RotFuchs 214 – November 2015

Die Geschichte des Berliner Frauengefängnisses Barnimstraße wird entstellt

Ein „Hörweg“, der eher ein Holzweg ist

Dr. Kurt Laser

Am 30. Mai 2015 wurde ein „Hörweg“ auf dem Gelände des ehemaligen Frauen­gefängnisses in der Friedrichshainer Barnimstraße eröffnet. Es war 1864 errichtet und ab 1868 ausschließlich mit weiblichen Gefangenen belegt worden. Hier wurden Frauen wegen krimineller Delikte, vor allem aber wegen Prostitution eingeliefert. Von Beginn an inhaftierte man in der Barnimstraße aber auch „politische Täterinnen“.

Rosa Luxemburg

Der Gebäudekomplex wurde von der DDR zunächst weiter genutzt, 1974 dann aber vollständig abgerissen. Auf dem Gelände wurde ein Verkehrsgarten eingerichtet. Die Behauptung einer Zeitung, der historische Ort sei über die Jahre völlig in Vergessen­heit geraten, trifft nicht zu. Zwar wurde die Gedenktafel erst nach 1990 angebracht, doch die Stele für Rosa Luxemburg stammt aus DDR-Tagen. Die 1971 unweit davon eingeweihte Schule erhielt ihren Namen. Alljährlich fanden Gedenkveranstaltungen statt. Als das Gefängnis abgerissen werden mußte, deponierte man die Tür von Rosas Zelle im Museum für Deutsche Geschichte. Die Mitbegründerin der KPD war von Februar 1915 bis Februar 1916 in der Barnimstraße inhaftiert gewesen. Hier verfaßte sie ihre bekannte Broschüre „Die Krise der Sozialdemokratie“, die zu Jahresbeginn 1916 unter dem Pseudonym Junius illegal in Berlin verbreitet wurde.

Hilde Coppi im Sommer 1939

An dieser Stelle sollte nun ein Denkmal vor allem für die hier „aus politischen Gründen inhaftiert gewesenen Frauen“ entstehen. Der österreichische Künstler Christoph Mayer hatte im April 2008 einen vom Senat ausgeschriebenen Wettbewerb zur Gestaltung des Areals gewonnen. Eine aus sieben Personen bestehende Jury entschied zu seinen Gunsten, während der Entwurf bei einer Abstimmung unter Bewohnern des Barnim-Kiezes auf dem letzten Platz landete. Das hatte indes keinerlei Einfluß auf die Vergabe des Auftrags.

Die Verwirklichung des Vorhabens nahm sieben Jahre in Anspruch, zweieinhalb davon dauerte allein die Projektentwicklung. An ihr beteiligten sich außer Mayer auch Kulturwissenschaftler, Sozialpsychologen und Autoren. Der „Hörweg“ entstand in Zusammenarbeit mit dem Friedrichshain-Kreuzberg-Museum und dem Paul-Singer-Verein.

Gefängniskomplex Barnimstraße

Jana Borkamp, Bezirksstadträtin und Leiterin der Abteilung Finanzen, Facility­management, Kultur und Weiterbildung, begrüßte die Teilnehmer der Eröffnungs­veranstaltung. Auf ihr sprachen Martina Michels (Linkspartei), Mitglied des Europä­ischen Parlaments, Dr. Susanne Kitschun (Paul-Singer-Verein), stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Dr. Andreas Köhler (Vorsitzender des Paul-Singer-Vereins) sowie Claudia von Gélieu, Politikwissen­schaftlerin und Autorin des sehr sachlichen Buches „Barnimstraße 10. Das Berliner Frauengefängnis 1868 bis 1974“.

Als Christoph Mayer sein Projekt vorstellte, kamen weitere Personen zu Wort: Prof. Dr. Jutta Limbach, die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, sprach über ihre Urgroßmutter Pauline Staegemann, eine verdiente Sozialdemokratin, die 1879 im Frauengefängnis einsaß, und Dr. Hans Coppi, Vorsitzender der Berliner VVN, der in der Barnimstraße geboren wurde. Seine Mutter war zunächst dort inhaftiert und wurde dann in Plötzensee hingerichtet. Auch eine einstige DDR-Bürgerin, die wegen versuchter Republikflucht einsaß, und eine andere, die sich mit der DDR verbunden fühlte, sprachen miteinander.

Da auch die Jahre von 1949 bis 1974 darzustellen waren, mußte befürchtet werden, daß mit dem „Hörweg“ die DDR ein weiteres Mal diskreditiert werden sollte. Nach der Eröffnungsveranstaltung gewann man den Eindruck, daß eine halbwegs seriöse Sache entstanden sein könnte.

Was aber geschieht an Ort und Stelle? Die Besucher bekommen am Eingang Kopfhörer, die sie 90 Minuten lang an verschiedene Orte geleiten. Auf jegliche Informationstafeln oder Lagepläne wurde verzichtet.

Die Begehung des „Hörwegs“ übertraf die schlimmsten Befürchtungen. Sieht man von wenigen historischen Kommentaren ab, dann wird die Geschichte jeweils einer Gefangenen aus deren Sicht erzählt. Die Beispiele sollen angeblich auf Original­äußerungen beruhen. Gesprochen werden sie von Schauspielern wie Margarita Broich, der neuen Kommissarin im Frankfurter „Tatort“.

Eine Ausnahme bilden die DDR-Jahrzehnte. Man erfährt überhaupt nicht, um wen es geht und wovon die Rede ist. Nur zweimal fällt der Name Rosa Luxemburg – einmal durch die DDR-Bürgerin, die wegen versuchter Republikflucht in der Barnimstraße einsaß und sich an deren ausgestaltete einstige Zelle erinnerte. Dann gibt es noch ein fiktives Gespräch zwischen einer Prostituierten und Rosa Luxemburg. Sonst bleibt alles anonym. Eine Antifaschistin, die dreieinhalb Jahre in der Barnimstraße inhaftiert war, dann emigrierte und 1947 zurückkehrte, kommt ohne Namensnennung zu Wort. Daß in diesem Gefängnis mehr als 300 Widerstandskämpferinnen gefangen­gehalten wurden, wobei einige von ihnen auf ihre Hinrichtung warteten, erfährt der Hörer nicht. Auch über politische Gefangene aus der Zeit vor 1933 war nichts zu vernehmen.

Das Ganze begann mit den Erinnerungen der wegen versuchter Republikflucht inhaftierten DDR-Bürgerin, der rund 30 von insgesamt etwa 90 Minuten zugebilligt wurden.

Mit anderen Worten: Es handelt sich bei diesem „Hörweg“ wohl eher um einen Holzweg. Man stellt sich beim Verunglimpfen der DDR aber so ungeschickt an, daß sich der Erfolg vermutlich in Grenzen halten dürfte.

Nicht unerhebliche finanzielle Mittel wurden so in den Sand gesetzt. Über die Geschichte des Frauengefängnisses erfährt man so gut wie nichts. Der einzige Vorteil besteht wohl darin, daß das seriöse Buch Claudia von Gélieus auch dort angeboten wird. Die Rosa-Luxemburg-Stele neben dem Eingang, vor allem aber die sie umgebende kleine Grünanlage werden nach wie vor bewußt vernachlässigt.