RotFuchs 198 – Juli 2014

Ein großer Wurf Rudi Bergers

Peter Franz

Wer Rudi Bergers jüngst erschienenes Buch lesen will, sollte sich gut in der Literatur auskennen. Oder anders gesagt: Nach der Lektüre wird er sich nach einigen Werken der von Berger zitierten Schriftsteller umsehen. Im Untertitel seines Buches formulierte der Autor: „Schlachtfeld Literatur – Schlachtfeld Deutschland. Essayistische Exkurse und ein Credo Poesie“ Ich gestehe, daß ich anfangs nicht viel damit anfangen konnte, wenn er im ersten Kapitel einen Dialog mit einer ominösen „Poesita“ beginnt. Aber Seiten später erschließt sich mir, daß er sich als schreibender Sozialist mit vielen anderen seiner Zunft auseinandersetzt. Berger ist eine ehrliche Haut. Er ist nicht als Humanist vom Himmel gefallen. Jahrgang 1924, von dem nur wenige seinesgleichen aus der großen zweiten Schlächterei des 20. Jahrhunderts zurückkehrten, hatte er auch Blut an den Händen. Doch er durchlief einen schmerzhaften Lern- und Läuterungsprozeß, der ihn erkennen ließ: „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“

Die Literatur, die deutsche allemal, half ihm, seinen eigenen Weg in ein neues Leben zu finden. Als Gewährsmänner standen Rudi Berger zur Seite: Goethe und Thomas Mann, Jakob Michael Lenz und Friedrich Schiller, Johannes R. Becher und Ludwig Börne. Mit ihren analytischen, mahnenden oder aufrüttelnden Vers- und Prosabüchern tritt er seiner Lieblingsgestalt fordernd gegenüber, läßt sich von ihr aber auch nach dem Was und Wie seines Beitrags als Schreibender für eine menschengerechte Welt befragen.

In den folgenden Kapiteln geht der Autor mit gewissen Gegenspielern der Vernunft und des Menschenrechts auf Frieden und Hoffnung ins Gericht. Da wird ein Reinhard Jirgl auseinandergenommen und ihm sein Büchner-Preis um die Ohren gehauen. Als Sohn des Greizer Landes seziert er mit ätzender Schärfe Sätze und Sentenzen eines Reiner Kunze. Auch unser aller Joachim Gauck wird als Ergebnis der Erziehung durch zwei „alte Kämpfer“ der NS-Jahre wie auch eigener lernunwilliger Beharrung verstanden. Jorge Semprun – einst ein spanischer Kommunist und Buchenwaldüberlebender, der seinem Glauben als einem grandiosen „Irrtum“ abschwört – gerät in Bergers Visier. Mit seinem Essay „Was für ein schöner Sonntag …“ gibt er dem Gauckler die Stichworte zu einer Rede im Bundestag. Und noch andere Geister und Ungeister werden vom Autor beim Namen genannt: Uwe Tellkamp mit seinem „Turm“, Günter Ullmann (wieder ein Greizer wie Reiner Kunze) und andere.

Berger, dem die Haltung eines Thomas Müntzer aus dem Herzen spricht, ist mit seinem Buch ein großer Wurf gelungen. Dieser Bruder Thomas, der sicher gern den Triumph seiner und der Bauern Hoffnung genossen hätte, nimmt den eigenen Tod gefaßt in dem Gedanken hin, daß es die Enkel besser ausfechten werden. Am Schluß seines Buches, aus dem der RF übrigens vor der Drucklegung größere Abschnitte als Serie veröffentlichte, läßt Rudi Berger auf dem Theaterplatz von Weimar in Abwesenheit des großen Dichterpaares einen Literaturzwist vom Stapel, in welchem sich die Träumer und Humanisten, die Sucher und Sezierer, die Kämpfer und die Gestrandeten unter den Literaten ein vielstimmiges Wortgefecht liefern. Dieses endet mit Bergers Einsicht, die er in Formulierungen Georg Maurers hüllt:

Arbeit ist die große Selbstbegegnung des Menschen.
Wüßte er sonst, wer er ist?
Sammelt er das Wasser am Staudamm, so sammelt er sich.
Läßt er sich gehen, so ist er nur Wasser, das verrinnt.
Facht er das Feuer an im gemauerten Ofen, so ist er es, der wärmt.
Wütet er, ist er nur Feuer, das Städte und Menschen frißt.
Geht er nicht die Bahnen der Sterne, bleibt er das grasende Vieh.
Fühlt er nicht die Sehnsucht der Menschheit, ist er der Stein, der erschlägt.

Rudi W. Berger:

Dran, dran, solang ihr Tag habt

Verlag Wiljo Heinen, Berlin und Böklund 2013, 266 S.
ISBN 978-3-95514-010-6

14,00 €