RotFuchs 211 – August 2015

Vor 35 Jahren verkündete das Landgericht Köln
sein Urteil gegen drei SS-Mörder

Der Fall Lischka und andere

RA Ralph Dobrawa

Das systematische Verschleppen der Verfolgung von Nazigewaltverbrechen durch die jeweils zuständigen Justizbehörden der alten Bundesrepublik in den ersten Jahrzehnten deren Bestehens ist heute unbestritten. Es bedurfte eines langen Weges, um sich diese schreckliche Wahrheit selbst einzugestehen, obgleich sie bereits seit den 50er Jahren immer wieder durch die DDR benannt wurde. Besonders der Ausschuß für Deutsche Einheit hat sich bleibende Verdienste erworben, wenn es darum ging, auf solche Mißstände aufmerksam zu machen und in der BRD untergetauchte oder wieder zu Amt und Würden gelangte Naziverbrecher zu identifizieren. Mitunter bedurfte es aber auch der persönlichen Initiative einzelner, die sich in der Verantwortung sahen, die Untätigkeit der Justiz anzuprangern.

Zu ihnen gehört ohne Zweifel das Ehepaar Beate und Serge Klarsfeld, das in Paris lebt und sich seit Jahrzehnten nicht nur für die Verfolgung nazistischer Gewaltverbrechen einsetzt, sondern auch persönlich viel unternommen hat, um den einen oder anderen Hitlerfaschisten aufzuspüren. Erinnert sei dabei an Klaus Barbie, der als Schlächter von Lyon in die Geschichte einging, oder an Kurt Lischka, einst Gestapochef von Paris. Der lebte unbehelligt bis in die 70er Jahre in Köln. Lischka trug die entscheidende Verantwortung für die Deportation französischer Juden nach Auschwitz und deren Ermordung in der Gaskammer. Bereits 1950 war er in Frankreich in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Um auf den Mißstand aufmerksam zu machen, daß Lischka in der BRD kein Haar gekrümmt wurde, entschlossen sich die Klarsfelds im Jahre 1971, ihn aus Köln zu entführen. Ihr Ziel war es, den Naziverbrecher der französischen Justiz zu übergeben. Wenn dieser Versuch am Ende auch scheiterte, rief er doch die gewünschte Aufmerksamkeit hervor, wobei Beate Klarsfeld dafür zwei Wochen Haft auf sich nehmen mußte. Als deutlich wurde, daß es um die Schonung von Lischka ging, reagierte die Öffentlichkeit mit Empörung. Es stellte sich heraus, daß ein Verfahren gegen ihn in der BRD nicht möglich war, weil bereits ein alliiertes Gericht ein Urteil gegen ihn gefällt hatte. Eine Auslieferung blieb ebenso ausgeschlossen.

Erst Anfang 1975 kam es dann zu einem Zusatzabkommen, das die Verfolgung Lischkas auch in der Bundesrepublik zuließ. Doch ein halbes Jahr zuvor – im Juli 1974 – war die Antifaschistin Beate Klarsfeld, die den Alt-Nazi und Bundeskanzler Kiesinger öffentlich geohrfeigt hatte, wegen gefährlicher Körperverletzung und gemeinschaftlicher Nötigung durch das Landgericht Köln verurteilt worden. Es sollten weitere vier Jahre vergehen, bis Lischka endlich vor Gericht erscheinen mußte. Zwei seiner Kumpane wurden wie er der Beihilfe zum Mord angeklagt. Es handelte sich um Herbert-Martin Hagen und Ernst Heinrichsohn. Auch dieser war als SS-Angehöriger in Frankreich für die Deportation verfolgter Juden zuständig, da er zum sogenannten Judenreferat gehörte. Die Anklage gegen die drei SS-Mörder wurde mit Einschränkungen zugelassen, soweit „sie in ihren Dienststellungen in Paris von 1940 bis 1943 maßgeblich an den Transporten des Reichssicherheitshauptamtes beteiligt waren, mit denen insgesamt 73 176 jüdische Männer, Frauen und Kinder in das KZ Auschwitz-Birkenau gebracht und, zumindest nach Errechnung der Anklage, 49 884 vorsätzlich und rechtswidrig, grausam, heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen getötet wurden“.

Seit Oktober 1979 wurde in Köln ge-gen die drei Mörder im Solde Himmlers verhandelt, wobei das Gericht Zeugen hörte und zahlreiche Urkunden verlas. Die Dokumente wurden zu einem großen Teil durch Serge Klarsfeld in das Verfahren eingeführt, der neben dem namhaften DDR-Juristen Prof. Friedrich Karl Kaul nahe Angehörige von Ermordeten im Rahmen der Nebenklage anwaltschaftlich vertrat.

Trotz Verschleppungsmanövern der Verteidigung sprach das Gericht nach für Verfahren dieser Art ungewöhnlich kurzer Prozeßdauer sein Urteil. Am 11. Februar 1980 verhängte es gegen Lischka 10, Hagen 12 und Heinrichsohn 6 Jahre Freiheitsentzug wegen Beihilfe zum Mord. Alle drei mußten bald darauf ihre Haftstrafen antreten.

Professor Kaul, der zeitweilig auch Beate Klarsfeld in deren Verfahren verteidigt hatte, war angesichts der bis dahin üblichen generellen Verschleppungspraxis überrascht. Doch ohne den Mut von Beate und Serge Klarsfeld und das von ihnen eingegangene hohe Risiko wäre es wohl niemals zu diesem Prozeß gekommen. Beide sind ihrer antifaschistischen Grundüberzeugung treu geblieben, wovon ich mich nicht nur am 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald bei einem gemeinsamen Rundgang überzeugen konnte.