RotFuchs 212 – September 2015

Ein Buch vertreibt den Nebel um die „innerdeutsche Grenze“

Die nüchterne Sprache der Tatsachen

Konstantin Brandt

Klaus Emmerichs neues Buch trägt zwar den nüchternen Titel „Die Grenzkommission beider deutscher Staaten – Aufgaben, Tätigkeit und Dokumente“, dürfte aber in der Debatte zu dieser Thematik – nicht zuletzt auch in der Linkspartei – von hohem Aktualitätswert sein. Als ich dem Autor vor etlichen Jahren erstmals begegnete, war ich als Gast Teilnehmer einer Besprechung der PDS-Landtagsfraktion von Mecklenburg-Vorpommern mit den persönlichen Mitarbeitern der Abgeordneten sowie Verantwortlichen in den Landeswahlbüros. Klaus Emmerich hatte damals die Aufgabe eines wissenschaftlichen Mitarbeiters der Fraktion übernommen, zu der noch einige am Marxismus festhaltende Abgeordnete mit der Fraktionschefin Catarina Muth gehörten. Diese engagierten sich nicht nur selbst, sondern vermochten auch, ihre Ansichten teilende Genossen um sich zu scharen.

Als sich die Situation plötzlich veränderte, weil der Drang nach Regierungsbeteiligung immer stärker wurde, kehrte Klaus Emmerich in seinen Beruf zurück und ließ sich in Schwerin und Crivitz als Rechtsanwalt nieder. Doch der linksorientierte Jurist konnte im System der BRD weder Reichtümer erwerben noch Einfluß gewinnen. Und das, obwohl seine fachliche Autorität über jeden Zweifel erhaben ist.

Schon 1989/90 berief man Klaus Emmerich zum Sekretär der Arbeitsgruppe des Zentralen Runden Tisches „Neue Verfassung der DDR“. Darüber hat er sein aufschlußreiches Buch „In guter Verfassung?“ veröffentlicht. Hier griff der versierte Rechtskenner bereits 2010 das später von professionellen Brunnenvergiftern arg strapazierte Thema vom angeblichen Unrechtsstaat DDR und dem vermeintlichen sozialen Rechtsstaat BRD vorausschauend auf. Auch aus seiner intimen Kenntnis der Auswirkungen einer PDS-Regierungsbeteiligung auf Landesebene kam für ihn die spätere Herabsetzung der DDR durch führende PDL-Politiker in Thüringen und anderswo nicht überraschend.

Protest gegen das Massensterben von Kriegs- und Hungerflüchtlingen vor den Grenzen der „Festung Europa“
Protest gegen das Massensterben von Kriegs- und Hungerflüchtlingen vor den Grenzen der „Festung Europa“

Als Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften der DDR gehörte der Autor des hier besprochenen Buches zu den Beratern der Delegation seines sozialistischen Staates in der Grenzkommission aus Vertretern der DDR und der BRD. Diese nahm am 4. September 1973 ihre Arbeit zur Grenzmarkierung bei Lübeck auf. Man kann Klaus Emmerich also mit Fug und Recht als Insider betrachten.

An einstigen Übergängen der DDR-Staatsgrenze zur BRD stehen heute fast überall geschichtsverfälschende Schilder mit Aufschriften wie „Deutsche Teilung 1945–1990“, „Hier war die innerdeutsche Grenze von 1945 bis 1990“ oder: „Hier waren Deutschland und Europa bis zum 18. November 1989, 8.30 Uhr geteilt“.

Die zwischen den Alliierten der Antihitlerkoalition bereits im Frühjahr 1945 vereinbarten Zonengrenzen als „innerdeutsche Grenze“ zu bezeichnen, entspricht nicht den seinerzeitigen Realitäten. Doch die seit 1949 bestehende Grenze zwischen zwei souveränen deutschen Staaten in dieser Weise darzustellen, schlägt dem Faß den Boden aus.

Denn sie war von deren Existenz nicht zu trennen. Ihr Verlauf wurde durch Verhandlungen zwischen beiden deutschen Staaten und den Siegermächten, die ihre jeweiligen Besatzungszonen abgegrenzt hatten, klar bestimmt.

Der „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland“ vom 21. Dezember 1972 – verkürzt als Grundlagenvertrag bezeichnet – formulierte im Artikel 3 unter Bezugnahme auf die UNO-Charta: „Beide deutsche Staaten werden ihre Streitfragen ausschließlich mit friedlichen Mitteln lösen und sich der Drohung mit Gewalt oder der Anwendung von Gewalt enthalten. Sie bekräftigen die Unverletzlichkeit der zwischen ihnen bestehenden Grenze jetzt und in der Zukunft und verpflichten sich zur uneingeschränkten Achtung ihrer territorialen Integrität.“

Mit dieser Formel wurde dokumentiert, daß es sich bei der Grenze zwischen der DDR und der BRD um eine Staatsgrenze handelte, die nicht als „innerdeutsch“ betrachtet werden konnte. Da diese irreführende Vokabel in der bundesdeutschen Gegenwart aber zum ständigen Sprachgebrauch gehört, muß man von gezielter politischer Irreführung ausgehen. Diese gipfelt darin, daß die Eigenstaatlichkeit wie die Rechtssubjektivität nicht nur der DDR geleugnet wird, sondern gleich beider deutscher Staaten, da zwischen ihnen eine völkerrechtlich garantierte Staatsgrenze verlief.

Wer mehr zu dieser Problematik erfahren will, sollte unbedingt zu Dr. Emmerichs Buch greifen.

Klaus Emmerich:

Die Grenzkommission beider deutscher Staaten
Aufgaben, Tätigkeit und Dokumente

Books on Demand GmbH, Norderstedt 2014, 124 S.

9,90 €