RotFuchs 227 – Dezember 2016

Die Wohnung als soziales Gut
ist längst passé

Dipl.-Ing. Hermann Ziegenbalg

Es gab einmal eine Zeit, da konnte man sich freuen, im Osten, in der DDR, zu wohnen. Besucher aus München oder Mainz warfen neidische Blicke auf unsere Mietabrechnungen oder schönen Gartenlauben. „Was, so wenig zahlt Ihr?“, wurden wir gefragt. Quadratmeterpreise in neuen Wohnungen von 0,79 Mark und ein symbolhafter Pachtpreis von einem Pfennig pro Quadratmeter Gartenland waren über Jahrzehnte gleichbleibend. Sucht man heute in Großstädten nach einer Wohnung, wird man des Lebens nicht mehr froh. Doch Parzellen-Gartenland, mühsam aufgebaut, erhält man fast nachgeschmissen. Während sich in Dresden oder Leipzig die Wohnungssuchenden bei Besichtigungen bis zur Straße hin schlängeln, reißt man in kleineren Städten und in ländlichen Gegenden Wohnraum ab. Das heißt aber jetzt nicht „Abriß“, sondern „Rückbau“. Die einmal mit dem Ersparten geschaffenen Gartenkolonien werden wie sauer Bier und zum Nulltarif nach „Wertabschätzung“ zum Schaden aller Gartenfreunde angeboten. In den ostdeutschen Städten gab es bisher noch immer eine lebendige soziale Mischung, was auch die Integration von Zugewanderten einschloß. Das ändert sich nun ganz gewaltig. Wohnungs- und auch Verbandspolitik wird nicht mehr nach sozialen, sondern nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten betrieben.

Als am 15. November 1962 der erste Spatenstich an der heutigen Wismarer Straße stattfand, war das der Beginn eines Wohnungsbauprogramms, um die Wohnungsversorgung der Riesaer Bevölkerung zu verbessern. Wohnungsnot herrschte ja nicht nur in unserer Stadt, zudem brauchte die sich extensiv erweiternde Industrie viele Arbeitskräfte. In der Zeit von 1962 bis 1990 wurden insgesamt über 9700 Mietwohnungen und etwa 320 Eigenheime geschaffen, dazu kamen Nachfolgeeinrichtungen wie Schulen, Kaufhallen, Polikliniken. Auch das Verlangen nach Freizeit und Erholung wurde mit der Schaffung des Kleingartenparks Riesa-Weida 1978 nicht vergessen. Hier fanden über 500 Familien ihren Platz im Grünen. Die immense Aufbauarbeit in der Geschichte der Riesaer Gartenbewegung wurde 1984 mit der Auszeichnung als „staatlich anerkanntes Naherholungsgebiet“ gewürdigt.

1990 folgte die große Umstellung. Ein Jahr später ist der Eigenbetrieb „Gebäudewirtschaft“ in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt worden. Die bisherigen Mieteinnahmen, die bisher nur zwischen 10 und 15 Prozent der tatsächlichen Bewirtschaftungskosten lagen, konnten so nicht weiter getragen werden. Für den entstehenden Verlust kam der neue Staat nicht mehr auf. Während die Wohnung in der DDR als soziales Gut galt, wurde sie in der kapitalistischen Gesellschaft zum Wirtschaftsgut. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen hatten nun auch die Kleingartenfreunde zu tragen. Durch die einsetzende Fluktuation der Riesaer Bevölkerung sah man sich veranlaßt, leerstehende Wohnungen abzureißen, die übriggebliebenen Bewohner, zumeist heute die „Alten“, haben sich eben einzuschränken und die finanziellen Folgen der kapitalistischen Wohnungspolitik zu tragen. Wer hilft diesen Menschen?