RotFuchs 212 – September 2015

Vom Kongreß der Erneuerung zum Kongreß der Solidarität

Belgiens PTB auf Erfolgskurs

RotFuchs-Redaktion

Die Partei der Arbeit Belgiens – auf flämisch und französisch als PvdA/PTB abgekürzt – ist derzeit wohl Europas am schnellsten wachsende und Einfluß gewinnende marxistische Partei. Zählte sie noch vor wenigen Jahren nicht mehr als 2000 eingeschriebene Mitglieder, so konnte der im Juni auf dem „Kongreß der Solidarität“ (wie der Parteitag bezeichnet wurde) wiedergewählte Parteivorsitzende Peter Mertens von inzwischen 10 000 Genossinnen und Genossen berichten. Bis 2020 sollen es 17 000 sein.

Waren auf die Liste der PTB 2007 nicht mehr als 50 000 Stimmen entfallen, so votierte 2014 bereits eine Viertelmillion wahlberechtigter Landesbürger für die Partei, was zum Einzug von zwei PTB-Mandatsträgern in das Nationalparlament führte.

Eine kämpferische Aufbruchatmosphäre beseelte den PTB-Parteitag.
Eine kämpferische Aufbruchatmosphäre beseelte den PTB-Parteitag.

Der jüngste Parteikongreß im Palais von Heyzel brachte die dynamische linke Formation wieder ein Stück voran. Während ihrer strategischen Orientierung ohne Zweifel die marxistische Theorie in ihren drei Bestandteilen zugrunde liegt, versteht es die PTB unter Vermeidung dogmatischer Positionen und sektiererischer Enge zugleich, auch jene Schichten der arbeitenden Bevölkerung, der Jugend und der Immigranten zu erreichen, die mit der revolutionären Theorie noch nicht in Berührung gekommen sind. Das drückt sich nicht zuletzt auch in der Vermeidung einer kopflastigen oder nur Eingeweihten zugängliche Terminologie aus. Die PTB zeigt damit anderen marxistischen Kräften, wie man komplizierte Dinge einfach und so erklären kann, daß selbst Außenstehenden der Zugang zur eigenen Erkenntnis erleichtert wird.

Besonders positiv wirkte sich die Erneuerung und Verjüngung der PTB-Führung aus. Auf dem „Kongreß der Solidarität“ hielt der erst etwas über 40jährige, hochgebildete und außergewöhnlich kommunikative Parteivorsitzende Peter Mertens eine programmatische Rede. Mit seinem Namen verbindet sich eine echte Wende in der Politik der PTB, die 2008 mit dem „Kongreß der Erneuerung“ eingeleitet wurde.

Die Bedeutung jenes Kongresses kann man nur ermessen, wenn man sich mit der gesamten Entwicklung der PTB vertraut macht, die ursprünglich als abgeschirmte Kaderorganisation ohne hinreichende Verbindungen mit der Arbeiterklasse und breiteren Volksschichten durch eine Gruppe linksgerichteter Studenten ins Leben gerufen worden war. Innere Auseinandersetzungen kosteten viel Kraft, bis sich in einem jahrelangen Klärungsprozeß solide marxistische Kräfte innerhalb der Partei und ihrer Führung durchzusetzen vermochten.

Doch bereits aus zurückliegender Zeit gibt es Beachtliches zu vermelden. So schuf die PTB ein landesweites Netz von Ärztehäusern für die ärmeren Schichten der Bevölkerung, wobei die Tatsache zu Buche schlug, daß sich unter den Parteigründern etliche Medizinstudenten befunden hatten.

Doch der Weg zu einer einflußreicheren Partei mit klarer Kursnahme wurde erst nach dem bereits erwähnten „Congrès du Renouveau“ – dem Erneuerungskongreß – konsequent und erfolgreich eingeschlagen. Dabei hatten außer Peter Mertens, der mit dem Bestseller „Wie können sie es wagen“ auch ein theoretisch gewichtiges Buch schrieb, gestandene und neu hinzugekommene Kampfgefährten großen Anteil. Zur Vertiefung der ideologischen Debatte trägt nicht zuletzt auch die von Herwig Lerouge herausgegebene theoretische Zeitschrift „Études Marxistes“ erfolgreich bei.

Der „Congrès de la Solidarité“ hat nun weitere Pflöcke eingeschlagen und der Partei neue Einflußsphären erschlossen. Interesse erweckte die mehrfarbige neue Parteifahne, auf der neben den roten und gelben Sternen erstmals auch ein grüner Stern zu entdecken war, was auf die Absicht einer Verstärkung ökologischer Aspekte im Wirken der PTB schließen läßt.

Nach dem Parteitag befragte die PTB-Monatszeitschrift „Solidaire“ eine Reihe von Delegierten und Gästen nach ihren Eindrücken. Die 27jährige Irina Meeusen aus Antwerpen sagte dem Reporter: „Wir konzentrieren uns heute auf den sozialen Kampf und arbeiten für Alternativen und konstruktive Lösungen im Hinblick auf die drängendsten Probleme. Doch wir müssen zugleich tiefer über den Gesellschaftstyp nachdenken, den wir wollen und verteidigen.“ Es gehe um Ausgeglichenheit zwischen der Wahrung prinzipieller Grundlagen der PTB – des Marxismus – und klugem Herangehen an neue Fragen, welche die Entwicklung der Gesellschaft in Belgien aufwerfe.

Peter Mertens, der die enthusiastische und zugleich warmherzige Atmosphäre des Kongresses hervorhob, sagte zum gleichen Thema: „Nach dem Fall der Berliner Mauer haben die Ideologen der Bourgeoisie das Ende der Debatte über ein neues Gesellschaftsmodell verkündet und dekretiert, daß es zum Kapitalismus keine Alternative gebe. Inzwischen aber wird in Teilen Europas und besonders in Lateinamerika von neuen Generationen über Gesellschaftsmodelle ohne Ausbeutung diskutiert. In den Dokumenten der PTB über den Sozialismus im 21. Jahrhundert wird eine Reihe zum Ziel führender Pisten angeboten.“ Ein neuer Wind wehe auch in Spanien und Griechenland. Doch wenn ein Volk wie das hellenische eine andere Option als die von Washington, Berlin und Brüssel vorgegebene treffe, dann zähle das in deren Augen überhaupt nicht. Das einzige, was für sie Geltung habe, sei das Diktat der Europäischen Kommission. Diese „Aristokraten des Geldes“ verkündeten ohne Skrupel, daß es keinen anderen Weg gebe als den von ihnen diktierten Austeritätskurs.

Angesichts solcher Tatsachen hat die PTB den Völkern Griechenlands und Spaniens auf sehr spezifische Weise ihre Solidarität bewiesen. Raoul Hedebouw, einer der beiden PTB-Abgeordneten, begab sich nach Athen, um dort im Plenum des griechischen Parlaments den Standpunkt seiner belgischen Genossen zur EU darzulegen. Und nicht zufällig wurde der junge Spanier José Enrique Alonso Velasco von der erfolgreichen Bewegung gegen die Zwangsexmittierungen auf dem Kongreß im Palais de Heyzel mit großer Wärme empfangen.

Übrigens: Dem dort gewählten Nationalrat der PTB – er ist das höchste Führungsgremium der Partei – gehören 30 der 45 Mitglieder erstmals an.

RF, gestützt auf „Solidaire“, Brüssel