RotFuchs 190 – November 2013

Wie die Strausberger CDU einem Gewaltverbrecher huldigt

Die Minen des Michael Gartenschläger

Ulrich Guhl

Seit April 2013 lebe ich in Strausberg. Wenn ich durch die Hauptstraße der Altstadt gehe, komme ich am örtlichen CDU-Büro vorbei. In diesem Wahljahr entdeckte man dort nichts Relevantes zum Programm dieser Partei oder zu Personen, die im CDU-Namen lokale Politik machen. Dafür stellte man zwei Plakate zum Kampf gegen das Phantom DDR zur Schau – eines über aufbegehrende Jugendliche, die angeblich von der „roten Diktatur“ unterdrückt worden waren, und ein anderes über einen gewissen Michael Gartenschläger.

Wer aber war dieser 1944 in Strausberg Geborene?

Nach dem Schulabschluß wurde er Autoschlosser. Schon früh soll er sich für Rockmusik engagiert haben. Authentisch ist, daß er eine Gruppe gründete, die der DDR Schaden zufügen wollte. Zunächst schrieb er an einen Garagenkomplex: „SED Nee!“ Später legte er Feuer an eine Feldscheune. Man muß wohl schon der Strausberger CDU angehören, um zu begreifen, wieso Brandstiftung ein Akt des Widerstandes ist. Auf dem Plakat im Schaufenster des Parteibüros wurde seine Tat aber so bezeichnet.

Was Gartenschläger tatsächlich zum Gegner der DDR werden ließ, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht hat ihn die engstirnige Sicht mancher Funktionäre, die dem Musikgeschmack und dem Lebensgefühl junger Menschen nicht immer zu folgen vermochten, aufgebracht.

Im August 1961 wurde Gartenschläger vom Bezirksgericht Frankfurt (Oder) in öffentlicher, vom Rundfunk übertragener Sitzung – sie fand im Strausberger NVA-Kulturhaus statt – wegen „staatsgefährdender Propaganda, Hetze und Diversion“ zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Aus meiner Sicht war diese Entscheidung gegen den jungen Mann deutlich überzogen. Was die erwiesene Brandstiftung betrifft, so hätte diese Straftat allerdings auch in der BRD eine strenge Ahndung erfahren. 1971 wurde Gartenschläger von der BRD für 40 000 DM freigekauft. Diese Art des Umgangs mit verurteilten Straftätern gehört sicher nicht zu den Ruhmesblättern der DDR-Geschichte.

Doch zurück zum Idol der Strausberger CDU. In Hamburg pachtete Gartenschläger eine Tankstelle. Aber auch die BRD hatte an ihm keine Freude. Schon 1973 ermittelte man gegen ihn wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz, was im Strausberger CDU-Text „zufällig“ fehlt. In der Folgezeit wurde er ein kommerzieller Menschenschmuggler, der bis 1975 zahlreiche Personen gegen handfeste Bezahlung aus der DDR in den Westen schleuste.

Bald erkannte er ein Geschäft, das noch mehr abwarf. Er befaßte sich nun mit der Sicherheitstechnik an der Staatsgrenze zur DDR. Es gab in der BRD Leute, die für demontierte Grenzsicherungsanlagen einen Batzen Geld auf den Tisch legten. Eine Mine brachte 3000, ein Schaltkasten sogar 10 000, und eine Schaltzentrale warf 100 000 DM ab.

In der Nacht zum 1. April 1976 demontierte der bewaffnete Gartenschläger eine Splittermine SM 70 – heute ist irreführenderweise von „Selbstschußanlagen“ im DDR-Grenzterritorium die Rede. Er bot sie dem BND, dem Verfassungsschutz und der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR (!) zum Kauf an. Alle lehnten ab. Spätestens jetzt hätten die BRD-Behörden eingreifen müssen, offerierte man ihnen doch Munition, die auf fremdem Staatsgebiet illegal demontiert worden war. Doch nichts geschah.

Schließlich verscherbelte der Täter die Mine samt Lebensgeschichte für 12 000 DM an den „Spiegel“. Auch das wird heute von Strausbergs CDU verschwiegen. In der Nacht zum 23. April 1976 baute der „Sprengstoffexperte“ eine zweite Mine ab und verkaufte sie an die „Arbeitsgemeinschaft 13. August“ für ihn enttäuschende 3000 DM.

Durch die „Spiegel“-Reportage aber wußten die DDR-Behörden über Gartenschlägers Treiben Bescheid.

Ende April 1976 erfuhren die Grenztruppen, daß er einen weiteren Anschlag plante. Sie hatten entsprechende Funksprüche des Bundesgrenzschutzes abgehört. Daraus ging hervor, daß der BGS über Gartenschlägers Pläne informiert war. Er unternahm jedoch abermals nichts, um die Provokation zu verhindern.

In der Nacht zum 1. Mai 1976 versuchte Gartenschläger mit zwei Komplizen, eine dritte SM 70 abzubauen. Die Eindringlinge waren mit einer Schrotflinte und zwei Pistolen vom Kaliber 7,65 mm bewaffnet. Auf DDR-Seite lagen außer den Grenzsoldaten auch 29 Angehörige einer Einsatzkompanie der Hauptabteilung I des MfS in Stellung. Ihr Auftrag lautete, Gartenschläger lebend zu fassen. Durch ein Geräusch erschreckt, gab dieser plötzlich zwei Schüsse auf DDR-Grenzer ab, die in Notwehr zurückfeuerten und Gartenschläger lebensgefährlich verletzten. Nun eröffneten seine beiden Komplizen das Feuer auf die DDR-Soldaten. Eine neue Schußfolge begann, bevor sich Gartenschlägers Kumpane in den Westen absetzten.

Der schwerstens Getroffene wurde sofort abtransportiert. Um 23.45 Uhr stellte ein Militärarzt Gartenschlägers Tod fest. Eine Kugel hatte den Herzbereich getroffen, was ihm keinerlei Überlebenschancen einräumte.

Auf dem Strausberger CDU-Plakat wird wahrheitswidrig behauptet, der bewaffnete Terrorist sei „im Kugelhagel eines Stasi-Erschießungskommandos gefallen“. Unwissenden Passanten soll das offenbar suggerieren, der Mann sei regelrecht hingerichtet worden. Unerwähnt bleibt, daß Gartenschläger und seine Begleiter bewaffnet waren. Auch das Weglassen für die Wahrheitsfindung relevanter Tatsachen gilt als Lüge und verletzt das 8. Gebot von Christen, als die sich die Parteigänger der CDU ja ausgeben.

Im März 2000 wurde vor dem Landgericht Schwerin gegen drei DDR-Grenzsoldaten verhandelt. Nach § 32 StGB gestand man den Angeklagten eine Notwehrsituation zu. Ihr Freispruch war die logische Folge. Im März 2003 endete ein weiterer Prozeß gegen Angehörige des MfS-Kommandos wegen „Anstiftung zur Tötung“ ebenfalls mit Freispruch – hier infolge Verjährung.

Im Jahre 2006 lehnte die Strausberger Stadtverordnetenversammlung den von der CDU unterstützten Antrag ab, eine Straße nach Gartenschläger zu benennen. Die Gründe dafür lagen auf der Hand. Strausberg bedarf keiner falschen Helden, hat doch die Stadt durchaus echte hervorgebracht. Ich denke dabei auch an den mutigen Sozialdemokraten Georg Kurtze, der von den Faschisten verfolgt wurde und 1945 die weiße Fahne auf dem Rathaus hißte. Noch im Mai 1945 wurde er von Hitlers Banditen ermordet.

„Der Weg zur Wahrheit muß selbst wahr sein“, schrieb Karl Marx. Gerade hier liegt das Dilemma heutiger Geschichtsfälscher. Wenn man aus purem Haß auf die DDR einen überführten Verbrecher zum Heroen machen will, indem man hier etwas wegläßt und dort etwas hinzufügt, verfängt man sich am Ende in einem Gestrüpp aus Lügen und Selbstbetrug. Gartenschläger war bereit zu töten, also nach Maßstäben auch des bürgerlichen Rechts ein gefährlicher Gewalttäter.

Ein anderer Marx – der Erzbischof von München und Freising – sagte 2005: „Wer heute den Zeitgeist heiratet, wird morgen Witwer sein.“