RotFuchs 220 – Mai 2016

BRD-Flüchtlings„hilfe“ hat mit DDR-Solidarität nichts gemein

Prof. Dr. sc. med. Herbert Kreibich

Von den Eltern, Lehrern und Hochschullehrern wie auch durch ältere Freunde wurden mir im Prozeß des Erwachsenwerdens immer wieder Humanität und Rationalität als Maßstäbe menschlichen Denkens und Handelns vorgegeben. Das galt in privater, beruflicher und politischer Hinsicht. Wenn Bundeskanzlerin Merkel zur enormen Zuspitzung gesellschaftlicher Widersprüche in der BRD geradezu mantramäßig „Wir schaffen das!“ predigt, kommt mir unwillkürlich der Gedanke, daß sie das vielleicht nicht nur aus christlicher Nächstenliebe, sondern auch auf Grund ihrer Erfahrungen als eine in der DDR Aufgewachsene tut. Die humanitäre Komponente nehme ich ihr ab, die politische Rationalität fehlt jedoch völlig – nicht nur bei Angela Merkel, sondern mehr noch bei jenen, die sich als „politische Klasse“ der BRD verstehen.

Die ökonomisch gegenüber der Alt-BRD schwächere DDR hat mit ihrer Solidarität gegenüber Einzelpersonen, Gewerkschaften, staatlichen und kirchlichen Stellen unterentwickelter Länder, ausgebeuteten und verfolgten Menschen, Kämpfern gegen Kolonialismus und imperialistische Kriege Geschichte geschrieben.

Auch die derzeitige Asyl- und Flüchtlingspolitik besitzt auf ihre Weise Tradition. Geschürt durch Konflikte und Kriege sowie unter Ausspielung des vermeintlichen „Wirtschaftswunders“ wurden in der alten BRD in großer Zahl Ankommende, oftmals durch Schleuserbanden organisiert, vor allem zur Deckung des eigenen Arbeitskräftebedarfs gebraucht. Damals strömten sie aus Griechenland, Italien, der Türkei, Jugoslawien, Polen, Rumänien, Südkorea und Südvietnam in die weitaus wohlhabendere BRD. Gezielt wurden qualifizierte Fachkräfte aus der DDR in großer Zahl abgeworben. Besonders perfide war der von den traditionellen Einwanderungsländern USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, der Schweiz und Australien seit jeher betriebene „Brain drain“, die „intellektuelle Enthauptung“ der Herkunftsländer. Zu keiner Zeit stand echte Hilfe vor Ort einschließlich Hilfe zur Selbsthilfe in den Heimatländern der Flüchtlinge zur Debatte.

Als Arzt, der über einige Jahre Verantwortung für die Koordinierung der DDR-Solidaritätsleistungen auf diesem Gebiet trug, möchte ich im Folgenden knapp und sachlich schildern, auf welchen Gebieten unser untergegangener Staat zur Beseitigung des Flüchtlingselends und zum Zurückdrängen der Entsolidarisierung beitrug.

Die medizinische Hilfe der DDR erfolgte über staatliche, darunter auch kommerzielle Verträge oder Gesundheitsabkommen in Form umfangreicher materieller und finanzieller Solidaritätsleistungen ohne Gegenleistung über Nichtregierungsorganisationen.

Es gab derartige Unterstützungsleistungen u. a. für Empfänger in folgende Staaten in Europa: BRD, Berlin-West, Griechenland, Rußland, Spanien, Ukraine und Ungarn; in Asien: Indien, Irak, Jemen, Kambodscha, Laos, Mongolei, Nordkorea, Palästina, Syrien und vor allem Vietnam; in Afrika: Ägypten, Äthiopien, Algerien, Angola, Guinea Bissau, Kongo-Brazzaville, Libyen, Moçambique, Namibia, Sansibar und Pemba – später Tansania –, São Tomé und Principé, Simbabwe, Sudan und Südafrika; in Lateinamerika: Chile, Kuba und Nikaragua. Die Arten der Unterstützung waren vielfältig:

1. Politisch Verfolgten wurde Asyl gewährt, um in der DDR lernen, arbeiten und leben zu können. Hierzu gehörte auch die unentgeltliche medizinische Betreuung. (Als prominenteste Beispiele sind unter Tausenden griechischen Kommunisten, die ins DDR-Exil gehen mußten, die Professoren Kritsikis und Phoutopoulos von der Berliner Charité zu nennen.) Aus der alten BRD kamen nach dem KPD-Verbot und den Prozessen, die sich u. a. auch gegen die FDJ richteten, sowie nach dem berüchtigten „Radikalen-Erlaß“ ebenfalls Tausende Flüchtlinge in die DDR. Aus Chile konnten nach dem Pinochet-Putsch gegen Salvador Allende Tausende Verfolgte in die DDR entkommen, wo sie ein normales Leben führten. Unter ihnen war auch die derzeitige chilenische Präsidentin Michèle Bachelet, die in der DDR Medizin studierte und Kinderärztin wurde, sowie Allendes Gesundheitsminister Dr. Concha.

2. Tausende und aber Tausende Kriegs- und Bürgerkriegsopfer erhielten in DDR-Krankenhäusern oder durch chirurgische Behandlung in den Heimatländern durch Spezialisten der DDR medizinische Hilfe. Dies traf besonders für Indochina (Kambodscha, Laos und Vietnam), Nikaragua sowie Angola, Moçambique, Namibia und Südafrika zu. Nelson Mandela äußerte sich dazu in seiner Autobiographie mit Dank für die Unterstützung zahlreicher ANC-Kämpfer.

3. Es erfolgten medizinische Voruntersuchungen an Ort und Stelle sowie integrierte medizinische Betreuung innerhalb der DDR von mehr als 100 000 jungen Frauen und Männern aus Ungarn, Nordkorea, Vietnam, Laos, Kambodscha, Palästina, Algerien, Angola, Moçambique, Namibia, Südafrika und Kuba, die sich zur Berufsausbildung und zum Studium im Lande befanden. Die Ausgebildeten kehrten in ihre Heimat zurück, bauten ihr Land wieder auf, wobei einige heute führende Positionen in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik bekleiden.

4. Entwicklungshilfe vor Ort. Markante Beispiele sind dafür: Beim Bau der internationalen Erdgastrasse „Drushba – Freundschaft“ vom Ural nach Zentraleuropa betrieb die DDR in der RSFSR und in der Ukraine Ambulatorien und Arztpraxen für die Monteure, aber auch für die Zivilbevölkerung. Gleiches gilt für das Urwaldkrankenhaus Moatize (Moçambique), wo Ärzte und Schwestern aus der DDR zusammen mit einheimischem Pflegepersonal die Betreuung von Bergleuten und der Bevölkerung im Norden des Landes bis zum Sambesi sicherten. In Gouda (Äthiopien) wurde die Medizinische Fakultät maßgeblich von Wissenschaftlern und Ärzten der Leipziger Karl-Marx-Universität getragen.

Mit einem Aufwand von vielen Millionen Mark – überwiegend monatlichen Spenden von FDGB-Gewerkschaftern – wurde das „Karl-Marx-Hospital“ in Managua (Nikaragua) gegründet. Auf Jahre hinaus sicherten Ärzte, medizinisches und technisches Fachpersonal sowie ausgebildete „Nikas“ die unentgeltliche Versorgung auf hohem Niveau.

5. Nicht unbedeutenden Anteil an der solidarischen Unterstützung für die Entwicklungsländer, oft im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation, hatte eine Vielzahl von Experten, welche in einigen dieser Länder massenhaft verbreitete Erkrankungen und Seuchen (z. B. Tuberkulose, Malaria, Schlafkrankheit, Geschlechtskrankheiten, Trachom, Pocken, Lepra) bekämpften, Impfungen durchführten, diagnostische Medizintechnik einführten und die Landesbehörden bei der Planung und Organisation als Berater unterstützten.