RotFuchs 201 – Oktober 2014

Rußlands Bemühen um Nachahmung „westlicher Vorbilder“
schlug fehl

Das Fiasko des „unipolaren Modells“

Bruno Mahlow

Die Ukraine-Krise ist kein Konflikt zwischen Rußland und der Ukraine, sondern ordnet sich ein in die nach der Zerstörung der UdSSR wesentlich veränderte Weltlage und somit vor allem in eine Auseinandersetzung zwischen dem USA-dominierten Westen und Rußland.

Die ökonomische, politische und soziale Krise in dieser einst blühenden Sowjetrepublik hat vor allem innere Ursachen. Konkreter: Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen beträgt in Lwiw (Westukraine) 2312 Dollar, in Dnepropetrowsk (Ostukraine) 4748 Dollar, in Rußland 18 000 Dollar und in der BRD 43 952 Dollar.

Während in Rußland die Oligarchen von Putin mehr in Richtung Staatskapitalismus eingeordnet wurden, entschied die ukrainische Oligarchie jahrzehntelang gegen alle staatlichen Interessen. Es herrschen Korruption, Geschichtsrevision, Russophobie. Dazu kommen äußere Faktoren wie der Würgegriff von NATO und EU.

Faktisch ist die Ukraine erst 1919 als Nationalstaat entstanden und hat sich im Rahmen der UdSSR erfolgreich entwickelt. In den Auseinandersetzungen um die Nationalitätenpolitik im Jahre 1921 favorisierte Stalin einen unitären Staat mit kultureller Autonomie für nationale Randgebiete, aus denen später die Unionsrepubliken wurden. Damit verband sich die Frage nach Föderalisierung oder nationaler Selbständigkeit mit dem Recht auf Austritt bei Gefahr des Zerfalls des Unionsstaates. Dieser wurde dann mit dem Beschluß des Obersten Sowjets der UdSSR vom April 1991 eingeleitet.

Offensichtlich waren dabei für Rußland Probleme wie die seinerzeit eingetretene eigene Schwäche, die Suche eines neuen Weges nach dem Verlust seiner Weltmachtrolle, politische Blauäugigkeit und illusionäres Wunschdenken sowie das Fehlen einer ausgereiften Strategie maßgeblich. Die Ernüchterung trat zu spät ein.

Ein militärischer Einmarsch in die Ost-ukraine gehörte nicht zu den Absichten Putins. Eine solche Option wäre keineswegs mit dem strategisch richtigen Vorgehen auf der Krim vergleichbar und äußerst gefährlich. Dabei wird Moskau von den USA und der derzeitigen Kiewer Kamarilla pausenlos provoziert und unter Druck gesetzt.

Die Ereignisse in der Ukraine und um sie haben alle Seiten gezwungen, ihre Karten aufzudecken.

Prof. Dr. Hermann Klenner verweist auf die Bedeutung der Krim und Sewastopols für die Russische Föderation. Hätte sie auf den Raub durch die NATO warten und – nach all den Erfahrungen der Völker der Sowjetunion am 22. Juni 1941 – passiv dabei zusehen sollen? Angesichts abenteuerlicher Erklärungen des neuen ukrainischen Verteidigungsministers und westlicher Drohungen hatte Außenminister Lawrow nicht grundlos davor gewarnt, daß ein Angriff auf die Krim einen Krieg auslösen würde.

Was ist zu erwarten?

In Kiew hat man keinen Plan zur Überwindung der Krise, schon gar nicht für eine ukrainische Oase der Demokratie und des wirtschaftlichen Erblühens, sondern nur den Ruf nach der NATO. Der Westen kaschiert daher seine Hilflosigkeit mit antirussischer Propaganda, die besonders auf Putin zielt. Die USA sehen ihren Hauptbeitrag im Druck auf Rußland und in der Sicherung eigener Vorteile. Die Kastanien aus dem Feuer zu holen und auch die Härten der Sanktionen überläßt man der EU.

Mit dem Zerfall der UdSSR erfolgte ein enormer zivilisatorischer Rückschlag, der von Putin als größte geopolitische Katastrophe bezeichnet wurde. Dennoch blieb Rußland für die USA der Feind Nr. 1. Nach Auffassung ihres langjährigen strategischen Planers Zbigniew Brzezinski handelt es sich um einen Konflikt zwischen euro-atlantischer und asiatisch-islamischer Welt, in dem eines der Systeme fallen müsse.

Immer öfter wird die Frage aufgeworfen, ob Rußland ein imperialistischer Staat ist. Sie muß nicht nur unter Bezugnahme auf Lenins Definition des Imperialismus verneint werden. Zu beachten ist, daß sich das Riesenland noch auf der Suche nach einem eigenen kapitalistischen Weg befindet, dabei aber nicht aus den Konsequenzen der langen sowjetischen Ära seiner Geschichte herauskommt. Das zeigt sich in der ausgeprägteren Beachtung nationaler Interessen und in der Außenpolitik sowie in Bestrebungen, die Marktwirtschaft unter Beachtung gewisser sozialer Kriterien umzusetzen.

Die Übernahme westlicher Rezepte sowie Versuche, immer wieder an jede Tür und jedes Fenster im Westen anzuklopfen, sind eklatant gescheitert. Dieser Kurs hat sich als strategische Fehlkalkulation erwiesen.

Es ist in Rußland also noch vieles in Bewegung und von seiner inneren Stärke, der praktischen Bewältigung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Probleme abhängig. Die Selbstbesinnung in der Außenpolitik bedarf der Absicherung auch auf innenpolitischem Gebiet.

Nach dem Prinzip „Erwürge den Konkurrenten schon in der Wiege!“ setzt der Westen darauf, Rußlands Wirtschaft in die Rezession zu treiben, zieht er einen neuen Eisernen Vorhang in Erwägung, forciert er Erpressung und Sanktionen.

Objektiv stellt Rußland derzeit ein Gegengewicht zur USA-Hegemonialpolitik dar. Es ist auch nicht isoliert, wenn man an seine strategische Partnerschaft mit China, an die Shanghaier Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit, an BRICS oder ALBA denkt. Europäer sollten übrigens nicht vergessen, daß Rußland ihren Kontinent schon oft gerettet hat. Es zerschlug das mongolisch-tatarische Reich, die polnische Intervention im 17. Jahrhundert, Napoleons Armeen und die osmanischen Eindringlinge. Unvergessen bleibt der welthistorische Sieg über den deutschen Faschismus. Wichtige Erfahrungen vermitteln überdies der Brester Frieden 1918 und vor allem die Antihitlerkoalition von Staaten verschiedener sozialer Systeme.

„Die Politik des Zurückdrängens und Zügelns Rußlands hat auch nach dem Kalten Krieg nicht aufgehört. Deren bisheriger Höhepunkt ist die Ukraine-Krise. Die Gefahr der Veränderung des Kräfteverhältnisses in der Schwarzmeer-Region war nicht hinnehmbar“, erklärte Putin am 1. Juli 2014. Das unipolare Modell einer Weltordnung habe sich als unhaltbar erwiesen.

Moskaus Spitzenpolitiker wandte sich gegen den Exklusivitätsanspruch des Westens in bezug auf das heutige Rußland. Er sei für nüchternes Herangehen an Probleme, für die Einhaltung des Völkerrechts und eine führende Rolle der UNO. Das russische Außenministerium befasse sich derzeit mit der Ausarbeitung komplexer Vorschläge für ein Sicherungsnetzwerk gegen verfassungsfeindliche Umstürze und jegliche Einmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten.