RotFuchs 199 – August 2014

Vor 60 Jahren wehte Vietnams
rotes Siegesbanner über Diên Biên Phu

Debakel einer Kolonialmacht

RotFuchs-Redaktion

Vor 60 Jahren wurde das rote Banner mit dem goldenen Stern – die Flagge der Demokratischen Republik Vietnam – über der letzten Rückzugsbasis der bereits geschlagenen französischen Kolonialtruppen aufgezogen. Der Fall der mit modernster Kampftechnik bestückten Festung Diên Biên Phu wurde für das tapfere südostasiatische Volk, was für die Franzosen Valmy und nicht nur für Sowjetbürger Stalingrad bedeutete. Dort fand die Entscheidungsschlacht eines seit 1945 mit übermenschlichen Anstrengungen und enormen Opfern geführten Befreiungskampfes einer Nation statt, die zuvor schon der Okkupationsgewalt des kaiserlich-faschistischen Japans widerstanden hatte.

Das, was dem aus französischen Elitetruppen und Fremdenlegionären – darunter nicht wenigen früheren SS-Leuten, auch solchen aus der Westukraine – bestehenden Expeditionskorps der Grande Nation geschah, hatten dessen Generäle für undenkbar gehalten. „Zur Ehre der Legion“ muß gesagt werden, daß in ihren Reihen auch etliche deutsche Antifaschisten, mehrheitlich aus den 999er Strafbataillonen, standen, die dann zur vietnamesischen Volksarmee übergingen und bei ihrer späteren Ankunft in der DDR stürmisch gefeiert wurden.

Die in Vietnam operierenden französischen Verbände wurden von besonders erfahrenen Kommandeuren befehligt, denen es nicht an Nachschub fehlte. Doch die Arbeiter im „Mutterland“ nannten das Wüten der Kolonialsoldateska von Beginn an „La sale guerre“ – den schmutzigen Krieg der Bourgeoisie. Er verschlang gewaltige Summen, was sich auf den damals noch sehr bescheidenen Lebensstandard der französischen Bevölkerung unmittelbar auswirkte. Die in jener Zeit sehr einflußreiche und auf marxistisch-leninistischen Positionen stehende FKP – sie erhielt bis zu einem Viertel der Wählerstimmen – und die von ihr geführte Gewerkschaftszentrale CGT organisierten sofort den Widerstand gegen den Kolonialterror der Armee des eigenen Landes.

Anfang 1954 beschloß der Generalstab der vietnamesischen Volksarmee mit Ho Chi Minh und Võ Nguyên Giáp an der Spitze unter Abwägung des fortgeschrittenen Demoralisierungsgrades der gegnerischen Streitkräfte, den entscheidenden Schlag vorzubereiten. Als Schauplatz wurde Diên Biên Phu ausgewählt, das Frankreichs Expeditionskorps zu einer Festung ausgebaut hatte, die Experten für uneinnehmbar hielten. Von dort aus wollte man die verlorene Offensive zurückgewinnen. Die zahlenmäßige Stärke der Garnison betrug am 7. Mai 1954 etwas über 14 000 Mann.

Die Volksarmee hatte auf geheimen Wegen in Teile zerlegte Geschütze und anderes schweres Gerät heranschaffen lassen – ein Vorgang, der später durch den legendären Ho Chi Minh-Pfad nach Südvietnam seine Wiederholung finden sollte. General Giáp und sein Stab nannten die leistungsfähigen Peugeot-Fahrräder, an denen sich Lasten bis zu 250 kg anbringen ließen, die „Taxis von der Marne“. In seinen Memoiren bezifferte der Kommandierende die Ende 1953 erreichte Mannschaftsstärke der Viet Minh mit 252 000 Mann.

Am Vorabend der Schlacht von Diên Biên Phu war das Fort von 80 000 Männern und Frauen der Volksarmee, die sich ein weitläufiges Grabensystem geschaffen hatten, eingeschlossen. Am 5. Februar hatten die Bo doî, wie die vietnamesischen Kämpfer in der Landessprache hießen, den Ring fest geschlossen. Ihr Großangriff wurde am 13. März mit intensiver Artillerievorbereitung eingeleitet, was bei den Franzosen einen regelrechten Schock auslöste. Zugleich konnten die Funkverbindungen der Festung unterbrochen werden. Der Angriff der Bo doî erfolgte in Wellen. Am 16. März beschädigten die vietnamesischen Artilleristen den Flugplatz der Festung so schwer, daß er als Nachschubbasis für die eingekesselte Garnison ausfiel. Am 23. April wurde er eingenommen. Der eigentliche Sturmangriff begann am Abend des 1. Mai. Nach 57 Stunden ununterbrochenen Kampfes fiel die von Paris bis zuletzt als „absolut sicher“ betrachtete Festung. Am 7. Mai wurde die Fahne Vietnams über Diên Biên Phu aufgezogen. 10 000 französische Militärs und Fremdenlegionäre hatten sich zuvor ergeben.

Als General Giáp Jahre danach eine Analyse des seinerzeitigen Geschehens vornahm, vertrat er den Standpunkt, die französischen Militärs hätten „nach ihrer formalen Logik die Lage völlig richtig eingeschätzt.

Die Volksarmee operierte 500 bis 600 Kilometer von ihren eigentlichen Basen entfernt, die Soldaten mußten innerhalb von 20 Tagen über diese Distanz auf das künftige Schlachtfeld herangeführt werden. Und es gelang, 260 000 Träger zu mobilisieren, die von sich sagten, ihre Füße seien aus Eisen gewesen. Die Franzosen hielten all das nicht grundlos für unmöglich. General Henri Navarre meinte dazu, daß wir seine Truppen in offener Feldschlacht niemals geschlagen hätten. Doch von uns waren 45 Kilometer Gräben ausgehoben und Nachrichtenkanäle über eine Distanz von 450 Kilometern geschaffen worden.“

Diên Biên Phu war die längste, erbittertste und mörderischste Schlacht seit dem Zweiten Weltkrieg – ein Kulminationspunkt im antikolonialen Befreiungskampf der Völker. Mit der Belagerung des Forts verfolgte die DRV sowohl ein militärisches als auch ein diplomatisches Ziel. Es ging ihr darum, Frankreich unter für sie optimalen Bedingungen an den Verhandlungstisch zu zwingen. Am 20. Juli 1954 wurde das Genfer Friedensabkommen unterzeichnet. Die Franzosen mußten sich aus Indochina zurückziehen.

Doch die USA entfesselten schon bald den nächsten „schmutzigen Krieg“. Während im Landesnorden die Demokratische Republik Vietnam bestand, die sich danach als sozialistischer Staat konstituierte, wurden im Süden aufeinanderfolgende Marionettenregime installiert. Am 16. Oktober 1956 rief der später ins Visier seiner Gönner geratene und durch sie kaltblütig umgelegte Diktator Ngô Dinh Diêm eine Pseudorepublik Vietnam von Washingtons Gnaden aus.

Der zweite Indochina-Krieg, dem Millionen Menschen zum Opfer fielen, endete am 1. Mai 1973 mit der überstürzten Hubschrauberflucht der letzten Amis und einiger ihrer Lakaien vom Dach der Saigoner Botschaft der Vereinigten Staaten. Seitdem trägt die Stadt den Namen Ho Chi Minhs.

RF, gestützt auf „Étincelles“, Theorieorgan des PRCF, Le Creuzot, Frankreich