RotFuchs 200 – September 2014

Egon Krenz: Brief aus Plötzensee

Egon Krenz

Liebe Genossin Brigitte Marx,

herzlich danke ich für Deinen Brief vom 14. Januar ins Gefängnis! Er hat mich sehr bewegt. Deine Grüße geben mir viel Kraft. Ich bitte um Nachsicht, daß ich erst heute antworte. Das hängt mit meiner Situation zusammen.

Wie Du wahrscheinlich weißt, bin ich jetzt „Freigänger“. Natürlich ist es eine Erleichterung, nicht täglich 23 Stunden in der Zelle sitzen zu müssen. Für normale Straftäter ist Freigang sicherlich ein großzügiger Vollzug. Doch für alle aus der DDR, die wegen ihrer politischen Vergangenheit eingesperrt sind, bleibt auch diese Art Strafvollstreckung eine Demütigung. Meine Haft – mit oder ohne Freigang – betrachte ich deshalb weiterhin als Freiheitsberaubung aus politischen Gründen. Ich weiß, das hört die Justiz nicht gern. Es wird mir auch keine Punkte bringen, wenn es um „Strafminderung“ geht. Dennoch werde ich mich nicht verbiegen.

Ich bin von Natur aus ein optimistischer Mensch. Doch immer stärker festigt sich in mir die Meinung, daß die Bemühungen, einen juristischen Schlußstrich unter die Verfolgung von DDR-Verantwortlichen zu setzen, schwerer werden. Was mich betrifft, bleibe ich dabei: Ich will Recht vor Gnade! Deshalb habe ich auch Klage beim Europäischen Gericht eingelegt. Gleichwohl weiß ich, daß jedes Gnadengesuch, das Herrn Diepgen erreicht, ein politisches Signal gegen die politische Strafverfolgung ist. Je mehr solche Gesuche bei ihm eingehen, um so mehr müssen die Zuständigen über die Beendigung der Strafverfolgung nachdenken. Insofern ist dies eine Begleiterscheinung von Solidarität.

Persönlich geht es mir den Umständen entsprechend gut. Ich halte mich körperlich fit, indem ich täglich zwischen 30 und 60 Minuten jogge; moralisch, indem ich mich über die viele Post freue, die ich ins Gefängnis bekomme, und geistig, indem ich viel lese und schreibe.

Ich grüße Dich und Deine Genossen sehr herzlich! Mit besten Wünschen verbleibe ich

Unterschrift Egon Krenz