RotFuchs 192 – Januar 2014

Vom „Gulag Karl-Marx-Stadt“ zur „Hauptstadt des Grauens“

Der Bock als Gärtner

G. L.

Landtagsabgeordnete und Behördenangestellte präsentierten vor geraumer Zeit die „Idee“, im einstigen Chemnitzer Kaßberg-Gefängnis eine „Lern- und Ge-denkstätte“ einzurichten und die Außenstelle der Gauck-Birthler-Jahn-Behörde dorthin zu verlegen. Sie bemühten sich darum, Steuergelder für diesen Zweck lockerzumachen. Sie nannten ihr Gaunerstück „Tor zur Freiheit“.

Um was ging es?

Zu Jahresbeginn 2012 empörten sich Chemnitzer Bürger im Regionalblatt „Freie Presse“ über einen Artikel der „taz“. Ihr Protest steigerte sich innerhalb weniger Tage zu der Forderung, rechtliche Schritte zu prüfen. „Cui bono, Chemnitz? Vom einstigen DDR-Gulag zur Hauptstadt des Grauens“ lautete die blutrünstige Schlagzeile der in Berlin erscheinenden Tageszeitung, deren Herausgeber und Redaktion darauf spezialisiert sind, halblinks zu blinken und rechts zu fahren. Bereits die Aufmachung enthielt das schaudernmachende Wort Gulag, das für „Stalinismus“ steht, und das „Stasi“-Synonym Grauen, um einen optischen Schwenk zur Riesenskulptur des natürlich nur in Chemnitz bekannten Karl Marx vorzunehmen und danach das unsäglich düstere Grau des deutschen Ostens zu beleuchten. Nichts fehlte hier, was in einen ordentlichen Artikel über die abgestumpften Dumpfbacken in jenem Teil Deutschlands gehört, der früher DDR hieß. Nur deshalb, weil der Autor ein junger Oberfranke ist und nichts anderes in Schule und Studium erfahren hat als das von ihm zu Papier gebrachte, wurde er von den Chemnitzern angefeindet und zum Buhmann erklärt. Dabei steht der Mann doch kurz vor dem Bundesverdienstkreuz!

Die Chemnitzer Oberbürgermeisterin war wie ihre Wähler empört und legte sich mit der „taz“ an.

Immerhin hatten sogar Angehörige und Nachkommen von Opfern des Faschismus an die erste Frau der Stadtverwaltung geschrieben und ihr Unverständnis darüber zum Ausdruck gebracht, daß die Kaßberg-Haftanstalt als „Tor zur Freiheit“ in eine Gedenkstätte für von der BRD-Regierung freigekaufte DDR-Strafgefangene umgewandelt werden sollte. Von 1933 bis 1945 war es nämlich das „Tor zum Tode“ für Tausende Hitlergegner, deren Mörder dann im Westen mit Pensionsabsicherung und ohne Strafverfolgung weiterleben konnten.

Statt einer fundierten Antwort teilte die Oberbürgermeisterin den Verfassern lakonisch mit, sie habe deren Brief an den Chemnitzer Filialleiter der Gauck-Birthler-Jahn-Behörde zur Bearbeitung weitergereicht. Damit wurde der Bock zum Gärtner gemacht, gehört doch diese Einrichtung zu einem bundesweiten Inquisitionsnetz, das „auf Verdacht“ Ermittlungsverfahren gegen 100 000 „staatsnahe DDR-Bürger“ wegen frei erfundener Delikte in Szene gesetzt hatte, das sich bekanntlich als Hornberger Schießen erwies.

Welchen Grund aber hatte die Frau OB, ausgerechnet dieser obskuren Institution den offenen Brief von Antifaschisten „zur weiteren Bearbeitung“ zuzustellen?

Die Erklärung dafür fand man in der großbürgerlichen „Frankfurter Allgemeinen“ vom 21. November 2011: „Die jetzt vom Deutschen Bundestag gebilligte Neuregelung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes bildet den letzten Höhepunkt des an Absurditäten nicht zu überbietenden Umgangs mit der Vergangenheit des DDR-Regimes. Die aktuelle Novelle stellt nunmehr alles in den Schatten, was in den vergangenen 20 Jahren an verfassungswidrigen Normen in Deutschland zur Vergangenheitsbewältigung beschlossen wurde.“

Und dennoch verteidigen jene Zehntausende, welche für ihren Beitrag zur „Aufarbeitung der Stasi-Diktatur“ in Lohn und Brot stehen, ihre Arbeitsplätze mit Klauen und Zähnen. Bei den Einrichtungen handelt sich um rund 250 Archive und Bibliotheken, 50 Institutionen für „politische Bildung“, 65 Museen und Gedenkstätten, 20 Fachzeitschriften, unzählige Filmdokumentationen und etliche Ausstellungen. Der BStU, wie der Gauck-Birthler-Jahn-Laden abgekürzt wird, steht ein jährlicher Etat von rund 100 Millionen Euro zur Verfügung.

Offenbar haben die ständige Brunnenvergiftung und das unablässige Zündeln nichts genützt. Im CDU-Blatt „Rheinischer Merkur“ schrieb die einstige Katechetin und Nachfolgerin des inzwischen auf den Stuhl eines Bundespräsidenten gehievten Rostocker Ex-Pfarrers schon vor 20 Jahren: „Der Geist eines Systems hält länger als das System selbst … Es geht um die Frage, was unseren Enkeln einfällt, wenn sie das Wort DDR hören. Als erstes wohl: die Mauer. Was aber wird der zweite, dritte, vierte Begriff sein? Stasi? Diktatur? Oder werden sie sagen: Vollbeschäftigung, Ruhe und Ordnung? Darum wird gekämpft!“

Die DDR ist seit über 23 Jahren Geschichte. Hunderttausende wollten sie im Herbst 1989 zwar ändern, aber nicht abschaffen. Der sozialistische Staat hat in seiner angeblich grenzenlosen Gewaltanbetung damals die Waffen in den Arsenalen gelassen und keinen Schuß abgegeben. Hätte sich die BRD in einer analogen Situation ebenso verhalten?

Die Bonner Einmischung ist belegt: In den kritischen Tagen am Jahresbeginn 1990 beschallten große Tonanlagen etwa 50 000 Demonstranten in Leipzig mit dem Deutschlandlied, das die BRD von ihrer selbstgewählten Rechtsvorgängerin – Hitlers Drittem Reich – als Hymne übernommen hatte. „Einigkeit und Recht und Freiheit“ dröhnte es lautstark von LKWs aus Bayern und dem Rheinland, deren Besatzungen in Nebenstraßen um das Opernhaus zugleich Flugblätter mit der veränderten Parole „Wir sind ein Volk“ abluden. Vor der Tribüne flatterten plötzlich schwarz-weiß-rote Reichskriegsflaggen eines anderen Deutschland, Tausende schwarz-rot-goldene Fähnchen ohne DDR-Symbol wurden geschwenkt. Die Menge grölte „Deutschland, Deutschland über alles“. Notärzte bahnten sich einen Weg zu zwei jungen Leuten, die blutend am Boden lagen. Neben ihnen sah man deren Demo-Transparent: „Deutschland in den Grenzen von 1939“ – mit roter Farbe durchgestrichen. Hier hatten die Stangen der Reichskriegsflaggenträger ganze Arbeit geleistet. Heute nimmt die Zahl jener immer mehr zu, die von der DDR kein eigenes Bild mehr besitzen, während nicht wenige, die es eigentlich besser wüßten, verschämt schweigen. Ihr Widerspruch versagt aus Angst vor Arbeitsplatzverlust und unter dem Druck der Riesenwelle aus vorgestanzter Meinungsmache, die sie Tag für Tag überrollt.

So wird immer klarer, warum der eingangs erwähnte „taz“-Artikel vom Januar 2012 und das „Tor zur Freiheit“ des „Lern- und Gedenkstättenvereins“ auf dem Kaßberg engstens miteinander zusammenhängen. Wer das Gedächtnis der Menschen beherrscht, der beherrscht auch die Volksmeinung und damit das Volk, oder, um es mit Karl Marx zu sagen: „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken …“