RotFuchs 214 – November 2015

Zu einem eindrucksvollen Buch
des Indochina-Experten Gerhard Feldbauer

Das Vietnam Hô Chi Minhs lebt in uns fort

Klaus Steiniger

Der namhafte Publizist und Gegenwartshistoriker Dr. Gerhard Feldbauer – er war zu DDR-Zeiten u. a. als Auslandskorrespondent des ADN und des ND in Hanoi und Rom tätig – gilt als intimer Kenner der politischen Szene beider Länder. Jetzt hat er ein bei Frank Flegel (Hannover) verlegtes neues Buch präsentiert. Sein Titel lautet: „Die Augustrevolution 1945 in Vietnam“. Die Schrift beeindruckt ebenso durch die Fülle und Dichte der durch den Autor erschlossenen geschichtlichen Fakten wie durch deren seriöse marxistisch-leninistische Wertung. Feldbauer zeichnet den schweren und siegreichen Kampfesweg des vietnamesischen Volkes und seiner bewaffneten Kräfte bis zur Kapitulation der US-Aggressoren und ihrer Saigoner Marionetten am 30. April 1975 detailgetreu nach. Er füllt selbst bei mit der Materie etwas vertrauteren Lesern etliche Wissenslücken.

Hô Chi Minh während des Befreiungskampfes in einer Felshöhle

Als Nachfolger der im Frühjahr 1954 endgültig geschlagenen französischen Kolonialarmee hatte das Pentagon Vietnam seit 1955 mit einem barbarischen Vernichtungskrieg überzogen, der ungezählte Menschenleben forderte.

Besonders bewegend ist die Schilderung der überragenden Persönlichkeit Hô Chi Minhs. Er, der nach Feldbauers Worten „absolutes Vertrauen in Lenin und die 3. Internationale setzte“, war 1920 als Teilnehmer des legendären Parteitags der französischen Sozialisten in Tours einer der Mitbegründer der jahrzehntelang ruhmreichen FKP. „Hô Chi Minh war vor allem Leninist, aber das von echtem Schrot und Korn. Er entwickelte schöpferisch eine nationale Strategie, war ein Mann der revolutionären Praxis, der die Theorie beherrscht, ein Führer und Kämpfer, der die Aufmerksamkeit der Massen nicht auf seine Person bezog, sondern auf die Partei lenkte“, urteilt Gerhard Feldbauer.

Unter diesen Kriterien baute Onkel Hô, wie ihn sein Volk später nannte, zielstrebig die kommunistische Bewegung in Vietnam auf. Entscheidenden Anteil hatte daran seine 1926 erschienene Schrift „Der revolutionäre Weg“, in der er den Grundwiderspruch zwischen Arbeit und Kapital unter den Bedingungen eines kolonial geknechteten Landes herausarbeitete, dessen Lösung nur auf revolutionärem Wege möglich sei.

Im Januar/Februar 1930 konstituierte sich die KP Vietnams. In den 30er Jahren kam es im Ergebnis von Aufständen und Massenkämpfen in den beiden Zentralprovinzen (Nghe Tinh) zur Bildung von Sowjets, deren Selbstverteidigungskräften mindestens 30 000 bewaffnete Kämpfer angehörten. Diese von der französischen Kolonial­solda­teska mit blutigem Terror niedergeschlagene revolutionäre Massenbewegung – sie vermochte sich acht Monate lang zu verteidigen – war der Vorbote für die Augustrevolution.

Am 16. August 1945 trat ein von der 1941 gegründeten Befreiungsfront VietMinh einberufener nationaler Kongreß zusammen. Am 2. September verkündete Hô Chi Minh in Hanoi vor einer halben Million Menschen die Gründung der Demokratischen Republik Vietnam. Bei den erstmals abgehaltenen Wahlen zu einer National­versamm­lung, die im Januar 1946 stattfanden, entfielen 230 der 300 Parlamentssitze auf die VietMinh. Am 2. März wurde Hô Chi Minh zum Präsidenten der DRV gewählt.

Doch die junge Freiheit währte nicht lange. Im November/Dezember 1946 begann Frankreich seinen blutigen Kolonialkrieg gegen das vietnamesische Volk. Hanoi verteidigte sich bis zum 17. Februar 1947 – 61 Tage lang –, dann fiel es vorüber­gehend wieder in die Hände der alten Unterdrücker. Zwei Jahre später stellte Paris den von der Augustrevolution gestürzten Kaiser Bao Dai an die Spitze eines Marionettenregimes. Doch im Mai 1954 hißte das französische Kolonialkorps über seiner für uneinnehmbar erklärten Festung Diên Biên Phu die weiße Flagge der Kapitulation.

Offenbar auf Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten und damit verbundene Befürchtungen mancher eingehend, schrieb Feldbauer: Besorgte Freunde Vietnams wollten wissen, ob die KPV diesen Prozeß unter Kontrolle habe und die sozialistische Perspektive gewährleistet sei. Der Bemerkung, diese Partei halte in ihren Doku­menten unverändert am Ziel einer sozialistischen Gesellschaft fest, fügte der renommierte Vietnamkenner hinzu, die Frage gehe „an der Realität des Geschichts­prozesses vorbei. Es kann Rückschläge, Abweichungen, Unterbrechungen oder Verzögerungen geben“, liest man bei ihm.

Eine dialektische Antwort, will mir scheinen.

Gerhard Feldbauer:

Die Augustrevolution 1945 in Vietnam

Verlag „offen-siv“, Hannover 2015
184 S., ISBN 978-3-00-050226-2

14,00 €