RotFuchs 228 – Januar 2017

Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
der wollte keine Knechte

Peter Franz

So lautet die erste Zeile eines Liedes, das im Verlaufe des 19. Jahrhunderts und bis ins 20. hinein ganze Generationen von Schulkindern auswendig gelernt und auch gesungen haben. In seinen „Liedern für Teutsche“ (1813) veröffentlichte Ernst Moritz Arndt (1769–1860) dieses „Vaterlandslied“ neben anderen patriotischen und kämpferischen Gesängen. Es war die Zeit der Erhebung progressiver und vaterländischer Kräfte gegen die napoleonische Fremdherrschaft.

Dieses Lied des umtriebigen Publizisten, Historikers und Lyrikers mit einem Hang zum Romantisieren ist aus der Aufbruchstimmung der damaligen Zeit zu verstehen, da sich durch die vernichtende Niederlage des korsischen Diktators vor Moskau 1812 auch völlig neue Perspektiven für die anderen geknechteten Völker abzeichneten. Es verbindet plebejischen Zorn und Erbitterung gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung mit einem todesverachtenden Glauben und geradezu religiös-verzückten Vertrauen in den Erfolg von Waffengewalt, die sich gegen die Tyrannei der französischen Besatzungsmacht richtet.

So verständlich die Attitüde des Aufbegehrens gegen eine ungerechte Fremdherrschaft in dieser Situation war, so gefährlich waren bestimmte Konsequenzen, die sich in Arndts Lebensgang, vor allem aber in der weiteren Wirkungsgeschichte dieses Liedes ablesen ließen. Auch er selber ist der Gefahr nicht entgangen, die darin lag, den Haß auf den Diktator gleitend in eine Verachtung „des Franzosen“ an sich übergehen zu lassen. Daraus konnte ein sich später weiter verfestigender anti-französischer Chauvinismus seinen Honig saugen und die westliche Nachbarnation schließlich zum „Erbfeind“ erklären. Der aber wurde zunächst im Krieg von 1870/71 besiegt, was die spiegelbildlichen deutschfeindlichen Ressentiments in den folgenden Jahrzehnten auf französischer Seite zumindest nicht ganz unverständlich erscheinen läßt.

Als sich das deutsche Kaiserreich 1914 sehr bereitwillig in einen neuen Krieg hineinziehen ließ, verbanden sich natürlich wiederum Franzosenfeindschaft, deutscher Nationalismus und Chauvinismus auf das Innigste. Es kann nicht verwundern, wenn dabei auf die nationalistischen Ambitionen des verehrten Dichters des Vaterlandsliedes zurückgegriffen wurde. In einem Aufruf von 1813 hatte Ernst Moritz Arndt einst geschrieben: „Nicht mehr Katholiken und Protestanten, nicht mehr Preußen und Österreicher, Sachsen und Bayern, Schlesier und Hannoveraner, nicht mehr verschiedenen Glaubens, verschiedener Gesinnung und verschiedenen Willens – Deutsche seid, eins seid, wollet eins sein durch Liebe und Treue!“1 Und wenige Tage nach Kriegsausbruch, am 4. August 1914, erklärte Kaiser Wilhelm II. in seiner Thronrede bei Eröffnung des Reichstages zu Berlin, er kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche.

Und dies geschah in der Sitzung des Reichstages, in der SPD-Fraktionsvorsitzender Hugo Haase auch jene Erklärung abgab, die Sozialdemokraten ließen „in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich“, und gleichzeitig die Zustimmung zu den geforderten Kriegskrediten erteilte.

Nun konnte der Gott, der Eisen wachsen ließ, eine neue Todessaat in den Fabriken an Rhein und Ruhr heranwachsen sehen, die unvergleichlich größer war als das relativ bescheidene Waffenarsenal einhundert Jahre zuvor. Dank der – auch mit Hilfe der SPD beschafften – Gelder konnte der wilhelminische Staat eine gewaltige Waffenproduktion in Auftrag geben, die von den Herren der Rüstungsschmieden gegen Barzahlung dankbar in Gang gesetzt wurde.

Die Mehrzahl der in diesen imperialistischen Krieg gezogenen Soldaten erkannte spät oder gar nicht, daß sie zu Knechten ökonomisch und politisch Mächtiger geworden waren. Der Götze Krieg, der sie in furchtbare „Stahlgewitter“2 hatte ziehen lassen, bescherte dagegen allzu vielen ein elendes Verröcheln in den Schützengräben oder ein späteres jammervolles Siechtum als Krüppel. Die Novemberrevolution von 1918/19 leitete einen Teil der Erbitterung und Verzweiflung über diesen eisensäenden Todesgott um in einen Aufruhr, der das Kaisertum hinwegfegte und Chancen für ein besseres Staatswesen eröffnete.

Aus vielen Gründen, die hier nicht erörtert werden können, wurden diese Chancen jedoch vertan. Sinnlicher Ausdruck für dieses Versagen war das Entstehen unzähliger Kriegerdenkmäler an die umgekommenen Soldaten des „großen Krieges“, auf denen das falsche Etikett vom „Heldentod“ angebracht wurde. Einer der Sprüche, die sich dafür eigneten, war – wie könnte es anders sein – Ernst Moritz Arndts erste Zeile seines Vaterlandsliedes.

Daß die Arndtsche Tradition auch später in der Nazizeit dankbar aufgegriffen wurde, zeigt eine Kriegerehrung, die sich der Bochumer Verein für Gußstahlfabrikation AG im Jahre 1934 hat einfallen lassen: Ein zwölf Meter hohes Schwert aus Stahl trägt eben diese stolze Inschrift, mit der Ernst Moritz Arndt sein berühmtes Lied beginnen ließ.3

  1. „Ein einig Volk von Brüdern!“ – so lautete der Titel eines Buches, das als „Kriegs-Katechismus für deutsche Soldaten“ erschien.
  2. So der Titel des gleichnamigen Buches von Ernst Jünger
  3. Siehe dazu Peter Franz: Martialische Idole. Die Kriegerdenkmäler in Thüringen und ihre Botschaften, Jena 2000. Hg. vom Thüringer Forum für Bildung und Wissenschaft e.V., Jena