RotFuchs 234 – Juli 2017

Ein Appell aus Lateinamerika

Das Wichtigste heute ist,
die Mutlosigkeit zu stoppen

Alina Perera Robbio

Die große Schlacht, die heute weltweit zu schlagen ist, ist nicht die um Räume, son­dern sie findet im Kopf eines jeden einzelnen von uns statt. Es gibt genügend Revolu­tionäre, Guerilleros der Ideen, aber die Kräfte zerstreuen sich angesichts eines solch mächtigen und kompakten Blocks der Kommunikationsmedien, die darauf aus sind, den Menschen in eine Geisel seiner Emotionen zu verwandeln, abgekoppelt von seiner Fähigkeit zu denken.

Nicht ohne Grund hat am 20. November vergangenen Jahres Präsident Nicolás Maduro zu einer Kommunikationsrevolution aufgerufen, die die traditionellen Medien, die „sozialen“ Netze, die Straßen, die Wände einschließt. Er forderte uns, vom pro­gressiven Denken ausgehend, zu einer intensiven und notwendigen Arbeit auf.

Und um diese dringliche Angelegenheit ging es beim XV. Treffen des Netzes der Intellektuellen, Künstler und sozialen Bewegungen zur Verteidigung der Menschheit, das am 6. und 7. März in Anwesenheit von über 60 Denkern aus Venezuela und anderen Ländern stattfand.

In dem Forum mit dem Namen „Emanzipatorische Kommunikation oder kolonisierte Vaterländer“ wurde deutlich, daß eine vom humanistischen Blickwinkel ausgehende Intelligenz in dieser Welt vorhanden ist, daß sie aber artikuliert werden und agiler auftreten muß, um die Wahrheit der Völker zu verteidigen. An dieser Stelle sagte der Kulturminister Kubas, Abel Prieto Jiménez, daß „man die Schlacht um das Bewußt­sein und um die Ideen gewinnen muß“.

Am zweiten Tag des Treffens nahm sich Abel die Zeit zu einem Gespräch, in dem er über die Zeit, in der wir leben, sprach. Sie erfordere, daß man für ein kritisches und revolutionäres Denken kämpfe.

Sie haben bei diesem Treffen daran erinnert, daß die Linke kein Paradigma (Muster) hinsichtlich der Kommunikation aufgebaut hat, das eine Alternative gegenüber der Medienhegemonie der Rechten darstellen würde. Welche Überlegungen Ihrerseits gibt es dazu?

Die Intellektuellen Venezuelas und die anderer Länder haben hier über diesen Mangel gesprochen, den die Linke traditionell aufwies, wenn es darum geht, hinsichtlich der Kommunikation eine Art Paradigma zu schaffen, das sich angesichts dieser Maschi­nerie der Lüge und Diffamierung als wirksam erweisen würde. Wir können sie nennen, wie wir wollen, aber sie ist zweifellos sehr effizient dabei gewesen, das Bewußtsein zu zähmen, das kritische Denken in Lethargie zu versetzen um z. B. bei den Leuten Kandidaten durchzusetzen, die ihnen goldene Berge versprechen und sie anschlie­ßend verraten.

Aus diesem Grund können wir beobachten, daß es Gruppen von Menschen gibt, die gegen ihre eigenen Interessen abstimmen, gegen die ihres Landes, gegen das, was sie bereits erreicht haben. Das sind gespenstische Dinge. Es wurde hier über die Rolle der sogenannten sozialen Medien gesprochen, die auch in Wahlprozessen, aufgrund der großen Basis an Daten, welche die „sozialen Netze“ anbieten und von denen aus man psychologische Profile der Personen ableiten kann, sehr gut darin waren, die Empfänger mit auf den einzelnen Adressaten abgestimmten Botschaften zu erreichen. Das bedeutet, daß sich dort die Maschinerie für Manipulation und Täuschung befindet, ein Thema, das in allen Diskussionen des Netzes zur Vertei­digung der Menschheit eine Konstante war.

Ich erinnerte an ein Forum, das im Dezember 2004 im Cuartel de la Montaña statt­fand, als Chávez uns dazu aufrief, in die Offensive zu gehen, uns aufrief eine Bresche in die mediale Umlagerung zu schlagen. Daraus entstand die Idee von telesur (ein multistaatlicher TV-Sender mit Sitz in Venezuela), das so erfolgreich und von so großer Bedeutung gewesen ist. Von diesem Zeitpunkt an sprechen wir von der Manipulationsmaschinerie. Aber ich würde sagen, daß heute die Konzentration der Medien, die Ausnutzung des Unterbewußtseins der Menschen in einer fast Orwell­schen Weise angestiegen ist. Wir stehen vor einer enormen Herausforderung, und ich glaube, daß es am wichtigsten ist, dieses neue Paradigma zu schaffen, das partizi­pativ (für aktive Teilnahme offen) sein muß, weil es das revolutionäre Volk sein muß, das die „sozialen Netze“ nutzt und das sich weigert, hypnotisiert und wie eine Schaf­herde von einer Seite zur anderen geführt zu werden. Gleichzeitig muß es uns gelingen, Inhalte zu schaffen. Wir müssen kritisch dem System gegenüber sein, aber gleichzeitig Vorschläge machen.

Von 2004 bis heute haben sich die Umstände merklich verändert. Wie Sie sagen, haben die Widrigkeiten zugenommen …

Fidel und Chávez haben Außerordentliches in die Wege geleitet. Danach schlossen sich Evo, Correa, Daniel und ALBA an. In Brasilien war die Arbeiterpartei an der Regierung. Es war eine Zeit, die wirklich viele Hoffnungen erweckte. Wir sehen jetzt, daß viele vom Pendel sprechen. Eine der düstersten Dinge wäre es zu akzeptieren, daß es ein Pendel gäbe, das nach links ausgeschlagen habe, und daß jetzt ein Pendel käme, das rechts ausschlägt. Das ist verrückt, denn die Geschichte bewegt sich nicht in Pendelbewegungen. Die Geschichte machen die Männer, die Frauen, die Völker, und ich denke, daß es heute am wichtigsten ist, die Demoralisierung, die Mutlosigkeit aufzuhalten, die es innerhalb der progressiven Kräfte gibt, die Idee zu stoppen, daß es jetzt zu einem Fatalismus kommen werde, daß anstelle der Ideen von Bolivar, Martí, Fidel, Chávez und der kubanischen und lateinamerikanischen Revolution uns weitere zehn Jahre Neoliberalismus bevorstehen würden.

Wie soll die Linke die Herausforderung annehmen weiterzukämpfen, ohne sich entmutigen zu lassen?

Es herrschte Einstimmigkeit unter den Teilnehmern dieses Treffens, daß man da nur mit konkreten Schritten, mit einem Aktionsplan herauskommt.

Etwas, was das Netz tun kann, ist, die Herzstücke des kulturellen Widerstands, die alternativen Medien, das Radio, die Arbeit der digitalen Guerilla in den „sozialen Netzen“ zu verknüpfen. Es gibt viele, die nicht aufgegeben haben, die für die Eman­zipation, gegen die neoliberale Offensive kämpfen, die aber nicht miteinander in Verbindung stehen.

Ich glaube, daß das Netz sich die Aufgabe stellen muß, alle diese Kräfte zueinander zu bringen und zu erreichen, daß die Leute spüren, daß wir es mit einem globalen Kampf zu tun haben und daß die kleinen lokalen Kriege das Problem nicht lösen werden, selbst wenn sie auf lokaler Ebene zum Erfolg führen sollten.

Die großen Medien lügen. Wenn es zu einer Reaktion darauf kommt, geben sie nie zu, daß sie gelogen haben, und die Lüge steht im Raum. Das ist die Goebbels zugeschrie­bene Theorie: eine Lüge so oft wiederholen, bis sie zur Wahrheit wird, die viele glau­ben. Das ist heute die Philosophie der bürgerlichen Medien. Die Lage ist schrecklich. Die großen Medien haben eine Masse von Personen geformt – vor allem junge Leute, die sehr an dem hängen, was sich in den Netzen abspielt, und die sehr leichtgläubig sind. Deswegen bin ich der Auffassung, daß das andere, was wir tun müssen, ist, vor allem die Jugendlichen zum kritischen Studium dieses Kommunikationsmedienphänomens anzuhalten.

Man muß dazu anleiten, die Intelligenz zu benutzen. Erinnern wir uns nur daran, was uns Fidel so oft gesagt hat: Sie möchten uns den Denkapparat zerstören. Das ist das große Projekt: Daß die Menschen nicht mehr denken, daß die Menschen nicht kritisch die Lügen betrachten, die von den Medien in Umlauf gebracht werden.

Zu diesem Zeitpunkt können wir eine Frage stellen: Werden wir zulassen, daß das Denken Fidels, der Generationen in Kuba und Lateinamerika als etwas Archäologi­sches, etwas aus der Vergangenheit betrachtet wird? Werden die Venezolaner zulas­sen, daß das Denken Chávez’ im Museum bleibt, als etwas, das es gab, das aber jetzt keine Gültigkeit mehr hat? Ich glaube, daß das keiner von uns zulassen wird.

Aus „Granma Internacional“ April 2017, redaktionell bearbeitet