RotFuchs 235 – August 2017

Feindbild Rußland

Bernd Gutte

Hannes Hofbauer: Feindbild Rußland

In Prag wechselt der ukrainischer Botschafter. Als eine der ersten Übungen fordert er, nach wirkungs­vollen Maßnahmen zu suchen, der russischen Propa­ganda entgegenzuwirken, und vergleicht deren Aus­wir­kungen mit dem Einsatz von Massenvernichtungs­waffen.

„Feindschaft erzeugt Feindbilder“, stellt Hannes Hof­bauer in seinem exzellent recherchierten Buch „Feind­bild Rußland. Geschichte einer Dämonisierung“ fest. Zu ergänzen wäre, daß der Satz auch im Umkehr­schluß funktioniert, wie die gegenwärtige politische Praxis zeigt.

In seiner Untersuchung verfolgt der Wiener Historiker und Publizist die 500 Jahre Geschichte der Beziehungen zwischen Rußland und dem Westen. Das Bild des „asiatischen, barbarischen Rußland“ entstand im 15. Jahrhundert. Mit dem Schisma von 1054 stellte die römisch-katholische Kirche die russisch-orthodoxe Kirche als „Hort der Abtrünnigen“ dar. Im 16. Jahrhundert ging von der Universität Krakau die Charakterisierung der Russen als „ein Ketzervolk“ aus, die prägend für die Einstellung des westlichen Europa wurde. Eine Haltung, die offensichtlich bis auf den heutigen Tag nachwirkt. Mit wenigen historischen Ausnahmen bleiben Rußland und später die Sowjetunion das „Reich des Bösen“. Hofbauer zählt zu diesen Ausnahmen die Begei­sterung für Zar Peter den Großen. Nützlich und lieb war der russische Bär auch wäh­rend der Befreiungskriege von 1813 bis 1814, oder wenn wirtschaftliche und geopo­litische Interessen des Westens im Spiel waren (Preußen und Habsburg „konnten“ zeitweise recht gut mit dem Zarenreich), und auch Gorbatschow löste eine kurze Welle des Enthusiasmus aus. Wir wissen warum. Aber selbst in diesen Zeiten blieb im Westen die „russophobe Einstellung“ – wenigstens unterschwellig – bestehen.

Mit der Oktoberrevolution und dem Sieg der Bolschewiki waren nicht nur unermeß­liche Energie- und Rohstoffquellen dem Kreislauf der Profitmaximierung entzogen, auch drohte da über das Land hinaus eine Idee zur materiellen Gewalt zu werden, die an den Grundlagen kapitalistischen Wirtschaftens nagte. Hofbauer zeigt, daß die USA und ihre Verbündeten es sich einiges kosten ließen, um diese Gefahr von der Land­karte der Welt zu tilgen: wirtschaftlich, mit geheimdienstlichen Mitteln und Metho­den, mit offener militärischer Bedrohung. Der Rüstungswettlauf war eröffnet, in den die Sowjetunion – auch daran erinnert das Buch – erst nach Zurückweisung der Stalin-Note 1952 eingestiegen ist. Einen Wettlauf, den die Vereinigten Staaten nicht nur verkraften konnten, der auch Gewinn und wirtschaftlichen Aufschwung brachte. Die Profitraten der größten Waffenproduzenten waren, so Hofbauer, dreimal so hoch wie in zivilen Unternehmungen.

Neben der Strategie, die Sowjetunion – jetzt Rußland – totzurüsten, war der Krieg im Wirtschafts- und Rohstoffsektor die dominante Komponente. Hofbauer erinnert da­ran, daß schon unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg ein penibel ausgearbeitetes Embar­goregime gegen die Sowjetunion und ihre Partnerländer errichtet wurde (COCOM-Liste), zu dem auch der gepriesene Marshallplan, den Hofbauer als aufwendige und teure Exportförderung für US-Firmen enthüllt, zu rechnen ist. Vergleiche zu den gegenwärtigen Wirtschaftssanktionen gegen Rußland drängen sich geradezu auf, wenngleich sich diese – oft zum Nachteil besonders der europäischen Partner der USA – als Bumerang erweisen. Nicht so offensichtlich, aber nachweisbar ist, daß die USA-Administration schon Mitte der 80er Jahre darauf setzte, die Ölpreise zu senken, um der Sowjetunion zu schaden. Dabei waren die Saudis einer der „wichtigsten Kom­ponenten in der Strategie Reagans“. Auch heute versucht man, Rußland damit in die Knie zu zwingen, indem man sein wichtigstes Exportgut (Öl, Erdgas) entwertet.

„Rosen in Georgien, Zedern im Libanon, Tulpen in Kirgisien …“ – wer steckt hinter den „Farbrevolutionen“? Roß und Reiter werden benannt, Geldgeber, Dienste und Hinter­männer erscheinen im Klartext, und es wird deutlich, wie wenig in den meisten Fällen NGOs wirklich „Nichtregierungsorganisationen“ sind.

Naturgemäß widmet der Autor ein großes Kapitel dem „Kampf um die Ukraine“. Wel­che Rolle die Ukraine für die Destabilisierung der Sowjetunion und später Rußlands spielte und spielt, sprach Zbigniew Brzezinski aus: „Spätestens Mitte Dezember 2013 war auch klar, daß die Ukraine Brüssel und Washington nur als Kampffeld gegen Rußland diente.“

Zahlen und Fakten breitet Hofbauer aus (und das durchaus spannend!), die in solcher Fülle anderweitig selten zu finden sind.

Hannes Hofbauer:

Feindbild Rußland
Geschichte einer Dämonisierung

Promedia-Verlag, Wien 2016, 304 Seiten
ISBN 978-3-85371-401-0

19,90 €