RotFuchs 220 – Mai 2016

Es darf nicht sein

Max Zimmering

Es darf nicht sein, daß es erneut beginnt,
daß wiederum die Nächte Feuer fangen,
daß Kinder schreien und daß Mütter bangen,
weil Pech und Schwefel aus den Wolken rinnt.

Es darf nicht sein, daß so der Mensch vergißt,
was er in Schreckensstunden heiß verfluchte,
daß wiederkehrt die Blutzeit, die verruchte,
da man die Toten nach Millionen mißt.

Es darf nicht sein, heut, da das Blut noch fließt
aus hunderttausend nicht geschloßnen Wunden,
da noch der Mensch zu sich nicht heimgefunden,
da sich noch mancher Tränenstrom ergießt –
daß wieder „Krieg“ auf vielen Lippen tönt.
Hat sich der Mensch ans Sterben so gewöhnt?

Es darf nicht sein, daß, wenn der Morgen tagt,
die Menschen voneinander Abschied nehmen,
indes sich in den Sesseln, den bequemen
die Bestie dehnt und sich zu mästen wagt
an dem Gewinn, den ihr das Morden brachte,
die Bestie, die des Krieges Brand entfachte.

Es darf nicht sein, daß alles niederbricht,
was Schöpferhand so mühevoll geschaffen.
Seht ihr die angstverzerrten Münder klaffen
in leidgefurchtem Menschenangesicht?

Es darf nicht sein, daß uns das Untier faßt.
Wer da zum Kriege ruft, der sei geächtet,
denn wer mit Mördern noch um Rechte rechtet,
der lädt den Mord zu sich ins Haus zu Gast.

Es darf nicht sein! Dies Wort verstumme nie,
wo immer Menschen unter Menschen wohnen,
und keiner darf da seine Stimme schonen,
dem eine Mutter Herz und Sprache lieh.

(1948)