RotFuchs 227 – Dezember 2016

Gespräch mit Prof. Dr. sc. Alexander Dymschitz (1974)

Bündnis mit der Zukunft

RotFuchs-Redaktion

Es waren sowjetische Genossen, die in den Jahren vor der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik ihre Erfahrungen und ihr Wissen vermittelt und mitge­holfen haben, eine neue Gesellschaft aufzubauen. Solche Genossen wurden von „Stimme der DDR“ vor dem 25. Jahrestag von Anne Storm und Ernst Dornhof in ihrer Sendereihe „Bündnis mit der Zukunft“ vorgestellt. Drei Namen seien hier für viele genannt: die Kulturoffiziere Oberst Tjulpanow, Major Dymschitz und Galina Snimstschikowa, die damals half, das Bibliothekswesen wieder in Gang zu bringen. Ein Ausschnitt aus dem Gespräch der Autoren mit Prof. Dr. sc. Alexander Dym­schitz läßt deutlich werden, wie die Erfahrungen und Lehren der Vergangenheit Wurzeln schlugen.

Sergej Tjulpanow (links) und Alexander Dymschitz im Mai 1946

Sergej Tjulpanow (links)
und Alexander Dymschitz
im Mai 1946

Professor Dymschitz, Ihre Beziehungen zu unserem Land sind in langen Jahren gewachsen. Lassen Sie uns zunächst einen Blick tun zu den Anfängen, zu Ihren ersten Begegnungen mit Menschen und Vorgängen hier. Was ist Ihnen besonders lebhaft in Erinnerung?

Die allerersten Schritte ging ich in der „Täglichen Rundschau“, einer Zeitung für die deutsche Bevölkerung. Ich leitete bis November 1945 den Kulturteil. Dann wurde ich in die sowjetische Militärverwaltung berufen. Dort bekam ich die Aufgabe, die Kulturabteilung der Informationsverwaltung unter Oberst Tjulpanow zu leiten. Als wir im Mai 1945 nach Berlin kamen, fanden wir vor allem Ruinen vor. Die ältere Generation kennt das sehr gut, aus persönlichen Erinnerungen. Aber das war nicht das Jahr Null. Da waren Kräfte, die schon eine große Tradition hatten, die Tradition der deutschen Arbeiterbewegung. Trotz aller Unterdrückung in der Zeit des Faschismus, trotz des schrecklichen Terrors, den die Faschisten ausgeübt hatten, war diese Tradition lebendig geblieben. Die Menschen kamen aus der Emigration, aus den Konzentrationslagern, und trotz aller schweren Erlebnisse dieser Jahre, im Kampf gegen den Faschismus, im inneren Widerstand, in der Emigration, wo die deutschen Patrioten gegen die Faschisten kämpften, waren diese fortschrittlichen Kräfte am Werk. Auf diese Traditionen stützten sich die Aktivisten der ersten Stunde. Das äußere Bild war schrecklich, aber es war kein hoffnungsloses Bild. Die Hoffnung verband sich mit reellen Kräften der Werktätigen. Sie leisteten von Anfang an eine große Arbeit unter der Leitung der demokratischen Parteien und in erster Linie der Kommunistischen Partei, die sich mit der SPD schon 1946 zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vereinigte und zur führenden Kraft des ganzen Wiederaufbaus wurde.

Sie hatten im Krieg selbst sehr viel Schweres erlebt, Professor Dymschitz, Sie an der Front und Ihre Frau Galina Snimstschikowa in Leningrad während der Blockade. Sind Sie nicht mit zwiespältigen Gefühlen in das Land gekommen, von dem dieser Krieg ausgegangen war?“

Ehrlich gesagt, nein. Ich werde versuchen zu erklären, warum nicht. Wir waren internationalistisch erzogen. Und trotz aller schlimmen Erfahrungen, trotz des Leids, das wir tagtäglich während des Krieges gesehen hatten, trotz der Okkupation eines großen Teils unseres Landes durch die Hitlerfaschisten – trotz alledem hatten wir das Gefühl der Freundschaft gegenüber den deutschen Werktätigen nicht verloren. Ich will keine Schönfärberei, wir kamen mit dem Gefühl eines großen Hasses gegen die Faschisten und ihre Kollaborateure, aber mit dem Gefühl aufrichtiger Freundschaft gegenüber dem deutschen Volk. Und wir fanden in diesem Volk Kräfte, die sehr konstruktiv wirkten. Wir hatten keine leichte Aufgabe, aber ich muß sagen, wir hätten sie nicht gelöst, wenn wir nicht unterstützt worden wären von den deutschen Kulturschaffenden, von den Kommunisten, Sozialisten und Demokraten, die den kulturellen Wiederaufbau in Gang brachten und unsere großen Helfer waren. Und wir waren für sie Helfer.

In Ihrem Band literarischer Porträts „Ein unvergeßlicher Frühling“ (Dietz-Verlag, 1970), der in der DDR große Resonanz gefunden hat, haben Sie auch Erinnerungen an jene Zeit festgehalten, Begegnungen und Zusammenarbeit mit Schriftstellern, Theaterleuten, Künstlern …

Mit vielen von ihnen verbinden mich bis heute freundschaftliche Kontakte. Ich denke nur an Anna Seghers oder Ernst Busch, Hedda Zinner oder Fritz Erpenbeck. Helene Weigel sehe ich nicht nur als eine große Künstlerin, ich erwähne, was ihr Impulse ihres Schaffens gab, ihre Parteilichkeit und ihre Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht. Heinrich Greif oder Otto Nagel sind für mich Persönlichkeiten, die früh einen kommunistischen Standpunkt bezogen und ihn durch ihr Leben und ihr Schaffen konsequent vertreten haben.

Ich erinnere mich an große Dichter, Erzähler, Dramatiker wie Becher, Brecht, Bredel, Weinert, Wolf, eine ganze Reihe von Schriftstellern wie Kellermann zum Beispiel. Ich erinnere mich an damals sehr aktive Theaterleute, wie Langhoff, von Wangenheim und zahlreiche andere Künstler. Ich erinnere mich vieler Menschen, die sehr viel geleistet haben für den Aufbau der DDR. Denn eigentlich ist es so, daß in diesen Jahren, zwischen 1945 und 1949, daß in dieser historischen Zeit die Vorarbeit zur Gründung der DDR erbracht wurde.

An einer Stelle meines Buches heißt es, daß man über das Vergangene schreibt, um Lehren zu ziehen für das Heute, für die Zukunft. In diesem Sinne ist mein Buch der Gegenwart und der Zukunft gewidmet.

Sie, Professor Dymschitz, haben ja als stellvertretender Direktor des Instituts für Weltliteratur „Maxim Gorki“ in Moskau viele offizielle und freundschaftliche Beziehungen zu Partnerinstituten in der DDR. Wie sieht diese Zusammenarbeit auf einem so wichtigen Gebiet der Kultur, der Literatur, aus?

Wissen Sie, für mich ist es eine große Freude, daß sich im Laufe der Jahre, in den 25 Jahren, die die Deutsche Demokratische Republik besteht, ein ausgezeichneter Nachwuchs auch in der Wissenschaft entwickelt hat, in der Philologie, in der Literaturwissenschaft und in der literarischen Kritik. Wir haben ausgezeichnete Kontakte mit den Institutionen, die sich damit in der DDR beschäftigen.

In jener Zeit, über die wir vorhin sprachen, in den Ruinen, direkt in den Ruinen der Humboldt-Universität, haben wir damals einen slawistischen Arbeitskreis gebildet. Es waren junge Leute, die hierherkamen, und ich habe Vorlesungen gehalten über Geschichte der russischen Literatur, der Journalistik, der Kritik. Ich habe auch einige Vorlesungen gehalten in der Parteihochschule. Jetzt sehe ich eine ganze Armee von Slawisten und anderen hochqualifizierten Wissenschaftlern, die viel veröffentlicht haben. Sie leisten eine ausgezeichnete Arbeit, die wir hoch schätzen. Ein Beispiel möchte ich nur nennen: den im Berliner Akademie-Verlag erschienenen Band „Begegnung und Bündnis“ mit Beiträgen von Wissenschaftlern aus der UdSSR und der DDR und Gedanken von Schriftstellern Ihrer Republik über die sowjetische Kultur. Und erfreulich ist, daß wir die Möglichkeit haben, seit langem zusammenzuarbeiten, uns gegenseitig zu bereichern. Ich glaube, daß die Horizonte dieser Zusammenarbeit sich immer mehr erweitern. Das liegt im Wesen unserer Gesellschaft, in ihrem sozialistischen Wesen, in der Zusammenarbeit unserer Parteien, in der Zusammenarbeit unserer staatlichen Institutionen. Indem wir zusammenarbeiten, in einer Familie von sozialistischen Ländern und sozialistischen Völkern, dient diese gemeinsame Arbeit – ein Produkt unserer brüderlichen Freundschaft – der gegenseitigen ideellen und kulturellen Bereicherung.

Gekürzt aus „FFdabei“ Nr. 38/1974