RotFuchs 216 – Januar 2016

Vor 70 Jahren trat die erste Vollversammlung
der Vereinten Nationen zusammen

Die UNO im Wandel der Zeiten

Prof. Dr. Horst Schneider

Am 10. Januar 1946 begann in London die erste Vollversammlung der Vereinten Nationen. Auf ihr wurde Trygve Lie als UNO-Generalsekretär gewählt. In der Londoner Exilregierung Norwegens war er Außenminister gewesen. Während seiner Amtszeit vom 1. Februar 1946 bis zum 10. April 1953 vertrat er rückhaltlos die Interessen der USA und der sich formierenden NATO.

Die Grundsätze des Nürnberger Militärtribunals wurden von den Teilnehmern der ersten Sitzung beschlossen. Kriegsverbrecher waren auszuliefern und zu bestrafen. Diese Prinzipien gelten bis heute. Mit der Londoner Konferenz – die folgenden Vollversammlungen tagten dann bereits in New York – begann das Ringen um die Durchsetzung der Völkerrechtsnormen, die im Rahmen der UN-Charta von 51 Gründerstaaten beschlossen worden waren.

Die Außenminister der DDR und der BRD Otto Winzer und Walter Scheel am 18. September 1973 vor der gleichzeitigen Aufnahme beider deutscher Staaten in die UNO

Unter Berücksichtigung der Lehren aus dem Scheitern des Völkerbundes und aufgrund der im Zweiten Weltkrieg gesammelten bitteren Erfahrungen waren die Alliierten der Antihitlerkoalition übereingekommen, nach dem Sieg über den Faschismus eine internationale Organisation ins Leben zu rufen, die „künftige Generationen vor der Geißel des Krieges bewahren“ sollte. So hieß es in der Präambel der UN-Charta. In dieser – sie wurde bereits am 26. Juni 1945 in San Francisco von den Unterzeichnerstaaten beschlossen – waren Prinzipien festgelegt worden, deren Einhaltung durch alle Staaten fortan kriegerische Konflikte ausschließen sollte.

Peter Alfons Steiniger, Professor an der Berliner Humboldt-Universität und Senior der DDR-Völkerrechtler, nannte sie das „Siebengestirn des Völkerrechts“: Verzicht auf Androhung von Gewalt in den internationalen Beziehungen; die Pflicht, Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lösen; das Gebot der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten; die Pflicht zur friedlichen Zusammenarbeit; die Achtung vor dem Selbstbestimmungsrecht der Völker; das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten; die Pflicht, diese Prinzipien nach Treu und Glauben einzuhalten.

Die Charta war bindend für alle Staaten. Nicht diese Prinzipien sind es, welche die Welt unsicher machen, sondern der Bruch des Völkerrechts durch die USA und deren Komplizen als Konstante in den 70 Jahren UN-Geschichte.

Hier ist nicht der Platz, um die 70 Vollversammlungen, die unterdessen stattgefunden haben, zu analysieren. Sie spiegeln die historischen Entwicklungsetappen seit 1945 wider. Bis etwa 1955/56 vermochten es die USA und deren Verbündete mit einer soliden Mehrheit, die UNO in ein Instrument imperialistischer Politik zu verwandeln. Sie ließen sich von ihr am 25. Juni 1950 sogar die Aggression in Korea mit der Resolution 82 absegnen. Damals boykottierte die UdSSR den UN-Sicherheitsrat wegen der Besetzung des Mandats der Volksrepublik China durch Taiwan. Deshalb gab es kein sowjetisches Veto in diesem Gremium, sondern ein Votum von 9:0 bei alleiniger Stimmenthaltung Jugoslawiens.

Ab Mitte der 50er Jahre änderte sich das Kräfteverhältnis in der Welt und damit auch in der UNO. Bis 1960 war die Zahl der Mitgliedsstaaten auf 99 angewachsen, vor allem durch die Aufnahme zahlreicher von der Kolonialherrschaft befreiter junger Nationalstaaten aus Afrika. Frieden und Abrüstung, aber auch Pretorias Politik der Apartheid und die Verbrechen Israels nahmen nunmehr in den Debatten und Beschlüssen einen breiten Raum ein. Die Vereinten Nationen begannen, in Ringen um Entspannung und friedliche Koexistenz ihren Part zu übernehmen.

Dieses goldene Freundschaftsabzeichen
DDR–UNO wurde damals am Sitz
der Vereinten Nationen angeboten.

Unter den veränderten weltpolitischen Bedingungen wurden 1973 die DDR und die BRD gleichzeitig in die Vereinten Nationen aufgenommen. Deren Wirken in der UNO war ein Bestandteil der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten – ein Ausdruck und Faktor der einsetzenden Entspannungspolitik. Deutsch-deutsche „Querelen“ wurden in der UNO nicht ausgetragen. Niemals ist die Politik der DDR in den Vereinten Nationen und deren Spezialorganisationen kritisiert worden.

Wilhelm Bruns von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung bilanzierte Jahr für Jahr Auftreten und Abstimmungsverhalten der UN-Diplomaten beider deutscher Staaten. Die DDR war dabei stets in der Vorhand. Ihre Vorschläge fanden Mehrheiten.

Der Untergang der sozialistischen Staaten Europas und in Teilen von Asien führte auch bei der UNO zu gravierenden Veränderungen. Die USA, die sich seitdem als „einzige Weltmacht“ aufspielen, fanden lange Zeit keinen Widerpart mehr, der ihnen hätte Paroli bieten können. Immer offener verletzten die NATO-Mächte das Völkerrecht, führten sie ihre „humanitären“ Kriege, organisierten sie Umstürze und „Revolutionen“ in allerlei Farben und mit fürchterlichen Folgen, mißachteten oder untergruben sie selbst Entscheidungen des Sicherheitsrats. Man bedenke: Allein in den letzten 15 Jahren führten die USA 14 Kriege.

Wladimir Putin räumte kürzlich ein, auch Rußland habe Fehler begangen. Beim ersten Irakkrieg hatte es wie im Falle Libyens auf sein Vetorecht verzichtet. So konnten die imperialistischen Mächte des Westens ihre Intervention nutzen, um Gaddafi zu stürzen. Später wurde auch Saddam Hussein durch die USA zu Fall gebracht. Entweder mißbrauchen diese Organe der UNO oder sie handeln ohne völkerrechtliche Legitimation. Die BRD ist dabei ihr willfähriger Vasall. Nun sieht sich die Merkel-Regierung mit den Folgen konfrontiert, auch den Ergebnissen ihrer feindseligen Politik gegenüber Moskau, die immer mehr zum Bumerang wird. Denn wie sich gezeigt hat, kann der russische Bär weitaus mehr als brummen.

Die UNO steht am Scheideweg. Kriege, Rüstung, Umweltverschmutzung, Klimawandel, Ressourcenverknappung und andere gravierende Probleme zwingen zu vernünftigem Handeln auf der Grundlage des Völkerrechts. Die Vereinten Nationen müssen zu ihren ursprünglichen Zielen und Prinzipien zurückfinden – bei Strafe des sonst drohenden Untergangs der Menschheit.