RotFuchs 202 – November 2014

Auf Wilhelm Liebknecht kann die
deutsche Arbeiterbewegung stolz sein

Ein Sozialdemokrat Marxscher Schule

Dr. Ehrenfried Pößneck

Wilhelm Liebknecht wurde am 29. März 1826 in Gießen geboren. Nach dem Abitur studierte er dort sowie in Berlin und Marburg Philologie, Theologie und Philosophie.

Die Lage breiter Volksschichten, aber auch das leidvolle Schicksal seines Großonkels, des Pfarrers Friedrich Ludwig Weidig, der gemeinsam mit Georg Büchner die revolutionäre Flugschrift „Hessischer Landbote“ herausbrachte, beeinflußten ihn frühzeitig.

Seine kritische Haltung zur bestehenden Ordnung fand im Enthusiasmus für die Ideen der Großen Französischen Revolution beredten Ausdruck. Werke utopischer Sozialisten regten ihn zu eigenen Lebensentwürfen an. So nahm er sich vor, keinesfalls Beamter in einer Monarchie zu werden, sondern nach Amerika auszuwandern.

Den bereits vor der 48er Revolution beginnenden staatlichen Repressionen entzog er sich durch die Reise in die „Neue Welt“. Doch unterwegs änderte er seine Entscheidung und nahm im Juli 1847 eine Lehrtätigkeit an der Züricher Musterschule Friedrich Fröbels auf. Im deutschen Arbeiterverein konnte er schnell Kontakt zu anderen Mitstreitern herstellen.

Im Februar 1848 erreichte ihn die Nachricht vom Beginn der Revolution in Frankreich. Er eilte sofort nach Paris, um den Barrikadenkämpfern beizustehen. Bei seinem Eintreffen war der König bereits gestürzt, worauf er in die Schweiz zurückkehrte.

Während des republikanischen Aufstandes in Baden überschritt Wilhelm Liebknecht im September 1848 mit Gleichgesinnten die Rheingrenze. In Lörrach hatte Gustav von Struve die Deutsche Republik ausgerufen. Diese Bewegung fand die Unterstützung badischer Soldaten. Reichstruppen unterdrückten deren Aufstand. Wilhelm Liebknecht wurde eingekerkert. Während der fast achtmonatigen Haft lernte er Ernestine Landolt – seine spätere Frau – kennen.

Im Verlauf der Reichsverfassungskampagne befreiten Soldaten im Mai 1849 die Gefangenen in der Festung Rastatt. Wilhelm Liebknecht schrieb in seinen Memoiren: „Aus dem Gefängnis in die Freiheit – das ist schon ein Genuß … Aber aus dem Gefängnis in die Revolution! Das ist tausendfacher Genuß!“ Alsbald trat er in die badische Volkswehr ein und wurde Leutnant im Mannheimer Arbeiterbataillon.

Preußisches Militär zerschlug die bewaffneten Formationen. Als einem der Freiwilligen auf seiten der Revolution drohte Wilhelm Liebknecht die standrechtliche Erschießung.

Die Flucht in die Schweiz war für ihn der rettende Ausweg. In Genf trat Wilhelm Liebknecht einem deutschen Arbeiterverein bei. Hier studierte und propagierte er das „Manifest der Kommunistischen Partei“. Ein Gedankenaustausch mit Friedrich Engels half ihm, die Aufgaben der Arbeiterklasse in der bürgerlichen Revolution tiefer zu erfassen. Als Präsident seines Vereins berief er einen Kongreß aller deutschen Arbeitervereine in der Schweiz ein, um deren Kooperation zu vereinbaren.

Der Schweizer Staat reagierte auf das Vorhaben mit der Beschuldigung, in Deutschland fänden Putschvorbereitungen statt. Verhaftungen und Ausweisungen folgten. Wilhelm Liebknecht wurde inhaftiert und im April 1850 zur Ausreise nach England gezwungen.

In London lernte er Karl Marx und dessen Familie kennen, zu der sich ein herzliches Verhältnis entwickelte. In der zwölfjährigen Emigration wurde Wilhelm Liebknecht Schüler, Freund und Kampfgefährte von Marx und schließlich selbst Marxist. Sein besonderes Interesse galt der Tätigkeit des Bundes der Kommunisten, dem er beitrat. Seine Mitglieder debattierten über ihre in der bürgerlichen Revolution gewonnenen Erfahrungen.

Nach der Amnestie in Preußen übersiedelte die Familie im August 1862 nach Berlin, wo Wilhelm Liebknecht ein Jahr später dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein beitrat. Er wollte dem ADAV helfen, sich zu einer revolutionären Arbeiterpartei zu entwickeln. Am 28. September 1864 wurde die Internationale Arbeiterassoziation – die I. Internationale – gegründet. Wilhelm Liebknecht warb in Berliner Arbeiterkreisen für die von Karl Marx erarbeitete Inauguraladresse der IAA. In der Zeitung „Der Social-Demokrat“ wies er auf Fehlorientierungen des ADAV hin. Wegen der Kollaboration des Vereinspräsidenten mit Bismarck schied er im Februar 1865 aus der Redaktion des Blattes wieder aus. Anhänger Lassalles veranlaßten daraufhin seinen Ausschluß aus dem ADAV sowie seine Ausweisung aus Berlin.

Bei der Suche nach einem neuen Wirkungskreis lernte Wilhelm Liebknecht im August 1865 in Leipzig August Bebel kennen. In ihren Gesprächen über den Weg zur Schaffung der demokratischen Einheit Deutschlands und die Möglichkeiten der Arbeiterbewegung entschlossen sie sich, mit Unterstützung dortiger Arbeitervereine die Sächsische Volkspartei zu gründen. Deren Anliegen bestand darin, eine Volksbewegung gegen das Bismarck-Regime zu schaffen, um dessen „Revolution von oben“ mit der „Revolution von unten“ begegnen zu können. Sie erkannten im preußischen Militarismus das Haupthindernis für die Entstehung einer einheitlichen deutschen demokratischen Republik.

Mit der am 19. August 1866 gegründeten Sächsischen Volkspartei erreichten sie den Einzug von Arbeitervertretern in den Norddeutschen Reichstag. Das gelang August Bebel im Februar und Wilhelm Liebknecht im August 1867. Nun konnten sie die Parlamentstribüne zur Aufklärung über die Ziele der Partei nutzen. In diese Zeit fällt der Tod Ernestines, der Frau Wilhelm Liebknechts. Die Verantwortung für die Erziehung der beiden Töchter oblag ihm nun ganz allein. Ein Jahr später heiratete er erneut. Aus der Ehe mit Natalie Reh gingen fünf Söhne hervor.

Wilhelm Liebknecht propagierte ohne Unterlaß den Zusammenhang zwischen Krieg und Kapitalismus sowie von Frieden und Sozialismus. Er machte klar, daß es keinen Frieden mit dem monarchistisch-bourgeoisen Staat geben könne. Dieser müsse vielmehr gestürzt werden.

Der Nürnberger Vereinstag des Verbandes Deutscher Arbeitervereine nahm im August 1866 die von Wilhelm Liebknecht vorgetragenen antimilitaristischen Forderungen in sein Programm auf. Die Teilnehmer legten fest, bei Wahlen solchen Kandidaten den Vorzug zu geben, die keinen Groschen für den Militäretat bewilligen würden. Damit erhob man den sozialdemokratischen Leitspruch „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen!“ zum Prinzip. Die Beschlüsse des Nürnberger Vereinstages trugen zur Befreiung des VDAV von der Vormundschaft der Bourgeoisie bei.

Im September 1868 bestimmte der Generalrat der I. Internationale Wilhelm Liebknecht zu seinem Korrespondenten und Bevollmächtigten in Deutschland.

Die im August 1869 auf dem Eisenacher Parteitag gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei war die erste sich im nationalen Maßstab formierende revolutionäre Arbeiterpartei. Ihr Zentralorgan wurde der „Volksstaat“, dessen Redaktion Wilhelm Liebknecht übernahm.

Im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 übten er und August Bebel Stimmenthaltung beim ersten Votum über die Kriegskredite im Juli 1870. Nach Ausrufung der Republik in Frankreich und dem Übergang des Deutschen Reiches zur Strategie eines Eroberungskrieges lehnten beide Politiker die Gewährung weiterer Kriegskredite ab. Ihr Nein bei der zweiten Abstimmung im November 1871 verbanden sie mit der Forderung nach einem gerechten Frieden für Frankreich – ohne Annexion von Elsaß-Lothringen.

Im Dezember 1870 wurden Wilhelm Liebknecht und August Bebel verhaftet. Beide erhielten wegen „Hochverrats“ jeweils zwei Jahre Festungshaft. Im Ergebnis des Verfahrens wuchs die Popularität der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und ihrer angeklagten Mitglieder, zu denen auch Adolf Hepner gehört hatte. Ihre mutige Solidarität mit der Pariser Commune zahlte sich in Prestigegewinn aus.

Immer klarer wurde, daß die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung überwunden werden mußte. Auf dem Coburger Parteitag (1874) setzte sich Wilhelm Liebknecht für die Aktionseinheit von ADAV und SAPD ein, um die Vereinigung vorzubereiten. Er betrachtete den Zusammenschluß der Parteien als ein vorrangiges Erfordernis des Klassenkampfes und hielt die Herbeiführung programmatischer Übereinstimmung für eine später gemeinsam zu lösende Aufgabe. Trotz theoretischer Defizite entstand im Urteil Lenins eine Partei, in der die Hegemonie des Marxismus gesichert war.

Der Staat Bismarcks reagierte auf die Vereinigung mit dem Parteiverbot. Im Oktober 1878 nahm der Reichstag das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ an. Daraufhin beschlossen das Zentralwahlkomitee (Parteivorstand) und die Reichstagsfraktion der Partei die Selbstauflösung. Sie taten es gegen die Meinung August Bebels, Wilhelm Liebknechts, Wilhelm Brackes und anderer Genossen. Bebel regte die Bildung eines Unterstützungskomitees an, das den legalen und den illegalen Kampf der Partei zu leiten und die gegenseitige Solidarität der Mitglieder zu organisieren begann.

Erhebliche Erschwernisse brachte die schikanöse Verhängung des kleinen Belagerungszustandes über Städte mit sich. Im Juni 1881 wurden Wilhelm Liebknecht, August Bebel, Wilhelm Hasenclever und weitere 28 Sozialdemokraten aus Leipzig ausgewiesen. Von Borsdorf aus bemühten sich Liebknecht und Bebel, die Verbindung zur Partei und zu ihren Familien aufrechtzuerhalten.

In Zürich erschien in dieser Zeit die illegale Zeitung „Der Sozialdemokrat“. Die Solidarität schweizerischer, dänischer, englischer und französischer Sozialisten, aber auch die im Juli 1889 erfolgte Gründung der II. Internationale, an deren Entstehung Wilhelm Liebknecht führend beteiligt war, ermöglichten das Zusammenwirken der internationalen Sozialdemokratie. Diese forderte von der Arbeiterklasse, „den Frieden als die erste und unerläßliche Bedingung jeder Arbeiteremanzipation“ zu erhalten.

Als einer der bekanntesten Internationalisten der deutschen Sozialdemokratie unternahm Wilhelm Liebknecht gemeinsam mit Eleonore Marx und Edward Aveling im Herbst 1886 eine Vortragsreise in die USA, um vom Kampf der deutschen Arbeiterklasse gegen das Sozialistengesetz zu berichten. Der Widerstand gegen dieses trug in erheblichem Maße zum Sturz Bismarcks bei.

Die neu gewonnene Legalität ermöglichte es der Partei, Fehler im Programm zu korrigieren. Unentbehrlich waren dabei die Kritik von Marx und Engels, mehrere Entwürfe Wilhelm Liebknechts oder des Parteivorstandes und ein Vorschlag der Zeitschrift „Die Neue Zeit“. Die Annahme des Erfurter Programms der SPD bildete einen Höhepunkt im Klassenkampf. Auf dem Internationalen Arbeiterkongreß in Brüssel, der kurz zuvor stattfand, warnte Wilhelm Liebknecht vor einem drohenden Weltkrieg und betonte, daß allein die Schaffung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung dem Militarismus ein Ende setzen und den Frieden unter den Völkern sichern könne.

Im September 1895 war Wladimir Iljitsch Lenin bei Wilhelm Liebknecht zu Gast. Ihn interessierte die Agitations- und Propagandaarbeit der Partei. Danach empfahl Lenin den Arbeitern Rußlands, von dem bewährten „Volkstribunen“ der deutschen Sozialdemokratie, Wilhelm Liebknecht, zu lernen, allen die welthistorische Bedeutung des Befreiungskampfes des Proletariats klar zu machen. Er besorgte die Übersetzung einiger Schriften Wilhelm Liebknechts ins Russische. Dazu gehörten u. a.: „Was die Sozialdemokraten sind und was sie wollen“ (1877); „Das Programm der Partei“ (1890) sowie „Staatssozialismus und revolutionäre Sozialdemokratie“ (1892).

Um die Jahrhundertwende trat der Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium ein. Für die Arbeiterbewegung begann eine neue Etappe des Klassenkampfes. Das Wettrüsten der kapitalistischen Staaten und die Kriegsvorbereitungen nahmen immer bedrohlichere Ausmaße an. Friedrich Engels zog 1887 den Schluß: „Und endlich ist kein andrer Krieg für Preußen-Deutschland mehr möglich als ein Weltkrieg … von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit … nur ein Resultat ist absolut sicher: die allgemeine Erschöpfung und die Herstellung der Bedingungen des schließlichen Siegs der Arbeiterklasse.“ Mit seiner Schrift „Kann Europa abrüsten?“ unterstützte er die Friedenspolitik der SPD. Sie war der erste konstruktive Abrüstungsvorschlag im Weltmaßstab.

Mit der Epoche des Imperialismus kam auch der Revisionismus auf. Ab 1896 war Eduard Bernstein sein Protagonist. Er verneinte die historische Mission der Arbeiterklasse und wollte die SPD zu einer „demokratisch-sozialistischen Reformpartei“ umbilden. Bernstein begrüßte auch, daß Millerand 1899 als Minister in eine bürgerliche Regierung Frankreichs eintrat. Wilhelm Liebknecht reagierte darauf mit den Worten: „Ein Sozialist, der in eine Bourgeoisregierung eintritt, geht entweder zum Feind über oder er gibt sich in die Gewalt des Feindes.“ Mit gleicher Konsequenz antwortete er am 15. März 1891 in einem Schreiben an die Französische Arbeiterpartei auf Vorwürfe, die SPD habe seit dem Sieg über das Sozialistengesetz aufgehört, revolutionär und international zu sein. Er entgegnete: „Wir sind, was wir waren und was wir stets sein werden: Sozialdemokraten! Und die Sozialdemokratie ist entweder revolutionär und international – oder sie ist nichts!“

In seiner letzten öffentlichen Rede verurteilte Wilhelm Liebknecht am 28. Juli 1900 in Dresden die Aggressionspolitik des Deutschen Reiches, darunter seine Chinafeldzüge und insbesondere die Hunnenrede Wilhelms II.

Das von Sorgen um den Unterhalt für seine Familie, Anfeindungen, Einkerkerungen und Ausweisungen belastete Leben Wilhelm Liebknechts endete am 7. August 1900. Über 120 000 Menschen erwiesen dem „Soldaten der Revolution“ mit einem Spalier von Charlottenburg bis Friedrichsfelde die letzte Ehre. Anteilnahme bekundeten zahlreiche Organisationen der internationalen Arbeiterbewegung. Lenin, Redakteur der ersten illegalen russischen Arbeiterzeitung „Iskra“, widmete Wilhelm Liebknecht den Leitartikel.

Der heutigen SPD-Führung galten weder Wilhelm noch sein Sohn Karl Liebknecht als des Gedenkens würdige politische Vorbilder. Sie gehört längst zu den Stützen des kapitalistischen Staates und befürwortet Militarismus, Rüstungsexporte und Aggressionskriege.

Angesichts dessen besitzt das revolutionäre und klassenkämpferische Vermächtnis Wilhelm Liebknechts nicht zuletzt auch für politisch redlich gebliebene Sozialdemokraten unserer Tage einen spezifischen Wert.