RotFuchs 213 – Oktober 2015

Erinnern an Jürgen Kuczynski (1904–1997)

Reiner Hofmann

Jürgen Kuczynski hatte – für außergewöhnliche Menschen seiner Art nicht verwunderlich – sehr bemerkenswerte Eigenarten. Eine von ihnen möchte ich hier hervorheben. Für ihn als einen aufrechten Kommunisten waren Weltanschauung und politische Haltung nicht nur eine Sache des Intellekts, sondern im wahrsten Sinne des Wortes auch eine Herzensangelegenheit. Das bezog sich auf seine Haltung zur eigenen Partei, aber noch viel mehr auf das Land der Oktoberrevolution und die von Lenin gegründete KPdSU.

Jürgen Kuczynski konnte es nicht fassen, daß die „Konterrevolution“ in Gestalt des ewig besoffenen Jelzin dem US-Präsidenten en passant die Auflösung der Sowjetunion zu versprechen imstande war. Damals begab sich eine Gruppe „aufrechter Verteidiger des Sozialismus“ mit Vertretern der Militärführung und dem KGB-Chef an der Spitze zu dem unter Hausarrest stehenden Gorbatschow in südliche Gefilde des Landes, um von ihm die Unterzeichnung eines Schreibens zu erbitten, das Jelzin die Liquidierung der UdSSR verbieten sollte. Als aber Gorbatschow sein Signum verweigerte, fuhren die völlig aus der Fassung geratenen „Sozialismusverteidiger“ unverrichteter Dinge wieder nach Moskau, so daß Jelzin den vormals mächtigen Staat mit einem Federstrich auflösen konnte.

Es ist zu hoffen, daß sich so etwas in dem von Kuczynski viele Male erklärten historischen Auf und Ab nicht noch einmal ereignet: die Tatsache nämlich, daß gesellschaftliche Bewegungen, die mit Erfolg grandiose revolutionäre Umwälzungen vollbringen, wie das unter Lenin in Rußland der Fall war, im Ergebnis der Entartung von Führern unter Preisgabe jeglicher marxistischer Grundsätze sowie auf der Basis grotesker und substanzloser „Entwicklungskonzeptionen“ in ähnliche Ohnmachtssituationen verfallen.