RotFuchs 197 – Juni 2014

Wie die EU den bäuerlichen Familienbetrieb
ein zweites Mal erfindet

Aus alt mach neu

Eberhard Herr

Bäuerlicher Familienbetrieb – kurz BFB – hört sich zunächst einmal gefällig an. Den hat die EU wieder neu erfunden und ihm sogar das Jahr 2014 gewidmet. Man solle den kleinen Klitschen mehr Aufmerksamkeit widmen, erklärte EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos.

Doch was hat es denn eigentlich damit auf sich?

Natürlich klingt diese Bezeichnung besser und vor allem umweltfreundlicher als industrielle Massentierhaltung oder Hühnerlegebatterien – Begriffe, die beinahe schon zu Schimpfworten geworden sind.

Aber was nun eigentlich unter BFB konkret zu verstehen ist, hat der Brüsseler Agrarbevollmächtigte nicht verlauten lassen. Daß solche Betriebe in Island beispielsweise völlig anders strukturiert sind als in Portugal oder Irland, liegt doch wohl auf der Hand. Welche Hektarfläche ist für sie vorgesehen? Für welchen Markt produzieren sie, und wie hoch ist überhaupt ihr Marktanteil? Wie werden sie bewirtschaftet? Die Angabe, daß sie privat und vermutlich von nur einer Familie betrieben werden, reicht doch als Erklärung kaum aus – jedenfalls nicht für eine exakte Beurteilung ihrer ökonomischen und sozialen Rolle.

Bäuerliche Familienbetriebe sind auch auf den verschiedenen Erdteilen sehr differenziert zu betrachten. Was passiert beispielsweise in Moçambique, wenn die Fluten des Sambesi unzählige kleinbäuerliche Anwesen hinwegspülen? Verfügt Maputo denn über genügend Mittel, um die betroffenen Wirtschaften wieder in Gang zu setzen?

Doch ich will nicht abschweifen, sondern im Lande bleiben. Ich stehe im 86. Jahr meines Lebens und war immer Landwirt. Gelernt habe ich von 1944 bis 1946 auf einem Großbauernhof. Nachweislich war dieser seit 1642 in Familienbesitz. In meiner Lehrzeit herrschte Krieg. Der Bauer mit seiner Frau, einem erwachsenen Sohn und einer halbwüchsigen Tochter waren die Eigner. Die Bewirtschaftung des Hofes erfolgte durch zwei deutsche Lehrlinge, zwei „Fremdarbeiter“ – einen Polen und einen Ukrainer. Eine Polin versah überdies den Haushalt. Bei der großen Wäsche halfen auch noch zwei Frauen aus dem Dorf. Auf dem Acker wurden verschiedene Kulturen angebaut, und in den Ställen standen Pferde, Kühe, Jungvieh, Schweine, Schafe, Hühner, Enten und Gänse, von einem Hofhund und Katzen ganz abgesehen. So sah damals ein deutscher großbäuerlicher Familienbetrieb aus. Seine Marktleistung war allerdings eher gering. Bis zu meiner langjährigen Tätigkeit in der LPG Vippachedelhausen im Landkreis Weimar – die Leser werden sich an meine diesbezügliche Artikelserie im RF erinnern – habe ich noch in drei ähnlichen bäuerlichen Wirtschaften gearbeitet. Sie waren allerdings kleiner und ihre Produktion für den Markt dementsprechend bescheidener.

Nach dem Anschluß der DDR an die BRD im Oktober 1990 lernte ich in Hessen auch dortige Großbauernwirtschaften kennen. Diese hatten sich alle schon irgendwie spezialisiert – die einen auf Schweinemast, andere auf Milchproduktion, wieder andere auf Schafzucht.

In solchen Betrieben ist es immer wichtig, daß es einen männlichen Erben gibt, der die Wirtschaft weiterführen kann. Unter den Bedingungen der alten BRD kamen deshalb viele Höfe, bei denen er fehlte, unter den Hammer des Versteigerers, was zur Vergrößerung der bestehenden Betriebe führte.

Demgegenüber wurden in der DDR alle Aussteiger von den Genossenschaften, die man als LPG bezeichnete, aufgefangen. Niemand ging pleite, wenn ein Erbe fehlte. Alle Mitglieder und deren Kinder hatten in der LPG ihr gesichertes Auskommen.

Nach der „Wende“, wie die Ein-verleibung der DDR durch die BRD oftmals irreführenderweise bezeichnet wird, verwandelten sich viele LPG in Genossenschaften bürgerlichen Rechts. Heute sind das meist große spezialisierte Betriebe mit einer hohen Arbeitsproduktivität und entsprechenden Marktleistungen. Eigentlich handelt es sich um Mehrfachfamilienbetriebe. Man könnte auch sagen, die Genossenschaft verbindet die Beteiligten und ermöglicht ihnen, gemeinsam wirtschaftliche wie ideelle Ziele zu verfolgen.

Ich betrachte es als reine Augenwischerei, wenn die EU plötzlich die Trommel für die Rückkehr zum BFB rührt. Bei ihr handelt es sich doch um eine Allianz zur Durchsetzung der Interessen des europäischen Finanzkapitals. Einerseits möchten es die EU-Fürsten nicht mit der bäuerlichen Agrarproduktion verderben, andererseits tragen sie dem Gesetz der Konzentration und Zentralisation der Produktion Rechnung. In den Kommandozentralen der Agrarkonzerne wird man sich bei soviel Naivität, wie sie Brüssel zur Schau stellt, sicher ins Fäustchen lachen.

Ohne Zweifel gibt es beim Prozeß der Herausbildung riesiger Landwirtschaftsunternehmen auch mannigfache negative Begleiterscheinungen. Es müßte daher feste staatliche und veterinärmedizinisch vertretbare Regeln für Größenordnungen und deren Einhaltung geben, die streng zu kontrollieren wären.

In der DDR bestanden drei Jahrzehnte lang erfolgreich wirtschaftende Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften. Und nun gibt es schon über 20 Jahre in gewisser Weise an sie anknüpfende Betriebe in bürgerlicher Rechtsform. Das genossenschaftliche Produzieren ist – wie die Erfahrung beweist – der erfolgversprechende Ausweg aus der Misere einzelbäuerlicher Bewirtschaftung unter kapitalistischen Bedingungen. Er ist langfristig die einzig vernünftige Alternative für die Bauern, natürlich vor allem bei Bestehen sozialistischer Produktionsverhältnisse, deren Lehren trotz der Niederlage weiterwirken.