RotFuchs 218 – März 2016

Gedankliche Vielfalt in einem Lesebuch
von und für Friedrich-Martin Balzer

Prof. Dr. Gert Wendelborn

Der quantitativ wie qualitativ sehr gewichtige Band „Anstöße – Erträge – Spiegelungen“, der im November 2015 aus Anlaß des 75. Geburtstages des Marburger Politologen und Publizisten Friedrich-Martin Balzer erschien, birgt manche Schätze. Manfred Weißbecker gab ihn heraus, doch Balzer selbst wirkte an ihm durch eine Fülle eigener Beiträge mit, bei denen es sich zumeist um Erstveröffentlichungen handelt. Schon dies zeigt, daß hier progressive Persönlichkeiten aus Ost- und Westdeutschland beteiligt sind und in wirklichem Dialog stehen, der aus Erkenntnissen neue Taten freisetzen möchte. Ich begrüße sehr, daß auch solche Freunde vertreten sind, die nicht mehr unter uns weilen, wären uns doch sonst so bedeutsame Voten wie die von Wolfgang Abendroth, Hans Heinz Holz, Helmut Ridder und Hanfried Müller verlorengegangen.

Der ostdeutsche Linke, der seiner Überzeugung treu blieb, kann hier noch tiefer in die Gedankenwelt westdeutscher Linker eintauchen. Bei alledem ist die Bandbreite der Überzeugungen groß. Die meisten waren wohl Persönlichkeiten mit unverwechselbar eigener Diktion und Argumentation. Ridder z. B. war gewiß kein Kommunist, aber gleichsam ein Radikaldemokrat, der sich mit Fritz Bauer die größten Verdienste um die Reinigung der westdeutschen Justiz vom NS-Ungeist erwarb. Überhaupt ist Antifaschismus einer der wesentlichsten Beweggründe des Handelns dieser Menschen. Aber es wird immer auch die Frage nach den gesellschaftlichen Quellgründen dieser brutalsten und aggressivsten Spielart der Herrschaft des Kapitals gestellt.

Sehr gefällt mir, mit welcher Tiefgründigkeit und Schärfe Männer wie Abendroth und Holz gesellschaftliche Prozesse analysieren – bis hin zur schrittweisen Anpassung zunächst der SPD, dann der Grünen und später auch der PDS an die herrschende Gesellschaft.

Daß progressiven Christen starke Aufmerksamkeit geschenkt wird, freut mich als Theologen natürlich sehr. Es ergibt sich schon daraus, daß Balzer seine Forschung wie kein anderer dem Religiösen Sozialisten Erwin Eckert seit seiner Dissertation bei Abendroth in Marburg zuwandte. Aber er schenkte auch anderen Religiösen Sozialisten seine Aufmerksamkeit, so etwa Emil Fuchs und Heinz Kappes. Daß die Wochenberichte im „Religiösen Sozialisten“ zwischen 1930 und 1933 von Eckert und Fuchs neu erschlossen und gründlich ausgewertet wurden, ist ein besonderes Verdienst Balzers. Die Tatsache, daß Eckert der KPD beitrat und dadurch sein Pfarramt verlor, ist Anlaß zu fundiertem Nachdenken über die mögliche Kooperation von Sozialisten und progressiven Christen. Balzer kontrastiert diese kampf-entschlossene Haltung mit jener der großen Mehrheit der Kirchenmänner, auch mit ihren Lobeshymnen auf Hitler und dessen Schergen. Dieser Kontrast findet sich übrigens auch in meinem Aufsatz „Die Stellung des deutschen Protestantismus zu Krieg und Frieden vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis 1945“. Er beruht auf einem Vortrag bei der „RotFuchs“-Regionalgruppe und ISOR in Güstrow. Auch hier werden die Kriegstreiber beim Namen genannt, aber auch die progressive Minderheit im Dienst an Frieden und Völkerverständigung mit großer Wärme gewürdigt.

Balzer widmet seine Anerkennung nicht nur Emil Fuchs, sondern auch dessen Sohn Klaus – dem angeblichen Atomspion – und dem Enkel Klaus Fuchs-Kittowski, einem bedeutsamen Naturwissenschaftler. Friedrich-Martin Balzer erweist sich auch seit langem als nimmermüder Sammler, der das Lebenswerk von Großen, die sonst vielleicht bewußt dem Vergessen ausgeliefert worden wären, für die Nachwelt bibliographisch ordnet und verbreitet. Auch ich bin ihm deshalb sehr zu Dank verpflichtet.

Dieter Kraft hat in bewundernswerter ge-danklicher Schärfe das grundlegend Gemeinsame progressiver ostdeutscher Theologen wie Karl Kleinschmidt, Hanfried Müller und mir, der seiner vor dem Sieg der Gegenrevolution eingenommenen Position treu blieb, herausgestellt. Er hat aber auch gezeigt, wie unverwechselbar unser dreier Lebenswerk ist.

Jeder Leser, der ähnlich denkt und empfindet, wird von diesem Buch rege Impulse erhalten.

Manfred Weißbecker (Hrsg.):

Anstöße – Erträge – Spiegelungen
Ein Lesebuch von und für Friedrich-Martin Balzer

Selbstverlag, Marburg 2015, 408 Seiten, 20 €

Bestellungen über: friedrich-martin-balzer.de