RotFuchs 216 – Januar 2016

Vor den Präsidentschaftswahlen
erhielt Portugals Staatschef die Rote Karte

Erzwungener Szenenwechsel in Lissabon

RotFuchs-Redaktion

Bei den portugiesischen Parlamentswahlen am 4. Oktober wurden die Karten neu gemischt. Das verleitete Staatschef Cavaco Silva, einen Vertreter der prononcierten Rechten, zu dem mißglückten Versuch, noch kurz vor den am 26. Januar stattfindenden Präsidentschaftswahlen einmal mehr sein trickreiches Spiel zu versuchen. Dabei bekam er von links die Rote Karte.

Premierminister António Costa (PS)

Doch der Reihe nach: Seit vier Jahren stand die von den beiden Rechtsparteien – der noch zu Revolutionszeiten aus Tarnungsgründen mit dem Namen Sozialdemokratische Partei (PSD) versehenen früheren Demokratischen Volkspartei (PPD) und dem faschistoiden Demokratisch-Sozialen Zentrum (CDS) – getragene Regierungskoalition von Premier Passos Coelho in Lissabon am Ruder. Sie zwang dem Land eine vom Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU – bekanntlich auch Griechenlands gnadenlose Würger – geforderten „Sparkurs“ auf. In dessen Ergebnis vegetiert heute einer von vier Portugiesen unterhalb der offiziell festgelegten Armutsgrenze. Während die durchschnittliche Arbeitszeit der in Lohn und Brot Stehenden inzwischen bei 50 Wochenstunden liegt, flohen Hunderttausende Landesbürger vor der Massenarbeitslosigkeit und den „Sparmaßnahmen“ der Regierung ins Ausland.

PCP-Generalsekretär
Jerónimo de Sousa

Am 4. Oktober 2015 erhielten Portugals bisherige Regierungsparteien von den Wählern die Quittung. Der gemeinsame Stimmenanteil beider Formationen sank von 51 auf 38 %, so daß den Rechten im Parlament statt ihrer bisher 121 Mandate nur noch 107 Sitze blieben. Die absolute Mehrheit erfordert 115 Abgeordnete.

Hauptgewinner war die Sozialistische Partei (PS), deren seinerzeitige Regierung den ursprünglich von Brüssel aufgezwungenen Sparkurs nicht minder rabiat durchgesetzt hatte. Am Ende war sie schmählich auf der Strecke geblieben. Diesmal spielte sie die oppositionelle Karte, wobei sich ihr Spitzenkandidat, der ehemalige Lissabonner Oberbürgermeister António Costa von dem militanten Antikommunismus seiner Vorgänger löste. Die PS errang 32,3 % der Stimmen und 86 Sitze in der Versammlung der Republik. Sie hatte nun zwei Optionen: ein Mitte-Rechts-Bündnis mit den bisherigen Regierungsparteien oder eine Öffnung nach links, wo zwei starke Partner zur Debatte standen. Dabei handelt es sich um den in der Kampagne gegen Brüssel und dessen Austeritätskurs geschickt agierenden, zugleich aber alle Register des Populismus bedienenden Linksblock (BE) mit einem Wähleranteil von 10 statt der bisher 5 % und die Coligação Democrática Unitária (CDU). Diese ist ein Bündnis der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP) und der Ökologistischen Partei Die Grünen (PEV). Auf die CDU entfielen statt bisher 7,9 nun 8,4 %, was ihr 17 Parlamentssitze (plus 1) einbrachte.

Massenkundgebung in Lissabon

Als der aus dem PSD hervorgegangene Staatschef Cavaco Silva, dem eine Einbindung der Sozialisten in das Lager der Rechtsparteien mißlungen war, unter Bruch aller Spielregeln der bürgerlichen Demokratie seinen gerade gescheiterten Parteifreund Passos Coelho abermals mit der Regierungsbildung beauftragte, wurde dessen Minderheitskabinett durch die parlamentarische Mehrheit aus PS, BE und CDU unverzüglich zu Fall gebracht.

Doch was geschah danach? Inzwischen hatten Kommunisten und Sozialisten früher nicht vorstellbare Verhandlungen aufgenommen, wobei sie vom Linksblock unterstützt wurden. Da nach wie vor tiefgreifende Differenzen zwischen PS und CDU nicht ausgeräumt werden können und auch der BE die Positionen der Sozialisten überwiegend nicht teilt, schloß man einen von nüchternem Realitätssinn geprägten Kompromiß: Eine Alleinregierung der PS unter António Costa soll – so die Vereinbarung – bei Berücksichtigung gewisser Positionen der nicht im Kabinett vertretenen beiden großen Linksparteien das jahrelange Regime der Rechtskräfte ablösen. Ziel ist es, dem Brüsseler Sparkurs deutliche Grenzen zu setzen.

Zunächst verlegte sich der noch am Ruder befindliche Präsident Cavaco Silva auf ein weiteres taktisches Manöver mit dem Ziel des Zeitgewinns, ohne Passos Coelho noch einmal die Zügel übergeben zu können.

Das ZK der PCP billigte die vereinbarte Tolerierung eines von links gestützten und daher auch von dort beeinflußbaren PS-Kabinetts. PCP-Generalsekretär Jerónimo de Sousa unterstrich in diesem Zusammenhang die von der Übereinkunft nicht berührte politisch-ideologische Unabhängigkeit der Kommunisten.

Am 24. November berief Cavaco Silva den durch alle im Parlament vertretenen Linkskräfte unterstützten PS-Generalsekretär António Costa zum Premierminister. Zum ersten Mal seit der Niederwerfung der Nelkenrevolution, die in den Jahren 1974 bis 1976 mehrere Koalitionsregierungen unter Einschluß der Kommunisten hervorgebracht hatte, ist in Portugal wieder ein Mitte-Links-Kabinett am Ruder. Ein Vorgang, der hoffen läßt.

RF, gestützt auf „Avante!“, Lissabon, „Solidaire“, Brüssel, und „People’s World“, New York