RotFuchs 203 – Dezember 2014

Die CDU der DDR hatte mit Adenauers CDU nichts gemein

Ein unabhängiger Standpunkt

Hans-Joachim Winter

Ich gehörte bisher nicht zu den „RotFuchs“-Lesern und auch nicht zur Partei Die Linke, kann also manches, was in diesen Kreisen als selbstverständlich gelten wird, nicht wissen. Mich hat jedoch spätestens seit Mitte der 90er Jahre zunehmend gestört, daß in jenem Lager, das für sich in Anspruch nahm und nimmt, die sozialistische Sache zu vertreten, die DDR-Vergangenheit eher als Last denn als wichtiges und zukunftsweisendes Erbe empfunden und behandelt wurde und wird.

Vom Jahrgang 1939, war ich gerade 10 geworden, als die DDR gegründet wurde. Ich habe in ihr die achtklassige Schule besucht, an die ich noch immer mit großer Hochachtung zurückdenke. Anschließend erwarb ich den Facharbeiterbrief. Danach besuchte ich kurze Zeit die Arbeiter-und-Bauern-Fakultät in Potsdam und war dann auf dem Gebiet kirchlicher Sozialarbeit und Ausbildung tätig. An deren Ende entschied ich mich ganz bewußt für den Sozialismus. Bis 1989 habe ich in der DDR-CDU (ich bitte zu unterstreichen, daß diese Partei nichts mit der Bonner CDU gemein hatte) für meinen Staat gewirkt. Denn die DDR war mein Staat, in dem mit dem Sozialismus ein neues Kapitel in der Geschichte unseres Volkes begonnen hatte, die auch nach der – meines Erachtens selbstverschuldeten – Niederlage vier Jahrzehnte meines Lebens bestimmte, an die ich gern und an deren Ende ich mit Zorn zurückdenke.

Ich will nicht verschweigen, daß ich 1989/90 aus meinem nationalen Gefühl heraus große Hoffnungen mit der Zusammenführung beider deutschen Staaten verband. Die aber legten sich in dem Maße, wie die Mechanismen, Strukturen und vor allem die sie lenkenden Kräfte immer deutlicher wurden. Diese „deutsche Einheit“ war weder deutsch noch einig, sondern eine international kontrollierte, langfristig gesteuerte Angelegenheit, um letztlich ganz Deutschland an die Leine des USA-Imperialismus zu legen. Ich teile dennoch den – ich formuliere das einmal so – historischen Optimismus Prof. Dr. Götz Dieckmanns in seiner Ausarbeitung „Wir hatten einst ein Vaterland“, die dem „RotFuchs“ Nr. 199 beilag. Ich teile auch dessen Auffassung, das Erbe der DDR als kostbares Gut zu handhaben, unabhängig davon, daß wir auch Grund haben, Fehlern und Irrwegen nachzugehen und sie gründlich zu analysieren.

Dabei geht es nicht allein um die wissenschaftliche Aufarbeitung, so wichtig gerade sie ist; es geht auch um die Emotionen, um die Würde der Menschen, die in den über 40 Jahren (wobei auch die Entwicklungsstufe von 1945 bis 1949 ja nicht von der DDR-Geschichte zu trennen ist) in diesem Staat gelebt, gearbeitet und ihn mitgetragen haben, sonst wären seine Erfolge weder erreichbar noch erklärbar gewesen.

Die Politik der DDR war in die deutsche Geschichte eingebettet und mit der sie tragenden Nation verbunden.

Als es im Zusammenhang mit der Neufassung der sozialistischen Verfassung 1974 zu Unsicherheiten kam und manche meinten, es müsse eine besondere DDR-Nationalität geben, sorgte Erich Honecker mit der Aussage für Klarheit: „Staatsangehörigkeit: DDR; Nationalität: deutsch“.

Zur Verbundenheit der DDR-Bürger mit ihrem Staat, die sich – wie Götz Dieckmann zutreffend feststellt – sogar aus den immer raffinierter eingefädelten Anstrengungen zur Diffamierung und Delegitimierung der DDR ablesen läßt: Die DDR-Bürger, zumindest der älteren Generation, fühlen sich in dem eiskalten Wasser des heutigen Alltagslebens einfach nicht wohl – im Gegensatz zu jener Geborgenheit, die sie trotz vieler Schwächen und auch unschöner Erscheinungen in der Deutschen Demokratischen Republik erlebten. Und man kann sich gar nicht genug bemühen, den Jüngeren weiterzugeben, daß diese Geborgenheit kein bloßes Gefühl, sondern verläßliche Wirklichkeit war. Es waren ja keine „anderen Menschen“, die damals in der DDR zu Hause waren. Aber ihr subjektives Lebensgefühl war ein völlig anderes, weil es von einer ganz anderen Lebenswirklichkeit getragen wurde. Dabei gab es durchaus auch Probleme im Miteinander der Menschen, Kriminalität und andere unerfreuliche Phänomene.

Götz Dieckmann bedauert zu Recht den zunehmenden Verfall der moralischen Werte, auch jenen der bürgerlichen Werte. Ich kann ihm nur zustimmen. Und doch ist das Verhalten der „gelernten DDR-Bürger“ noch immer von diesem Staat gekennzeichnet, sind bei ihnen in so großem Maße Miteinander und Füreinander bestimmend geblieben, daß dies auch auf die Jüngeren ausstrahlt. Halten wir das fest!

Man kann – zwei, drei wichtige Bereiche ausgenommen (etwa die falsche Weichenstellunq des Umgangs mit Handwerkern, Gewerbetreibenden und Kleinbetrieben sowie deren Auswirkungen in der allmählichen Verödung der Altstädte, oder auch die viel zu formell gehandhabte Bündnispolitik) – eigentlich nur staunen, was da insgesamt und im einzelnen geschaffen wurde, immer wieder unterbrochen von Rückschlägen, auch durch eigene Schuld.

„Wo sich auf Wohnungsämtern Hoffnungen verlieren und ein Parteitag sich darüber Sorgen macht …“, heißt es in dem Lied von Reinhold Andert aus dem Jahre 1972, das in der Beilage mit abgedruckt wurde. Fünf Jahre zuvor hatte ich geheiratet und mit meiner Frau und unserer neugeborenen Tochter eine Dachwohnung bezogen – lediglich zwei Räume und zunächst in erbärmlichem Zustand. Heute würde eine solche Wohnung wohl nicht mehr angeboten werden. Mittel für eine Renovierung waren beim VEB Gebäudewirtschaft nicht vorhanden, aber da ich dies in Eigenleistung übernahm, hatte die zuständige Mitarbeiterin ein Argument, mir die Wohnung zuzuteilen.

Nach einer weiteren Zwischenlösung zog auch unsere Familie 1974 in einen völlig neu errichteten Gebäudekomplex. Es handelte sich um eine der vielbegehrten Neubauwohnungen, die heute sehr zu Unrecht als „Platte“ abqualifiziert werden.

Hunderttausende haben in den letzten beiden DDR-Jahrzehnten dort gute und preiswerte Wohnungen bekommen. Meine Familie hat sich in unserer „Platte“ sehr wohl gefühlt.

Wenn ich mich heute – abermals als Mieter einer Hochhaus-Plattenwohnung – in meinem Kiez bewege, empfinde ich: Auch wenn sich die Rahmenbedingungen inzwischen verändert und keineswegs immer verbessert haben, erinnert hier noch vieles an die DDR-Sozialpolitik. Das wird auch nicht gänzlich getilgt werden können!

65 Jahre nach ihrer Gründung bin ich stolz auf unsere DDR, die – was auch immer berechtigterweise gegen einige ihrer Züge eingewendet werden mag – den gesellschaftlichen Fortschritt und die Lebensleistungen von Millionen ihrer Bürger repräsentierte.