RotFuchs 218 – März 2016

Türkei: Amoklauf des AKP-Regimes
gegen Kurden und Andersdenkende

Erdogan beruft sich auf Hitler

RotFuchs-Redaktion

Seit sieben Monaten ist über Dutzende Städte und Ortschaften im Südosten der Türkei vom AKP-Regime der Ausnahmezustand verhängt worden. Erdogans Terror fordert immer wieder zahlreiche Menschenleben. Unzählige Antiimperialisten wurden festgenommen, Zehntausende diskriminierte Bürger sind Opfer brutaler Repressionen.

Karikatur: Klaus Stuttmann

Mit dieser Situation befaßten sich unlängst mehr als 1100 Hochschullehrer von 80 türkischen Universitäten. Gemeinsam mit 350 ausländischen Akademikern unterzeichneten sie am 11. Januar einen international verbreiteten Text, in dem es u. a. heißt: „In vielen Städten der kurdischen Provinzen des türkischen Staates sind die Bürger von Woche zu Woche verlängerten drastischen Ausgangssperren unterworfen. Neben der Zurückhaltung von Nahrungsmitteln wird ihnen auch der Zugang zu elementaren Dienstleistungen wie Trinkwasser und Elektroenergie verweigert.“

Die „Akademiker für den Frieden“ verurteilen „das vorsätzliche und geplante Massaker an der kurdischen Bevölkerung“. Das rabiate Vorgehen des Erdogan-Regimes, dessen oberste Repräsentanten sowohl in Brüssel als auch in Berlin respektvoll empfangen wurden, verstoße ebenso gegen die türkischen Gesetze wie gegen das Völkerrecht. Die Unterzeichner des Dokuments weisen die Darstellung des türkischen Militärs zurück, das sich zwischen Toten, Verwundeten und Verhafteten sowie Guerillakämpfern der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und Zivilisten zu unterscheiden geweigert habe und in seinen täglichen Kommuniqués lediglich die „Neutralisierung weiterer Terroristen“ vermelde.

Im August 2015 nahm die AKP-Regierung nach dem Abbruch der seit 2012 geführten „Friedensgespräche“ mit der PKK ihre äußerst rabiate Politik gegenüber der kurdischen Mehrheit im Südosten des Landes wieder auf. Seitdem wurden 19 Bezirke in sechs Provinzen hermetisch abgeriegelt und durch Kräfte der Armee wie des Interventionskorps der Polizei dauerhaft okkupiert. Seitdem herrscht dort Sonderrecht. Nach Schätzungen wurden für diese Strafoperation in den ersten fünf Monaten mehr als 10 000 Bewaffnete eingesetzt, denen schwere Kampftechnik zur Verfügung steht. Dieses Kontingent hat den Auftrag, Protestdemonstrationen der Bevölkerung gewaltsam aufzulösen, da deren geballte Empörung aus der Sicht des Regimes zu einem Aufstand führen könnte.

Das Leben von 1,4 Millionen Betroffenen gleicht einem Inferno. Bis Anfang Januar wurden nach Schätzungen einer türkischen Bürgerrechtsorganisation 160 Zivilisten ermordet, darunter 29 Frauen, 32 Kinder und 24 alte Leute. Aus derselben Quelle verlautete, im Dezember habe sich der Terror besonders verstärkt, sei die Hälfte der registrierten Opfer zu beklagen gewesen.

Die linksgerichtete und prokurdische Demokratische Volkspartei (HDP) brachte um jene Zeit eine Serie erschütternder Fotos in Umlauf, die den Terror des AKP-Regimes dokumentarisch belegen. Die türkischen Behörden scheinen dem HDP-Kommentar in einer Frage zuzustimmen: Die Situation muß als so ernst betrachtet werden, daß die Möglichkeit des Hinüberwachsens in einen voll entfalteten Bürgerkrieg real ist.

Parallel zum Massenterror gegen die Kurden im Südosten des Landes hat der Erdogan-Klüngel eine selbst bisherige Dimensionen in den Schatten stellende antidemokratische Offensive auch in den anderen Landesteilen begonnen. Am 8. Januar besetzten schwerbewaffnete Sonderkommandos der Polizei das HDP-Hauptquartier in Istanbul und nahmen dort eine Reihe anwesender Führer dieser Partei – der drittstärksten Kraft im türkischen Parlament – willkürlich fest. Nur drei Tage zuvor hatten Einheiten des angeblich nur Terroristen verfolgenden Kommandos Antimotim die Protestkundgebung gegen eine antikurdische Kampagne im Zentrum von Istanbul brutal auseinandergejagt. Zugleich stehen die im Januar wiedergewählten HDP-Kovorsitzenden Selahattin Demirtas und Figen Yüksedag wegen ihrer Autonomieforderung für die Kurdengebiete unter Anklage. Mehrere verantwortliche Redakteure der mit oppositionellen Kreisen verbundenen Zeitung „Cumhuriyet“, die schon am 26. November wegen „Spionage und Enthüllung von Staatsgeheimnissen“ festgenommen worden waren, stellte das Regime ebenfalls vor Gericht. Das Blatt hatte die Übergabe von Waffen durch den türkischen Geheimdienst an syrische „Rebellen“ enthüllt.

Die Vernetzung zwischen Operationen der Türkei und des IS gegen Syriens rechtmäßige Assad-Regierung sowie eine Verstrickung des Erdogan-Regimes in den Raub des von den IS-Banden systematisch gestohlenen syrischen Erdöls sind längst keine Geheimnisse mehr. Übrigens wird Erdogans Sohn dringend verdächtigt, bei der „Petrol-Transaktion“ eine Schlüsselrolle zu spielen. Erwiesen ist Ankaras Intervention gegen kurdische Selbstverteidigungskräfte in Syrien, deren Widerstandspotential zur Abwehr der IS-Banden als beachtlich gilt.

Am 23. November 2015 wurde ein Attentatsversuch auf den HDP-Vizepräsidenten in Diyarbakir, der größten kurdischen Stadt der Türkei, unternommen. Als erbitterter Gegner der AKP hatte seine Partei bei den Wahlen Mitte vergangenen Jahres die von Erdogan angestrebte absolute Mehrheit im Parlament verhindert. Nachdem der Diktator am Bosporus das Zustandekommen einer arbeitsfähigen Regierung hatte verhindern können, erreichte seine AKP bei den damit erzwungenen Neuwahlen am 16. November unter den Bedingungen massiven Terrors zwar dieses Ziel, vermochte aber die HDP als einflußreichste Hauptpartei der linken Opposition auf legale Weise nicht auszuschalten. Die von der AKP zurückeroberte absolute Mehrheit der Mandate gestattet es Erdogan jedoch, seine berüchtigte „Verfassungsreform“ jetzt durchzusetzen, ohne erneut auf hinreichenden parlamentarischen Widerstand zu stoßen.

Das Hauptziel des früheren Ministerpräsidenten und heutigen Staatschefs der Türkei besteht nach dessen eigener Aussage in der „Stärkung der Präsidialmacht“ – also seiner persönlichen Diktatur als „Sultan“ der Türkei. Dabei besitzt er ein leuchtendes Vorbild. „Es gibt bereits andere Beispiele in der Welt und in der Geschichte. Wir können uns ja Hitlers Deutschland vor Augen führen“, sagte Erdogan in seiner Neujahrsbotschaft.

RF, gestützt auf „Avante!“, Lissabon