RotFuchs 202 – November 2014

Wer Mordchemikalien entwickelt und einsetzt,
gehörte nach Nürnberg

Die Schreckensbilanz von Agent Orange

Joachim Augustin

Seit 2009 gedenkt man am 10. August jeden Jahres in Vietnam der Opfer einer mörderischen „Entlaubungschemikalie“, die als Agent Orange weltweit Schrecken hervorrief. Mit diesem Erzeugnis verbindet sich die Erinnerung an eines der grausamsten Kriegsverbrechen in der Geschichte der Menschheit: Am Beginn der US-Intervention gegen die Kämpfer der Nationalen Befreiungsfront (FNL) Südvietnams ordnete Präsident John F. Kennedy bereits 1961 als Bestandteil der Operation „Ranch Hand“ den Pentagon-Einsatz der Chemikalie 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin (TCDD) an. Sie sollte die Ernte vernichten, den Gegnern der USA so die Grundnahrung Reis entziehen und zugleich die Nachschubwege der FNL-Kämpfer – den Ho-Chi-Minh-Pfad – für Luftschläge „freilegen“. Zu diesem Zweck wurden zwischen 1962 und 1971 fast 50 Millionen Liter des sogenannten Seveso-Giftes über Südvietnam versprüht.

Führende Unternehmen der Branche erkannten die Möglichkeit, durch die massenhafte Herstellung von als Kampfstoff verwendbaren Chemikalien enorme Profite erzielen zu können. Zu diesem Zweck gründeten die US-Konzerne Dow Chemical und Mobay ein Gemeinschaftsunternehmen. Hinzu kamen Monsanto und Bayer-Leverkusen. Wenn es um Massenmord geht, greift man ja gerne auf deutsche Erfahrungen zurück! Schließlich war Zyklon B ursprünglich auch nur als Insektengift deklariert. So wollte Boehringer aus Ingelheim in diesem „Ensemble“ nicht fehlen und lieferte 1967 an Dow Chemical 720 t hochgiftige Trichlorphenobat-Lauge.

Das Ergebnis der ununterbrochenen Versprühung des Kampfstoffes Agent Orange ist die Verseuchung von Ackerböden und Gewässern auf Jahrhunderte, wobei das Leid der Betroffenen alle Dimensionen menschlicher Vorstellungskraft übersteigt.

Fast 1,1 Millionen Vietnamesen leiden bis heute an den Spätfolgen des „Todesnebels“, und auch noch in der dritten Nachkriegsgeneration werden schwerstbehinderte Kinder geboren. Sie kommen ohne Augen, mit offenen Gehirnen, Krebsgeschwüren und Immunschwäche oder ohne Arme und Beine zur Welt.

Anfang August lief bei der ARD die Dokumentation „Regen der Vernichtung“, die vom Schicksal dieser Kinder berichtete. Man wurde zugleich der Liebe und Hilfsbereitschaft jener Menschen gewahr, welche sich um die unschuldigen Opfer des gigantischen US-Kriegsverbrechens kümmern. Die Bilder waren in ihrer nackten Grausamkeit nicht zu ertragen. Sie zeigten, wie winzig und oft belanglos – verglichen damit – eigene Sorgen sind. Indem der eine dem Blinden die Augen zu ersetzen versucht, bemüht sich der andere darum, ihm Arme und Beine zu kompensieren. Tränen der Wut und des Entsetzens liefen über mein Gesicht, weil wir in einer Welt leben, in der so etwas möglich ist. Und dabei überschütten uns die verantwortlichen Politiker Tag für Tag mit Phrasen und leeren Worten, die begründen sollen, warum der Krieg, den sie gerade führen „müssen“, unumgänglich sei und weshalb die anderen Schuld daran trügen.

Da Dioxin in die Nahrungskette eingetreten ist, sind etwa viereinhalb Millionen Menschen davon betroffen – ohne jede Aussicht, das ändern zu können. Wie immer fehlt es am Geld.

Die Verantwortlichen von damals sind inzwischen fast alle gestorben. Sie waren bis zuletzt mit einer guten Pension ausgestattet und hoch geehrt, ohne daß die Weltgemeinschaft sie – wie einst hitlerfaschistische Anführer in Nürnberg – als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt hätte.

Doch einer aus dieser Riege lebt noch: Henry Kissinger, Ex-Außenminister und Chefsicherheitsberater unter US-Präsident Richard Nixon. Er war für den Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung Nordvietnams mitverantwortlich. Dafür erhielt er den Friedensnobelpreis (!). Gibt es einem nicht zu denken, daß Leute wie er und Obama dadurch in eine Reihe mit Bertha von Suttner, Carl von Ossietzky, Albert Schweitzer, Martin Luther King und Mutter Theresa gestellt worden sind? Was für eine Verhöhnung der Opfer!

Da das hier Geschilderte mit Moral und Menschenwürde zu tun hat, will ich noch folgendes hinzufügen: Die ebenfalls betroffenen Soldaten der U.S. Army haben per Gutachten vor Gericht bewiesen, daß die bei ihnen festgestellten Schäden auf Kontakt mit Agent Orange zurückzuführen sind. Aufgrund von Sammelklagen ist es ihnen 1984 vor Gericht gelungen, fast 200 Millionen Dollar von der US-Regierung und den Herstellerfirmen zu erstreiten.

Eine Sammelklage vietnamesischer Opfer der „Entlaubungschemikalie“ aber wurde von demselben Gericht abgewiesen. Man sehe keinen Zusammenhang zwischen den körperlichen Schäden der Kläger und deren Kontakt mit Agent Orange. Somit – hieß es – liege eine chemische Kriegführung nicht vor und damit auch kein Verstoß gegen das Völkerrecht.

Zieht man solche Unrechtsurteile in Betracht, dann versteht man auch, warum Obamas USA noch immer Folterlager wie Guantánamo unterhalten und die psychische wie physische Vernichtung von Menschen „im Interesse der nationalen Sicherheit“ liegt.