RotFuchs 213 – Oktober 2015

Gauck: Die Bundeswehr ist
„Teil unseres Demokratiewunders“

Jobst-Heinrich Müller

Wenn Bundespräsident Gauck die Truppe der BRD als „Teil unseres Demokratiewunders“ bezeichnet, so wundert sich darüber niemand. Dennoch ist diese 1956 von Nazigenerälen aufgestellte NATO-Truppe seit Anbeginn ein Motor zahlreicher Grundgesetzänderungen gewesen, die den Abbau der Demokratie und die Teilnahme an Angriffskriegen ebenso ermöglichen wie kriegsrechtliche Militärgewalt im Innern, falls sich ein „Notstandsfall“ ergeben sollte. Das Verbot der KPD im August 1956 und die anschließende Verfolgung ihrer Mitglieder sowie aller Gegner einer Wiederbewaffnung der BRD fielen in die Frühzeit der gepriesenen Bundeswehr. Das als Feigenblatt bei der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht gedachte Recht auf Verweigerung des Waffendienstes wurde in inquisitorischen „Gewissensprüfungen“ bei politischer Motivation oft nicht zugestanden.

Collage: Heinrich Ruynat

Allein bis 2006 sind mit 53 Änderungspaketen zahlreiche Artikel des Grundgesetzes entweder verbogen oder ausgehebelt worden. Dies kann nach Art. 79 GG mit Zweidrittelmehrheit von Bundestag und Bundesrat für sämtliche Grundgesetz-Bestandteile mit Ausnahme der Artikel 1 und 20 völlig legal über die Bühne gehen. Stets fanden sich genügend Oppositionsfraktionen, mit besonderem Übereifer die SPD, dazu bereit, Änderungen zugunsten von Kriegs- und Militärzwecken durchzudrücken.

Am einschneidendsten waren die 1968 eingeführten Notstandsgesetze, die Bundeskanzler Kiesinger – einst Parteigänger Hitlers – dazu ermächtigten, im „Notstands- oder Kriegsfall“ alle demokratischen Mechanismen mitsamt der Bürgerrechte außer Kraft zu setzen. Kanzler Kohl fügte mit den Artikeln 23/24, die zwischen 1990 und 1992 eingeführt wurden, die Übertragung von Hoheitsrechten der BRD auf die Europäische Union und ein „kollektives Sicherheitssystem“ hinzu. Und zwar mit der Maßgabe für „vergleichbare Regelungen“ dieser beiden „Organismen“ das Grundgesetz entsprechend anzupassen.

Der „Lissabon-Vertrag“ fordert Rüstung, Kriegseinsätze und neoliberalen Kapitalismus, während sich das Grundgesetz hier nicht festlegt und Angriffskriege untersagt. „Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung für Europa und zwischen den Völkern der Welt (!) herbeiführen und sichern“, lautet Art. 24, 2 GG seit 1992.

Das Verbot eines Bundeswehreinsatzes im Innern durchbrach bereits SPD-Kanzler Helmut Schmidt: Beim Rostock-Heiligendamm-Gipfel standen an jeder Autobahnausfahrt Panzer, während Kriegsschiffe der Bundesmarine die Seeseite sicherten.

Gestützt auf den Art. 87 a von 1956 brüstet man sich jetzt zur entschlossenen Übernahme exekutiver Gewalt durch Bundeswehrtruppen im „Notstandsfall“. Dieser kann durch Unruhen, Wirtschaftskrisen und Katastrophen ebenso wie durch Kriege herbeigeführt werden. Deshalb ordnet man der Bundeswehr polizeiliche Maßnahmen wie Objektschutz sowie Aufgaben „bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer“ zu. Diesem Zweck dienten bis 2007 die dann aufgelösten „Heimatschutzbataillone der Territorialverteidigung“. 2013 wurden 27 „Regionale Sicherungs- und Unterstützungseinheiten“ (RSU/Kr) aufgestellt. Der durch seine „Kanonenpredigt“ (2013) berüchtigte Oberstleutnant in der Adjutantur des Generalinspekteurs Dr. Freuding faßte die Kernaufgabe dieser Truppe so zusammen: „Wir müssen vorbereitet sein, präventiv eingesetzt zu werden, Zwangsmaßnahmen mit militärischer Gewalt durchzusetzen sowie einheimische Sicherheitskräfte zu unterstützen und aufzubauen.“

Regionale Unterstützungs- und Planungstrupps stehen den Verbindungskommandos zu den zivilen Verwaltungsbehörden zur Verfügung. Diese sollen der Entlastung im „Heimatschutz“ bereits aktiver Einheiten dienen.

Verkehr, Verwaltung, Polizeigewalt u. v. a. in den Händen des Militärs!

Wie das geht, weiß die Bundeswehr aus Afghanistan: So erschossen Angehörige einer dort stationierten Formation in Kundus gezielt Demonstranten, die angeblich bewaffnet waren, zersiebten bei Straßenkontrollen Zivilfahrzeuge und ließen einen unweit von Kundus im Fluß steckengebliebenen Tanklaster von der U.S. Air Force bombardieren, was zu einem Blutbad führte.

Wenn Polizei und Verfassungsschutz bei den „Occupy“-Protesten in Frankfurt am Main 2015 von „bewaffneten Extremisten“ sprachen und die Schuld an den Vorfällen den Veranstaltern einer friedlichen Protestkundgebung in die Schuhe schoben – wie würde man wohl erst bei Kriegsrecht mit Oppositionellen umspringen? Todesstrafen wären dann wohl an der Tagesordnung.

Natürlich geschieht all das allein „zum Schutz der Bevölkerung“, wie der bereits zitierte Dr. Freuding das Ziel der RSU/Kr zu kaschieren sucht. Seine Devise lautet: „Mit der Freiheit zur Verantwortung geht einher, daß ich als Soldat im Tun und im Unterlassen schuldig werden kann.“ Das sei aber „an der Verheißung der messianischen Friedensordnung ausgerichtet: Gott vergibt, auch wenn wir gefehlt haben.“ In diesem Geiste schließt sich der Kreis zur Logik des Herrn Gauck, der die Bundeswehr als „Demokratiewunder“ selbst im Sinne seiner sehr speziellen Auffassung von Christentum begreift.

Wir aber sollten uns über unser Verhältnis zu dieser imperialistischen und innenpolitisch Gewehr bei Fuß stehenden Truppe im klaren sein: Da ist nichts, was der Demokratie guttut! Dies auch Herrn Ramelow ins Stammbuch, der über die Bundeswehr „neu nachzudenken“ empfahl.