RotFuchs 198 – Juli 2014

Wie das BRD-Bankkapital den Super-Bluff inszenierte

Das Phantom der DDR-„Altschulden“

Dr. Helga-Helena Liebecke

In den anderen einstmals sozialistischen Ländern Europas sollen vor allem „Oligarchen“ das Vermögen des Volkes gestohlen haben. Von der DDR, die nach Treuhand-Version aus „Schrott“ bestand, blieben indes lediglich „Schulden“ übrig.

Um was handelt es sich bei dieser Unterstellung?

Neben der Einforderung uralter Schuldverschreibungen aus der Zeit zwischen 1933 und 1945, die sich damals bei der „Arisierung“ von Banken, Immobilien und Wertpapieren an vorderster Front mitwirkende deutsche Privatbanken heute wieder hervorzuholen trauen, aktiviert man auch die vermeintlichen Altschulden der DDR. Die Bundesregierung kontrolliert weder die Legitimation dafür noch deren Ursachen. Wesentliche Beweise sind immer noch unter strengem Verschluß.

Ein wichtiges Dokument, das vieles aufdecken würde, ist der Bericht des Bundesrechnungshofes über den „Verkauf“ der Banken der DDR. Er war nicht einmal den dort Tätigen bekannt, geschweige denn der Öffentlichkeit zugänglich.

Seitdem der „Spiegel“ am 23. Oktober 1995 Auszüge aus diesem Dokument veröffentlichte, herrscht Schweigen im Walde. Mit gutem Grund: Darin stehen nämlich wahre Ungeheuerlichkeiten. So habe sich die private Berliner Bank AG bei den Verhandlungen mit der Berliner Stadtbank, die u. a. auch aus der Staatsbank der DDR hervorging, eine Schadensersatzsumme von 115 Millionen DM für den Fall des Scheiterns der Fusion festschreiben lassen. Andererseits „kaufte“ sie dann die Berliner Stadtbank für 49 Millionen DM und erwarb damit Ansprüche auf „Altschuldenforderungen“ in Höhe von 11,5 Milliarden DM! Für die Berliner Bank AG bedeutete dies einen Profit von 10 000 Prozent.

Das Papier ist „vertraulich“ und wird im Tresor des Bundestages verwahrt. Zugang hat nur eine Handvoll Abgeordneter. Diese Geheimniskrämerei hat gute Gründe: Das Dokument bescheinigt nämlich den Bonnern auf 48 Seiten ein hohes Maß an Schluderei und Unfähigkeit beim „Abwickeln“ der DDR. In jahrelanger Puzzlearbeit hat der Bundesrechnungshof teure Flops und Pannen beim Verkauf der volkseigenen DDR-Geldinstitute an westdeutsche Banken zusammengetragen. Die Vorwürfe der Prüfer reichen von Verschleuderung öffentlicher Mittel in Milliardenhöhe bis zu erpresserischen Methoden.

Die Rechnungsprüfer stellten in ihrem Dossier fest, daß die Zwischenschaltung privater Banken zur Abwicklung von „Altschulden“ volkseigener Betriebe der DDR die Zinshöhe enorm aufgebläht habe. Damit sei der Preis für Sicherheiten und Kredite ganz erheblich gestiegen.

Die privaten Bankhäuser konnten ihre Kreditforderungen ohne jedes Risiko erwerben. Sie erhalten über einen Ausgleichsmechanismus aus dem Bundesetat rund 98 Mrd. Mark erstattet. Die Steuerzahler kommen damit für „Altschulden“ auf, die in der Regel gar keine sind. Den Privatbanken und privaten Kreditinstituten hätten zeitweilig mehrere Milliarden DM aus „doppelten Zinszahlungen“ zur Verfügung gestanden, erfährt man. Teilweise kassierten sie für ein und denselben Kredit Zinsen von der Treuhandanstalt, vom Altschuldner und vom Bund.

Im Bericht des Bundesrechnungshofes heißt es weiter, die „Käufer“ hätten zu Vorzugspreisen Zugang zu Filialen, zum Kundenstamm und zu den Immobilien der DDR-Banken erhalten. So „erwarb“ z. B. die Deutsche Bank Anteile der ehemaligen „Deutschen Kreditbank“ (DKB) samt 112 Niederlassungen für lediglich 310 Millionen Mark. Die Rechnungsprüfer bezeichneten das als einen „unangemessen niedrigen Kaufpreis“. Für 41 Grundstücke mit Gebäuden aus früherem Besitz der Deutschen Kreditbank AG – der ehemaligen Staatsbank der DDR – zahlte eine Tochter der Dresdner Bank lediglich 87,3 Millionen DM. Eine Tochter der Deutschen Bank legte für 74 Grundstücke derselben Bank nur 164,4 Millionen DM auf den Tisch. Dabei handelte es sich überwiegend um „beste Filetstücke“ innerstädtischer Immobilien.

Der Bundesrechnungshof bemängelt weiter, die Geldhäuser hätten für die Reorganisation des DDR-Banksystems zu hohe Entgelte erhalten. So kassierte die Westdeutsche Landesbank Girozentrale z. B. für die „Abwicklung der Altgeschäfte“ der DDR-Außenhandelsbank über die reine Kostenerstattung hinaus eine „Erfolgsprämie“ von 89 Millionen DM.

Den Verfassern des brisanten Dossiers ist offenbar nicht klar gewesen, daß die angeblichen Altschulden in Wirklichkeit überhaupt keine Schulden waren, denn die vermeintlichen „Kreditverschreibungen“ stellten unter DDR-Bedingungen keine Kredite im BRD-üblichen Sinne dar. Sie waren statt dessen der in den Volkseigenen Betrieben (VEB) erwirtschaftete Gewinn, der den Werktätigen zwar nicht bar ausgezahlt wurde, ihnen aber in Gestalt der großzügigen Sozialpolitik, der kostenlosen Bildung und der Kultur indirekt zugute kam. Ein erheblicher Teil wurde auch für die Entwicklung von Wissenschaft und Technik sowie für die Erweiterung der Betriebe aufgewendet. Diese Summen waren auf gar keinen Fall zurückzuzahlen, da ja das Volk selbst der Gläubiger war.

Diese vermeintlichen Kredite wurden beim Verkauf der Staatsbank einfach als angebliche Außenstände mit verkauft.

Am groteskesten ist wohl die Tatsache, daß der Staat BRD, der auf die geschilderte Weise die größten Banken gemästet und ihnen unglaubliche Schnäppchen beschert hat, sie überdies durch „Bankenrettungspakete“ zusätzlich „stabilisierte“. Schwächere Kreditinstitute, denen solche Vorteile nicht zugute kamen, wurden gnadenlos niederkonkurriert.

Der Bundesrechnungshof gelangte zu dem Ergebnis: „Die direkte Übernahme der Altschulden in den Bundeshaushalt wäre um etliche Milliarden günstiger gewesen als der Umweg über ein teures Schuldenkarussell mit privaten Geschäftsbanken.“ („Spiegel“ a. a. O.)

Das Dokument der Rechnungsprüfer könnte erhebliche Auswirkungen auf den künftigen Umgang mit „Altschulden“ im Osten haben. Wohnungsbaugesellschaften, Rechtsnachfolger von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, einstige Treuhandbetriebe und Kommunen stehen bei den Banken mit fiktiven Milliardensummen aus alten Zeiten in der Kreide. Tilgung und Zinsen für solche „Altkredite“ haben dem vielgepriesenen „Aufschwung Ost“ systematisch den Weg verlegt.

Verantwortungsbewußte Bundestagsabgeordnete sollten dieses Thema möglichst rasch noch einmal aufgreifen. Die Rechnungsprüfer geben ihnen dabei Rückendeckung. Noch sei nicht ausgemacht, schreiben sie in ihrem Bericht, ob der Bund nicht selbst für diese Schulden aufkommen müsse, um die Betriebe vor einer Pleitewelle zu bewahren.