RotFuchs 188 – September 2013

Französische Marxisten: Brüssel erdrosselt die nationale Souveränität der EU-Staaten

RotFuchs-Redaktion

In ihrer Ausgabe Nr. 24 veröffentlichte „ÉtincelleS“ (auf deutsch: Die Funken) – das theoretische Organ des Pols der Kommunistischen Wiedergeburt in Frankreich (PCRF) – bemerkenswerte Beiträge zu einem wichtigen Thema. Jean-Pierre Hemmen, dem politischen Direktor dieser Publikation, geht es um die Frage, wie es sich im Europa der Monopole mit der Volkssouveränität und der nationalen Souveränität verhält. Beide bilden nach Auffassung des marxistischen Autors die Grundlage sozialer Demokratie und sind „historisch nicht voneinander zu trennen“.

„Was versteht man eigentlich unter Souveränität?“, fragt Hemmen. Eine wirkliche Demokratie gehe von dem Prinzip aus, daß sie ausschließlich auf dem Willen des Volkes beruhen müsse. Jean-Jacques Rousseau habe diesen Begriff als absolute Gleichheit aller Menschen definiert. Die Gesamtheit der Bürger bilde das Volk, das seine Souveränität konkret bestimmen müsse. Sie könne nicht an irgendeine nationale oder internationale Autorität, einzelne Menschen oder eine Gruppe von Personen delegiert oder diesen gegenüber aufgegeben werden. Verfassung und Gesetze seien demnach Ausdruck des Willens der Bürger. Das allgemeine, direkte und geheime Wahlrecht diene als ein Instrument, um diesem Willen Geltung zu verschaffen. Gewählte Repräsentanten hätten dem Rechnung zu tragen.

Hemmen stützt sich auf Rousseau und stellt fest: „Aus dieser Theorie ergeben sich bestimmte praktische Konsequenzen. Jeder einzelne soll die reale Möglichkeit erhalten, seinen Teil der Souveränität wahrzunehmen. Gewählte Abgeordnete müssen jederzeit abberufen werden können.“ Seit über einem Jahrhundert sind diese Prinzipien in der Präambel jeder Verfassung der Grande Nation formell verankert. In Frankreichs 5. Republik – so Hemmen – seien sie allerdings durch persönliche Macht und autoritäres Gehabe mehr und mehr ausgehebelt worden. Man habe die direkte durch eine sogenannte partizipative Demokratie ersetzt. Das Volk könne von seinen Souveränitätsrechten nur noch formell Gebrauch machen, sie aber nicht wirklich ausüben.

All das zeige sich am krassesten in der sukzessiven Preisgabe der nationalen Souveränität durch die Regierenden der EU-Länder. Die sogenannten europäischen Institutionen seien erklärtermaßen „supranational“. Zwischen ihnen und der nationalen Souveränität bestehe ein als Antagonismus bezeichneter unüberbrückbarer Gegensatz. Ihre Aufgabe sei es, die nationale Souveränität der Völker Europas ein für allemal auszulöschen.

Die derzeitige FKP-Führung und die Europäische Linkspartei verhielten sich in dieser Frage wie alle anderen. Die FKP weigere sich, ihren Part im Kampf gegen Brüssel zu übernehmen. Diese Entwicklung habe sich in der einst glorreichen Partei bereits seit ihrer ideologischen Wende in den 90er Jahren angedeutet.

Um so mehr, liest man bei Hemmen, sei es die Aufgabe standhaft gebliebener Kommunisten, sowohl den Marxismus-Leninismus – die übergreifende Theorie der revolutionären Arbeiterbewegung – als auch Frankreichs nationale Quellen Rousseau, Babeuf, die Pariser Commune und das Programm des Nationalrats der Résistance wieder zu entdecken. Niemand könne Vaillant-Couturier des Nationalismus bezichtigen, weil er einst die Parole „Wir bleiben Frankreich!“ ausgegeben habe. Nicht anders verhalte es sich mit der berühmten Äußerung des langjährigen FKP-Generalsekretärs Maurice Thorez, daß der Kampf unter dem roten Banner der Partei und der Tricolore ausgefochten werden müsse. Auch Frankreichs kommunistischer Dichter Louis Aragon habe mit Fug und Recht geschrieben, die Internationale sei die Fortsetzung der Marseillaise.

In derselben Ausgabe von „ÉtincelleS“ stellte ihr Autor Bidault fest: „Wenn sich die Demokratie mit der EU und den ihr dienenden Regierungen schlecht verträgt – und es zeigen sich gewisse Anzeichen einer Faschisierung unserer Gesellschaften –, dann wäre die Behauptung dennoch übertrieben, wir lebten bereits unter einem faschistischen Regime. Die derzeitige EU sei nicht der Faschismus, sondern ein Neoliberalismus mit immer ausgeprägteren autoritären Zügen. Es handle sich dabei vielleicht um keinen Unterschied fundamentaler Art, sondern eher um eine Differenz im Maß der Gewaltanwendung, also um eine wichtige Nuance. Die Risiken, daß es in der EU tatsächlich zum Faschismus komme, erhöhten sich allerdings in dem Maße, in dem extrem rechte und rassistische Kräfte innerhalb einzelner Mitgliedsstaaten und dadurch in den Brüsseler Institutionen weiter an Boden gewännen. Dabei spiele der Antikommunismus wie eh und je eine zentrale Rolle.

Die Faschisierung im Europa der Monopole zeichne sich seit Jahren ab, bemerkt Bidault. Sie habe sich nicht zuletzt auch in der wiederholten Mißachtung des Bevölkerungswillens – der Volkssouveränität – gezeigt. Das mehrheitlich ablehnende Votum bei den 2005 in Frankreich und den Niederlanden erfolgten Referenden über einen europäischen Verfassungsvertrag sei einfach ignoriert worden. Statt dessen habe man den EU-Staaten den Lissabonner Vertrag aufgezwungen. Nicht anders sei es zugegangen, als die Iren im Juni 2008 nein sagten, worauf sie im Oktober 2009 noch einmal zu den Urnen gerufen wurden, um nunmehr ihr Ja zu bekunden.

Das Fazit Bidaults lautet: „Der Absolutismus der EU zerstört jede Form nationaler Souveränität.“

K. S., gestützt auf „ÉtincelleS“, Paris