasierte Tauschsysteme, der Ausstieg aus dem Euro und die Transformation des Euros in eine wirklich gemeinsame Währung.

Keine europäische Nation wird ihre Befreiung isoliert von den anderen erreichen. Unsere Vision ist internationalistisch. Im Vorgriff auf das, was je nach politischer Entwicklung in Spanien, Irland und – warum nicht auch noch einmal – in Griechen­land und in Frankreich 2017 geschehen kann, müssen wir – unter Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten – gemeinsam und konkret an einem Plan B arbeiten.

Wir schlagen deshalb eine Internationale Konferenz für einen Plan B in Europa vor. Sie ist offen für Bürger und Bürgerinnen, zivilgesellschaftliche Organisationen und Akademiker. Beteiligt Euch!

Jean-Luc Mélenchon, Europaabgeordneter
Mitbegründer von Parti de Gauche (Linkspartei), Frankreich

Stefano Fassina, Abgeordneter
stellvertretender Wirtschafts- und Finanzminister a. D., Italien

Zoe Konstantopoulou, Präsidentin des griechischen Parlaments

Oskar Lafontaine, Finanzminister a. D.
Mitbegründer der Partei Die Linke, Deutschland

Yanis Varoufakis, Abgeordneter
Finanzminister a. D., Griechenland

(Redaktionell gekürzt)