RotFuchs 223 – August 2016

Doping-Skandale made in BRD

Johann Weber

Seit Jahren geht es der Abteilung „DDR-Doping-Opfer“ der DDR-Aufarbeitungs­industrie darum, einen „Entschädigungs-Fonds“ – natürlich aus Steuergeldern – einzurichten. Jetzt ist es soweit. Aus einem mit zehn Millionen Euro gefüllten „DDR-Doping-Opfer-Fonds“ erhält jedes anerkannte „Opfer“ genau 10 000 Euro. Ermuntert durch diesen Beschluß erging auch gleich an den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) die Forderung, ebenfalls zehn Millionen in diesen Fonds einzubringen. Man brauche dieses Geld, damit 2000 Betroffenen „Gerechtigkeit“ widerfahren könne.

Flankiert wird dieser Vorgang mit dem Gebrauch neuer Begriffe zum Thema Doping in der DDR. Man spricht neuerdings von „staatlich verordneten Aufputschmitteln“, „physischem Mißbrauch“, „Drangsalierungen der Trainer“, die den Sport „unmenschlich“ machten. Eine weitere Hetzwelle gegen den DDR-Sport steht ins Haus.

Als Sportfan aus Niederbayern habe ich nicht nur den BRD-Sport verfolgt. Mein Interesse galt auch der Sportpolitik der DDR. Um mir ein eigenes Bild über Doping hier und dort zu verschaffen, habe ich in den Archiven des „Neuen Deutschland“, der „Berliner Zeitung“ und der „Neuen Zeit“ nachgeforscht. Meine Recherchen umfaßten den Zeitraum von 1949 bis 1989.

Die zusammengetragenen Meldungen könnten die Seiten einer ganzen „RotFuchs“-Ausgabe füllen. Ein kleiner, repräsentativer Auszug soll genügen, um zu zeigen, wie umfassend DDR-Bürger durch ihre Presseorgane über Doping-Skandale in der BRD informiert worden sind.

Das ND berichtete am 3. 11. 1954 – sich stützend auf französische Stimmen –, Spieler der DFB-Weltmeistermannschaft seien gedopt worden. Tatsächlich lagen die Spieler Kubsch, Rahn, Fritz Walter, Morlock und Ottmar Walter wegen einer Gelbsucht im Krankenhaus. Anfang Januar 1955 wurde der Weltmeister-Torwart Herkenrath ebenfalls wegen Gelbsucht ins Krankenhaus eingeliefert. Der DFB dementierte jeden Verdacht des Dopings. Die „Berliner Zeitung“ zitierte am 20. 1. 1956 jedoch die Fachzeitschrift „Der Kicker“, in der Sepp Herberger zugegeben hatte, beim Länderspiel gegen Italien in Rom Fritz Walter schmerzstillende Spritzen verabreicht zu haben.

Von einem ungewöhnlichen Fall informierte das ND am 18. 7. 1964. Der Vorfall ereignete sich in Gießen. Als die Straßenfahrer die erste Runde absolvierten, lagen auf dem blanken Asphalt zehn weiße Tabletten. Wer hatte sie verloren? Niemand vermochte es zu sagen. Aber einer der westdeutschen Schiedsrichter stürzte auf die weißen Kügelchen, sammelte sie ein und krähte so laut, daß es alle hören konnten: „Die hat Schur verloren, ich habe es gesehen.“ Als Schur – auf den westdeutschen Bergmeister Wilde achtend – weit abgeschlagen fuhr, schleuderte der Schiedsrichter die Tabletten in die Büsche. Er brauchte sie nicht mehr.  Der westdeutsche Bergmeister der Radamateure Herbert Wilde wurde nach der sechsten Etappe der Österreich-Rundfahrt von der Rennleitung wegen nachgewiesenen Dopings disqualifiziert. Der westdeutsche Verband nahm daraufhin seine gesamte Mannschaft aus dem Rennen und ließ später erklären; daß Wilde angeblich nur ein „Nervenberuhigungsmittel“ zu sich genommen hatte. Nachzulesen im ND vom 6. 6. 1964.

In den Springer-Blättern fand man kaum einen Hinweis darauf, daß der westdeutsche Hindernisläufer Letzerich hinter dem Ziel zusammengebrochen war und wegen dringenden Verdachts auf Doping in ein Krankenhaus gebracht werden mußte. Die Leser des ND wurden am 19. 9. 1967 jedoch von diesem Dopingverdachtsfall informiert.

Der westdeutsche Radsport-Profi Wolfshohl, WM-Zweiter im Querfeldeinfahren, ist von der UCI für einen Monat gesperrt worden, weil er sich bei der Weltmeisterschaft in Luxemburg des Dopings schuldig gemacht hat, berichtete die „Berliner Zeitung“ am 18. 3. 1968.

Die „Neue Zeit“ vom 23. 6. 1968 schrieb, daß der Berufs-Boxsport wieder ein Opfer gefordert hatte. Der westdeutsche Mittelgewichtsmeister Jupp Elze verstarb, ohne nach seinem Europameisterschaftskampf über 15 Runden gegen den Italiener Duran das Bewußtsein wiedererlangt zu haben. Unmittelbar nachdem Elze am 12. Juni im Ring zusammengebrochen war, ist eine Dopinguntersuchung vorgenommen worden. Nach Mitteilung des Leiters des Gerichtsmedizinischen Instituts der Universität Köln war Elze mit unzulässigen, aufputschenden Stimulantien gedopt, die schließlich zu seinem Tode führten.

Über den ersten Dopingfall in der Geschichte einer Winterolympiade informierte die „Berliner Zeitung“ am 2. März 1972. Der Kapitän der BRD-Eishockeymannschaft Alois Schloder ist von der Internationalen Eishockey-Föderation (LIHG) mit einer Sperre von sechs Monaten bestraft worden. Der BRD-Sportarzt Dr. Schlickenrieder sah sich jetzt unter dem Druck der Beweise zu dem späten Eingeständnis veranlaßt, dem Eishockeyspieler Alois Schloder während des olympischen Turniers in Sapporo ein Dopingmittel verabreicht zu haben.

Zum wiederholten Male berichte das ND vom Doping im westdeutschen Radsport. Am 5. 8. 1974 war es wieder einmal soweit. Wegen Einnahme verbotener Dopingmittel wurden die BRD-Bahnradfahrer Rainer Erdmann und Friedhelm Kienner aus dem BRD-Aufgebot für die diesjährigen Weltmeisterschaften in Montreal ausgeschlossen. Erst einige Tage zuvor war der 25jährige BRD-Straßenfahrer Hans-Joachim Kuhn während der Rheinland-Pfalz-Rundfahrt des Dopings überführt worden.

Die Dopingskandal-Welle westdeutscher Sportler wollte im Jahr 1977 keine Ende nehmen. Drei Skandale führte die „Neue Zeit“ in ihrer Ausgabe vom 4. 7. 1977 auf.

Der erste Skandal: Hammerwurf-Weltrekordler Walter Schmidt wurde kürzlich vom Rechtsausschuß des Hessischen Leichtathletik-Verbandes wegen verbotenen Anabolika-Dopings für ein Jahr gesperrt. Schmidt drohte laut Westberliner „Tagesspiegel“ an: „Wenn die erste Rechnung kommt, packe ich aus. Ich habe noch einige Sachen in der Hinterhand.“

Der zweite Skandal: Skuller Peter-Michael Kolbe, Weltmeister 1975, Olympiazweiter 1976 und BRD-Sportler des Jahres, hat seinen Rücktritt angekündigt. Der Grund ist weder mangelnde Leistung noch irgendeine Verletzung. Kolbe erklärte dazu: „Ich habe die Lust am Leistungssport verloren. Ich sehe keinen Sinn mehr darin, weiterzurudern, wenn Funktionäre und Verbandsärzte ihre Sportler mit Spritzen schneller machen wollen.“

Der dritte Skandal: Beim Internationalen Leichtathletik-Sportfest in Mainz am vergangenen Dienstag wurde das Kugelstoßen der Damen mit der 21,43 m­Kugelstoßerin Wilms abgebrochen. Kampfrichter und Doping-Experte Klehr beanstandete sowohl den Kugelstoßring, die verwendeten Geräte als auch die Anwesenheit von Trainer Gehrmann. In Zeitungsberichten wird allerdings kein Hehl daraus gemacht, daß alle diese Beanstandungen nur Vorwände gewesen seien: Klehr hatte zuvor in verschiedenen Äußerungen die Fünfkampf-Weltrekordlerin Wilms der ungerechtfertigten Einnahme von Anabolika bezichtigt.

Das ND vom 29. 8. 1986 gab eine Meldung des Internationalen Verbandes für Modernen Fünfkampf und Biathlon bekannt. Wegen nachgewiesenen Dopings bei den Biathlon-Weltmeisterschaften im Februar 1986 in Oslo sind Peter Angerer (BRD) die Silbermedaille im 10-km-Wettbewerb und der BRD-Staffel die Bronzemedaille über 4 x 7,5 km aberkannt worden. Neben Angerer wurde auch sein Mannschaftskamerad Franz Wudy der Einnahme unerlaubter Mittel überführt.