RotFuchs 206 – März 2015

Die DDR – ein Unrechtsstaat? Aber ja doch!

Hans Rehfeldt

Das behauptet außer Kinkel auch dieser Autor, den Krieg und sowjetische Gefangenschaft sieben Jahre seines Lebens gekostet haben. Er konnte sich dadurch aber vom Müll der in ihn hineingestopften Nazi-Ideologie befreien, vom Hitlerjungen zum Antifaschisten werden. Die DDR wurde dem Überlebenden und Heimkehrer zum Vaterland. Daß sie der bundesdeutschen Bourgeoisie zu deren maßloser Bereicherung 1990 bedingungslos geopfert wurde, war purer Wahnsinn!

Zum „Unrechtsstaat DDR“ nur soviel: Aus Sicht des Bürgerlichen Gesetzbuches der BRD beging die DDR zweifellos ein ungeheuerliches Verbrechen: Konzerne, Banken und Großgrundbesitzer wurden gnadenlos enteignet, das BGB aus Kaisers Zeiten dabei mit Füßen getreten. Die nach dem Krieg im Westen weiter an den Schalthebeln gebliebene kapitalistische Ausbeuterklasse hinderte man im Osten 45 Jahre daran, Profit aus dem Land und seiner Bevölkerung zu ziehen. Welche großartigen Möglichkeiten zur Miet-erhöhung gingen beispielsweise den Haus-eigentümern in all dieser Zeit verloren! Aus bürgerlicher Sicht: Kriminalität in höchster Potenz!

Was hätte man nicht alles aus Betrieben und Kombinaten, dem Grund und Boden, Wäldern und Seen, die nun nicht mehr Privatpersonen gehörten, herausholen können! Das juristisch verbriefte Recht der BRD-Kapitalisten am Privateigentum und seiner maßlosen Vermehrung auf Kosten „des Rests“ der Bevölkerung wurde so total mißachtet, daß es der DDR nie und nimmer verziehen werden kann. Dieser Staat war obendrein auch noch eine selbst-deklarierte Diktatur der zuvor ausgebeuteten Klasse, des Proletariats, wie es hieß! Eine Diktatur, die verhinderte, daß alles so wie bisher in der deutschen Geschichte weiterging. Keiner konnte sich – vom gesellschaftlichen Ansatz her – auf Kosten seiner Mitmenschen bereichern, und selbst kleinen Kindern wurde schon beim „Topfen“ im Kindergarten die freiheitliche Entscheidung vorenthalten.

Gauck liegt völlig richtig, wenn er von Freiheit redet, die erst jetzt Allgemeingut ist. Heute kann jeder auf Geschäftsstraßen betteln oder unter der Berliner S-Bahn-Brücke Friedrichstraße als Obdachloser übernachten, obwohl sich dicht daneben komfortable Hotels befinden. Warum nimmt er sich nicht dort ein Zimmer? In der DDR wären solche Errungenschaften grenzenloser Freiheit undenkbar gewesen.

Ohne all das ihr angekreidete und niemals verziehene Unrecht wäre die DDR allerdings kein sozialistisches Land gewesen, auch kein „sozialistisches Experiment“, wie manche es nennen. Es hätte weder ein Recht auf Arbeit noch ein allen zugängliches Gesundheitswesen oder einen Wohnungsbau großen Stils bei bezahlbar niedrigen Mieten gegeben.

Um von den Errungenschaften dieses Unrechtsstaates abzulenken, wird seit Jahrzehnten ohne Unterlaß die „Stasi“-Keule geschwungen. Die „politische Klasse“ der BRD und deren Medien tun so, als ob 16 Millionen frühere DDR-Bürger wie ein Mann genauso beglückt wären wie sie selbst. Presse, Fernsehen und Rundfunk starten ein Ablenkungsmanöver nach dem anderen, um den Menschen die Sicht auf den realen Kapitalismus zu verstellen. Zu den besten Sendezeiten wird das Denken vieler Millionen BRD-Bürger mit „Sturm der Liebe“, „Rote Rosen“ und weiteren Seifenopern sowie mit Übertragungen aus sämtlichen Zoos oder von Traumschiff-reisen ohne Ende vollgestopft, damit ihnen das tatsächliche Geschehen gar nicht mehr bewußt wird.

Man stellt das um die annektierte DDR vergrößerte Deutschland als beste aller nur denkbaren Demokratien, vor allem aber als weltpolitischen Machtfaktor dar. Die Bundeswehr darf nirgends fehlen. Herr Gauck ersetzt zur Rechtfertigung solcher Einsätze die einstige Forderung „Schwerter zu Pflugscharen“, die vor allem gegen die an keinem Krieg beteiligte NVA der DDR gerichtet war, durch den Appell, möglichst überall mitzumischen. Es ist sogar wieder möglich, Rußland wie zu Goebbels’ Zeiten als Ausbund des Abscheulichen darzustellen. Nach der Agenda der „amerikanischen Freunde“ wird Russophobie jetzt als erstes Fach gelehrt. Sind die 27 Millionen zu Tode gebrachten Sowjetbürger, die auf das Schuldkonto des faschistischen Deutschland kommen, denn schon vergessen?

Unser Autor – ein intimer Kenner des Bauwesens der DDR – war jahrzehntelang Redakteur der Tageszeitung „Neues Deutschland“.