RotFuchs 227 – Dezember 2016

Bleibt Schweden weiter blockfrei?

Peter Steiniger

Die auf Harmonie und Kompromiß bedachten Schweden streiten. Schuld daran ist Angstmacher Rußland. In der Sicherheitspolitik gehen in Stockholm die Meinungen auseinander. Die Frage einer NATO-Mitgliedschaft des blockfreien skandinavischen Landes steht seit Ausbruch des Ukrainekonflikts wieder einmal groß auf der Tagesordnung. Politiker und Medien malen eine unsichtbare Gefahr aus, die erneut aus dem Osten kommt. Vom Zwischenfall im Luftraum scheint es nicht mehr weit bis zur Einverleibung des Königreichs durch eine fremde Macht. Da heißt es, gewappnet zu sein. Nach Jahren der Kürzungen in diesem Etat – was zur Stabilisierung seiner Finanzen nach der Krise Anfang der 90er Jahre beitrug – steigen die Militärausgaben nun wieder. Neue U-Boote und Kampfflugzeuge werden angeschafft. Die Insel Gotland soll durch eine eigene Garnison schwerer vom Iwan einzunehmen sein. Und ab 2018 werden jährlich sogar wieder einige tausend Männer und Frauen zum Wehrdienst herangezogen.

Graphik: Gertrud Zucker

Graphik: Gertrud Zucker

Die Minderheitsregierung von Premier Stefan Löfven aus Sozialdemokraten und Grünen steht dennoch von seiten der bürgerlichen Opposition in der Kritik, welche allein den Beitritt zur NATO als eine wirksame „Versicherung“ gegen den rauflustigen russischen Bären anpreist. Doch eine solche will das Kabinett weiterhin nicht abschließen. Immerhin nähert man sich der Allianz weiter an. In deren strategische Planungen ist das Land seit Jahrzehnten als Verbündeter einbezogen und mit ihr heute im Rahmen einer sogenannten Partnerschaft für den Frieden liiert. Ende September erklärte Stockholm zudem seinen Beitritt zum Stratcom-Exzellenzzentrum der NATO für Strategische Kommunikation, das deren Propagandazwecken und für psychologische Operationen dient. Sowohl Schweden als auch Finnland, wo gerade eine ähnliche Debatte stattfindet, könnten im Krisenfall den Beistand der NATO erbitten. Mit einem Anschluß an den Pakt riskierten sie eine drastische Verschlechterung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Rußland und dessen Partnern.

Gestiegen ist nach Umfragen die Anzahl der schwedischen Bürger, die sich mittlerweile für einen Beitritt zum westlichen Militärbündnis aussprechen. Doch überwiegt in der Bevölkerung weiter eine ablehnende Haltung. Und ohne eine Volksabstimmung führt in Schweden kein Weg hinein in den Nordatlantikpakt.

Daß sich zwischen Trelleborg und Kiruna nicht wenige gegenüber den Schlagzeilen vom angeblichen Kriegstreiber Putin und zu den Lockrufen aus Brüssel resistent zeigen, hat viele Gründe. Zum einen ist es ein altes, noch aus den Tagen des kalten Krieges wohlbekanntes Gespenst, welches die Rechte an die Wand malt. Schweden wurde auch damals damit fertig, ohne sich der NATO förmlich anzuschließen. Zum anderen schlagen sich die von dem Pakt nach dem Verschwinden seines Konterparts auf dem Balkan, im Nahen Osten und in Nordafrika betriebenen Kriege sowie deren chaotische Folgen, einschließlich der dadurch ausgelösten Flüchtlingsströme, in der öffentlichen Meinung nieder. Teil dieser Kriegsallianz zu werden, bedeutete zudem auch in den Augen vieler Schweden, ihr Land zu einem potentiellen Ziel von Terroranschlägen zu machen. Schwer zu vermitteln ist ihnen ohnehin, daß die Ostausdehnung der NATO seit dem Zerfall der Sowjetunion nicht von Rußland selbst als bedrohlich gesehen werden muß. Andere lehnen die NATO als US-geführtes imperialistisches Projekt oder aus pazifistischer Gesinnung grundsätzlich ab.

In der Haltung zur NATO zieht sich auch ein Riß durch die politischen Institutionen in Stockholm. Dies zeigt sich an der Debatte zu der Frage, welche Haltung Schweden in der UNO in den Verhandlungen über einen Atomwaffen-Verbotsvertrag einnehmen soll. Noch vor Jahresende will die Generalversammlung über einen entsprechenden Antrag der Mitgliedsstaaten Südafrika, Brasilien, Österreich, Irland, Mexiko und Nigeria, welcher auf dem geltenden Nichtweiterverbreitungsabkommen aufbaut, beraten. Was der Weltsicherheitsrat in seiner Sitzung vom 23. September 2016 zur „Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihren Trägersystemen“ einmal mehr bekräftigte, nämlich, daß diese „eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit darstellt“, würde dann auch für den Besitz solcher Schlüssel zur Apokalypse gelten. Gefordert wird die „vollständige Vernichtung“ aller Kernwaffen. Bei den Atommächten, die ihre Kernwaffenarsenale derzeit aufwendig modernisieren und die Schwelle zum möglichen Einsatz auf dem Gefechtsfeld senken – der Trend geht zu kleineren Sprengköpfen –, trifft das auf taube Ohren.

Für den verteidigungspolitischen Sprecher der konservativen Moderaten im schwedischen Reichstag, Hans Ingmar Wallmark, geht es hierbei nicht nur um Symbolpolitik. Er fordert ein klares Nein Schwedens zur UN-Resolution – nur so lasse sich die Tür zur NATO offenhalten. Damit trifft er auch im Verteidigungsministerium manchen Nerv. Hier fürchtet man eine Beeinträchtigung der engen Zusammenarbeit mit der NATO und Nachteile im Geschäft mit Rüstungsgütern, sollte Stockholm der USA als größter Nuklearmacht Moral predigen wollen. Schwedens Eliten und besonders das Militär sind ohnehin mit Brüssel und Washington im Bunde. Das hat hier Tradition, auf dem „unsinkbaren Flugzeugträger“, als welcher das blockfreie Schweden von den USA nach dem zweiten Weltkrieg angesehen wurde. Während der sogenannten U-Boot-Vorfälle in den 80er Jahren spielten hohe Militärs eine dubiose Rolle. Nach Antritt der Regierung Löfven 2014 kam es zu einer Neuauflage. Mehrfach wurde in jüngster Zeit Jagd auf vermeintlich russische U-Boote gemacht. Es ist dasselbe Muster: Erneut wird eine mediale Hysterie erzeugt und so die öffentliche Meinung manipuliert. Das politische Spiel von Militärs und Geheimpolizei hinter dem Rücken der eigenen Regierung brachte damals die Regierung des Sozialdemokraten Olof Palme in Bedrängnis, der nicht nach US-Pfeife tanzte. Von konservativen Kreisen wurde der großbürgerliche Palme zum Verräter gestempelt. Dieser suchte die Blockkonfrontation zu überwinden und setzte sich für nuklearwaffenfreie Zonen ein. Damit stand er Reagans Strategie eines Totrüstens der Sowjetunion direkt im Weg. Am 28. Februar 1986 wurde Olof Palme ermordet. Der Täter konnte nie zweifelsfrei ermittelt werden.

Ganz so gefährlich lebt Schwedens Außenministerin Margot Wallström wohl nicht. Allerdings hat sich die Löfven-Regierung den Einsatz für Abrüstung auf die Fahne geschrieben. Sollte sie sich nun nicht hinter die UN-Resolution für einen Kernwaffenstop stellen, würde das ihre Glaubwürdigkeit weiter beschädigen. Schwedische Friedensorganisationen und die Linkspartei verweisen in der Debatte auch darauf, daß ein NATO-Staat Schweden als Vermittler in internationalen Konflikten Akzeptanz einbüßen würde. Das friedenspolitische Palme-Erbe ist auch in Teilen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei noch auffindbar. Bereits seit Gründung 1949 gehört das nordische Land Norwegen zum NATO-Klub. Erstmals sollen nun auch dort US-Soldaten stationiert werden – nahe der russischen Grenze.