RotFuchs 232 – Mai 2017

Die letzten Wochen vor
der Oktoberrevolution (Teil 1)

RotFuchs-Redaktion

Das Volk will Frieden

Im Frühjahr 1917 wurde die Fortsetzung oder Beendigung des Krieges zu einer entscheidenden Frage für alle politischen Kräfte Rußlands.

Arbeiter, Bauern und Soldaten forderten auf Versammlungen, bei Massendemon­strationen und Kundgebungen immer energischer die sofortige Beendigung des Krieges. Jeder Monat Krieg kostete das ausgeblutete Land eine halbe Milliarde Rubel. Hunger und Massenarbeitslosigkeit nahmen zu. Zwischen dem 14. März und dem 23. April waren von 28 326 Soldaten, die aus Reserveregimentern an die Front geschickt wurden, 17 Prozent desertiert.

Die Provisorische Regierung

Die provisorische Regierung war gewillt, den Krieg fortzusetzen. Das hatte der Ministerpräsident der Provisorischen Regierung, Fürst Lwow, am 1. April dem französischen Ministerpräsidenten versichert. Ende April kam der französische Minister für Bewaffnung, A. Thomas, nach Rußland, um die Arbeiter und Soldaten zur Fortsetzung des Krieges zu bewegen. Außenminister Miljukow erklärte im Namen der Provisorischen Regierung zu den verschiedensten Anlässen telegrafisch, mündlich oder in Noten, daß der „Krieg bis zum siegreichen Ende fortgeführt“ werde.

„Das Vaterland verteidigen“

Die kleinbürgerlichen Parteien (Menschewiki und Sozialrevolutionäre) erklärten, es gelte jetzt, das „Vaterland zu verteidigen“. Aufgrund ihres zahlenmäßigen Über­gewichts in den Sowjets (Räten) konnten sie Verwirrung in den nach Frieden strebenden Volksmassen stiften und ihre Auffassung auf der Beratung der Sowjets der Arbeiter und Bauern in Petrograd vom 11. bis 16. April als Beschluß durchsetzen. Wenige Tage später, am 20. bzw. 23. April, unterstützte die Mehrheit der Abgeord­neten des Petrograder und Moskauer Sowjets eine neue Kriegsanleihe der Provisorischen Regierung.

Die Haltung der Bolschewiki

Die Partei Lenins – die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands (Bolschewiki) – unterstützte dagegen uneingeschränkt die Forderung nach Beendigung des Krieges.

In Fabriken, Kasernen und Schützengräben erklärten die Kommunisten, daß von der Verteidigung des Vaterlandes keine Rede sein könne, weil sich der imperialistische Charakter des Krieges auch unter der Provisorischen Regierung nicht geändert hatte. Sie erklärten die Notwendigkeit der Übernahme der ganzen Macht in die Hände der Räte, weil nur eine Regierung der Arbeiter und Bauern dem imperialistischen Krieg ein Ende machen werde.

Die Parteigruppen der Bolschewiki in den Armee-Einheiten, die nach der Februar­revolution gebildeten sogenannten Militär-organisationen, hatten in dieser Arbeit große Erfolge.

Streik in Deutschland

Der Friedenswunsch des russischen Volkes, das Elend des Krieges, Not und Hunger widerspiegelten sich auch in Friedensforderungen anderer Völker.

In Deutschland wuchs die Antikriegsstimmung, einerseits durch die antimilita­ristische Arbeit der Spartakusgruppe, zum anderen durch die eigenen Erfahrungen, die die Volksmassen in dem über 30 Monate währenden Krieg gesammelt hatten. Bis Ende 1916 waren fast vier Millionen deutsche Soldaten gefallen, verwundet oder in Gefangenschaft geraten.

Als am 15. April die Behörden eine weitere Herabsetzung der Hungerrationen ankündigten, begannen einen Tag später 300 000 Berliner Arbeiter und Arbeiterinnen einen Proteststreik, bei dem eine ganze Reihe Rüstungsbetriebe lahmgelegt wurden. Zehntausende schlossen sich in Braunschweig, Halle, Dresden, Hannover und vielen anderen Städten dem Streik an. Nach dem Beispiel der russischen Arbeiter wurden in zwei Berliner Rüstungsbetrieben die ersten Arbeiterräte in Deutschland gebildet.

Der erste 1. Mai in Rußland

1917 wurde in Rußland der 1. Mai, der Kampftag der arbeitenden Menschen aller Länder, zum ersten Mal in der Öffentlichkeit gefeiert. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands (Bolschewiki) hatte in Flugblättern aufgerufen, für internationale Solidarität und Freundschaft zwischen den Völkern zu demonstrieren. Sie forderte die Arbeiter auf, den Kampf gegen den imperialistischen Krieg und für den Übergang der gesamten Macht in die Hände der Sowjets (Räte) fortzusetzen. Im ganzen Land kam es zu Massenkundgebungen und -demonstrationen.

Petrograd: 1. Mai 1917

Die Hauptstadt Rußlands bot an diesem 1. Mai ein ungewohntes Bild. Vom frühen Morgen an zogen Demonstranten aus den Arbeitervierteln in Marschsäulen zu den Sammelstellen. Arbeiterlieder erklangen. Soldaten marschierten kompanieweise und als geschlossene Einheiten neben den Arbeiterkolonnen. In Straßen, auf Plätzen und in Betrieben fanden Massenkundgebungen statt.

Auf einer dieser Kundgebungen sprach W. I. Lenin über die Bedeutung des 1. Mai und die Aufgaben der russischen Revolution. Seine Rede endete mit dem Appell: „Nieder mit dem Krieg! Es lebe der Frieden und der Kampf für die proletarische sozialistische Republik!“

Gerade an diesem 1. Mai, an dem die Werktätigen Rußlands ihr Streben nach Frieden massenhaft bekundeten, richtete der Außenminister der Provisorischen Regierung, Miljukow, an die Regierungen Englands, Frankreichs und der übrigen Verbündeten Rußlands eine Note, in der er mitteilte, die Regierung werde den Krieg weiterführen.

Miljukows Absicht rief bei den Arbeitern und Soldaten, die geglaubt hatten, nach dem Sturz des Zaren im Februar werde der Krieg bald beendet sein, Empörung hervor. Am 3. Mai kam es in den Straßen Petrograds spontan zu Demonstrationen. Um 15 Uhr marschierten vor dem Marienpalast, wo die Provisorische Regierung tagte, das Finnländische Regiment und weitere Einheiten der Petrograder Garnison auf.

Protest gegen Kriegspolitik

In kurzer Zeit hatten sich auf dem Platz vor dem Palast mehr als 15 000 Soldaten versammelt. Sie trugen Plakate mit den Losungen: „Nieder mit Miljukow!“, „Nieder mit dem Krieg!“, „Alle Macht den Sowjets!“

In Fabriken und Werken kam es zu Protestkundgebungen gegen die Note Miljukows. Am Abend des 3. Mai zogen Arbeiterkolonnen mit der Losung „Alle Macht den Sowjets!“ zum Taurischen Palast, wo der Sowjet der Arbeiter und Soldaten tagte.

Gegen den Protest der Arbeiter und Soldaten organisierte die Bourgeoisie Auf­märsche von Anhängern der Provisorischen Regierung. Offiziere provozierten und schossen. Zugleich warf die regierungsfreundliche Presse den Anhängern Lenins vor, Urheber der Unruhen zu sein. Die Situation verschärfte sich. Nach einem Wort Lenins war das Land zu diesem Zeitpunkt um Haaresbreite vom Bürgerkrieg entfernt.

Die Krise der Provisorischen Regierung

Anfang Mai 1917 befand sich die Provisorische Regierung in Petrograd in einer politischen Krise. Sie war hervorgerufen worden durch die bereits erwähnte Note ihres Außenministers Miljukow, in der er sich im Namen der Regierung für die Fortsetzung des Krieges aussprach und damit einen Massenprotest unter den nach Frieden drängenden Arbeitern und Soldaten hervorgerufen hatte.

Den Ausweg suchte die Bourgeoisie in der Entlassung des Kriegs- und Marine­ministers Gutschkow und des Außenministers Miljukow. Zugleich wandte sich die Regierung an die Vertreter der kleinbürgerlichen Parteien im Petrograder Sowjet der Arbeiter und Bauern mit dem Angebot, ihre Vertreter in die Regierung zu entsenden.

Kerenski wird Kriegsminister

In der Nacht zum 15. Mai beschloß das Exekutivkomitee des Petrograder Sowjets, in dem die kleinbürgerlichen Parteien (Menschewiki und Sozialrevolutionäre) die Mehrheit hatten, gegen die Stimmen der Anhänger Lenins, der Bolschewiki, das Angebot der Regierung anzunehmen.

Am 18. Mai traten die Menschewiki Zereteli und Skobelew und der Sozialrevolutionär Tschernow als Minister in die neugebildete Koalitionsregierung ein. Der Sozialrevo­lutionär Kerenski, der bereits in der provisorischen Regierung Justizminister war, übernahm das Amt des Kriegs- und Marineministers.

Mit dem Eintritt der „Sozialisten“ in die Regierung erreichten die Menschewiki und Sozialrevolutionäre, daß bei einem Teil der Soldaten, Bauern und Arbeiter die Hoffnung wuchs, nun würde sich die Politik zugunsten der arbeitenden Bevölkerung ändern.

Der Krieg geht weiter

Die „sozialistischen“ Minister setzten sich jedoch nicht für die Forderung des Volkes nach Beendigung des Krieges ein. Bereits einen Tag nach ihrer Bildung teilte die Regierung mit, daß sie den Krieg an der Seite ihrer Verbündeten fortsetzen werde.

Am 25. Mai ordnete sie an, dem Kriegsministerium eine zusätzliche, im Budget nicht vorgesehene Summe von 604 Millionen Rubel zur Deckung von Kriegskosten anzu­weisen. Obwohl im bisherigen Verlauf des Krieges bereits mehr als 1,5 Millionen russische Soldaten gefallen und etwa vier Millionen verwundet worden waren, begann Kriegsminister Kerenski mit der Vorbereitung der von den Verbündeten geforderten Offensive an der Front.

Am 24. Mai unterzeichnete Kerenski den Befehl über die Grundrechte der Militär­angehörigen, der in der Armee die uneingeschränkte Macht der Generale und Offiziere wiederherstellte, die nach der Februarrevolution durch die Soldatenräte wesentlich eingeschränkt worden war. Als Strafe für Antikriegsaktionen an der Front verfügte die Regierung am 19. Juni die Verschickung zur Zwangsarbeit.

Im Lande herrschen Hunger und Not

Im April hatte die Moskauer Bevölkerung statt der angekündigten 1890 Waggons Brotgetreide nur 713 erhalten. Die Bourgeoisie vergrößerte mit Betriebsstillegungen und Aussperrungen noch die Not der Bevölkerung. Streikaktionen der Arbeiter verurteilte der menschewistische Minister für Arbeit, Skobelew, als „eigenmächtige“ Aktionen, welche die Industrie „desorganisierten“.

Gestützt auf „UZ“