RotFuchs 209 – Juni 2015

Warum Dr. Arthur Werner nicht in Vergessenheit geraten darf

Der erste Berliner Nachkriegs-OB

Lutz Heuer

Der am 15. Juli 1877 in Berlin geborene Arthur Werner nahm nach dem Abitur zunächst ein Jurastudium an der Berliner Universität auf, wechselte dann aber zur Ausbildung als Architekt an die Technische Hochschule. 1906 gründete er im Haus seiner Eltern eine technische Lehranstalt mit dem anspruchsvollen Namen „Schinkel-Akademie“. Ein Jahr später legte er seine Hauptprüfung als Diplomingenieur ab und promovierte 1912 mit dem Thema: „Der protestantische Kirchenbau in der friderizianischen Zeit Berlins“. Am 1. Weltkrieg nahm er bis zu seiner Verwundung als Leutnant teil. Danach widmete er sich weiter seiner Privatschule. Schon im Januar 1932 trat er Hitlers NSDAP bei (um sie auszukundschaften, wie er später berichtete), verließ sie aber noch im selben Jahr. Auf Grund dessen war er wiederholt Schikanen ausgesetzt.

Am 12. Mai 1945 stellte der spätere DDR-Innenminister Karl Maron Kontakt zu Dr. Werner her. Im Ergebnis dieser Gespräche empfahl die aus sowjetischer Emigration in Berlin eingetroffene „Gruppe Ulbricht“ ihn als Oberbürgermeister von Berlin. Die Aufgabe des ersten Magistrats formulierte Dr. Werner so: „Hitler hat Berlin zu einer Stadt der Zerstörung gemacht – wir werden Berlin zu einer Stadt der Arbeit und des Fortschritts machen.“ Zunächst galt es, die Ernährung der Menschen zu sichern, die Versorgung mit Strom, Wasser und Brennstoffen anzukurbeln, der Gefahr von Seuchen vorzubeugen und die Schulen für die Wiederaufnahme des Unterrichts vorzubereiten.

Arthur Werner dürfte übrigens der einzige Berliner Oberbürgermeister gewesen sein, der Magistratssitzungen in seiner Privatwohnung abhielt. Bis zur notdürftigen Wiederherstellung des Amtsgebäudes Ende Mai 1945 hielt das Gremium seine Sitzungen in Lichterfelde ab. Der parteilose Probst Heinrich Grüber, damals Beirat für kirchliche Angelegenheiten, lobte als ein Beteiligter später, die „sachliche, zielbewußte und erfolgreiche Arbeit dieses ersten Magistrats“. Selbst der CDU-Politiker Ferdinand Friedensburg meinte: „Man darf ruhig zugeben, daß diese so eigenartig zusammengesetzte Körperschaft in den anderthalb Jahren ihrer Amtszeit unter beispiellos schwierigen Umständen recht erfolgreich gearbeitet hat.“

Mit der beginnenden Kampagne zu den Berliner Abgeordnetenhauswahlen Anfang Juli 1946 wurden die Angriffe auf den Oberbürgermeister immer unsachlicher. Ganz besonders eifrig im Anprangern des Politikers waren die SPD-kontrollierten Zeitungen „Telegraf“ und „Der Sozialdemokrat.“ Als Oberbürgermeister a. D. stand Dr. Werner keine gesicherte Zukunft bevor. Im Amt hatte er ein Gehalt von 450 RM bezogen, zu dem ein Honorar von 250 RM für Vorlesungen im Rahmen seiner Professur kamen. Der SPD-geführte Magistrat, der aus den Wahlen hervorging, dachte keineswegs daran, ihm eine Ehrenpension zu zahlen. Oberbürgermeisterin Louise Schroeder (SPD) ließ Dr. Werners Beschwerde gegen den böswilligen Entzug seines Wohnhauses auf dem Dienstweg versickern. Das Eingreifen ihres Stellvertreters Ferdinand Friedensburg verhalf ihm dann zu seinem Recht. Doch die Schikanen gingen weiter. Als Professor stand ihm die Lebensmittelkarte der Stufe I zu. Doch unter dem Vorwand, das gelte nicht für Honorarprofessoren, wurde ihm im Westberliner Bezirk Steglitz nur die Stufe III zugebilligt. Diesmal intervenierte der US-Stadtkommandant zu seinen Gunsten.

Nach der Währungsunion wurde Dr. Werners Lehrauftrag so stark gekürzt, daß der 73jährige sich gezwungen sah, eine Arbeit zu suchen.

In einem Brief an Otto Grotewohl schrieb Dr. Werner am 24. Januar 1956: „Mein hochverehrter, lieber Herr Ministerpräsident! Meine liebe Ehefrau ist schwer krank und liegt seit dem letzten Sonnabend im Regierungskrankenhaus (der DDR – L. H.) in der Scharnhorststraße. Nun habe ich die große Bitte an Sie, ihr durch einen Vertreter Ihre Grüße und Wünsche für eine baldige Genesung übermitteln zu lassen. Nach meiner Amtsentlassung ist sie gänzlich vergessen, obwohl sie stets treu zur SED gehalten hat und hält und obwohl sie am 24. Juni 1952 die beiden britischen Offiziere Dane und Baebey-Smith in rücksichtsloser Weise abgefertigt hat. Diese stellten im Auftrag des Leiters der Politischen Abteilung, General Coleman, an uns das freche Ansinnen, Sie, Herr Ministerpräsident, nach dem Westen herüberzuziehen.“

Der von Dr. Werner erwähnte General war der britische Stadtkommandant.

In Ostberlin war Arthur Werner jedoch nicht vergessen. So wurde er in einem von Chefredakteur Rudolf Herrnstadt unterzeichneten Leitartikel des ND am 9. 11. 1948 als Gast des Empfangs zum Jahrestag der Oktoberrevolution in der sowjetischen Botschaft erwähnt.

Am 1. Juli 1959 nahm Dr. Werner an einer Tagung des Nationalrats der Nationalen Front der DDR teil, und am 3. Mai 1965 wurde er von Oberbürgermeister Friedrich Ebert anläßlich des 20. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus zu einem Treffen von Aktivisten der ersten Stunde eingeladen. Die DDR-Führung zeichnete ihn wiederholt aus. Nachdem das ND seinem 85. Geburtstag eine ganze Seite gewidmet hatte, erhielt er zum 90. Glückwünsche von der SED- und DDR-Führung.

Durch den Westberliner Senat gemieden, starb Dr. Arthur Werner drei Monate später in Ostberlin. An der Beisetzung in seinem Westberliner Heimatbezirk Lichterfelde nahm kein Senatsvertreter teil.

Ein von Walter Womacka 1987 im Auftrag des Magistrats der DDR-Hauptstadt angefertigtes Porträt Arthur Werners, das bis zur Annexion der DDR durch die BRD im Roten Rathaus hing, wurde von den neuen Machthabern ins Depot der heutigen Stiftung Stadtmuseum verbannt. Letztmalig zeigte man es der Öffentlichkeit im Rahmen der Ausstellung „Berliner Bilder des Malers“, die am 7. Oktober 2009 im Palais am Festungsgraben eröffnet wurde.