RotFuchs 233 – Juni 2017

Geheime Mordermittlung in der DDR?

Frank-Rainer Schurich

Wie so oft wurde in einer „TV-Dokumentation“ von den „Aufarbeitern“ und Filme­machern ein sehr banales Geschichtsbild vermittelt und die kriminalistische Wirk­lichkeit ideologisch verwurstet.

Am 31. Januar 2017 brachte „arte“ eine Dokumentation der Filmemacherin Gabi Schlag mit dem Titel „Die Spezialkommission. Geheime Mordermittlung in der DDR“, der für an DDR-Kriminalfällen Interessierte spannend und vielversprechend klang. Aber allein schon die Ankündigung mit Sätzen wie „In der DDR gab es Verbrechen, die es nicht geben durfte“ oder „Die Kommission wurde zu einer jenseits der Rechts­staatlichkeit agierenden geheimen Polizei neben und über der eigentlichen Kriminal­polizei“ („Berliner Zeitung“ vom 27. 1. 2017) ließ die Tendenz des Filmes unmißver­ständlich erkennen.

Dazu wanderte ein Bild durch die Gazetten, das man mit folgender Unterschrift versah: „Bei der Arbeit: Mitarbeiter der Spezialkommission der Staatssicherheit an einem Tatort. Es sieht ganz so aus, als sei die Szenerie extra für das Foto gestellt worden.“ Als Quelle wird „WTS-mixedmedia“ angegeben, die Firma der Filmemacherin. Richtig ist, daß es sich bei dem abgedruckten und im Film gezeigten „gestellten“ Foto aber um Kriminalisten der Diensthabenden Gruppe der Kriminalpolizei des Präsidiums der Volkspolizei Berlin mit ihrem Einsatzfahrzeug B 1000 sowie einen Berliner Schutzpolizisten handelt. Die korrekte Quelle wäre übrigens „Film- und Bild­stelle des Ministeriums des Innern der DDR“ gewesen, denn die Aufnahme wurde für einen Bildband über die Arbeit der Deutschen Volkspolizei gemacht.

Kriminalisten der Diensthabenden Gruppe der Kriminalpolizei des Präsidiums der Volkspolizei Berlin mit ihrem Einsatzfahrzeug B 1000 sowie ein Berliner Schutzpolizist

Schon der Titel der Sendung ist irreführend. Es gab nicht die Spezialkommission (SK), sondern für die Untersuchung unnatürlicher Todesfälle existierten im Ministe­rium für Staatssicherheit die Hauptabteilung IX/7, Referat 1 (vormals Mord- und Brandkommission), sowie in allen Bezirksverwaltungen des MfS eine Spezialkom­mission der Linie IX. Die Aufstellung der SK in den Bezirken begann 1967 und war 1970 abgeschlossen.

Im Film wird der Zuschauer dann darüber aufgeklärt, daß die „Spezialkommission Verbrechen nicht nur aufklären, sondern vor der Bevölkerung geheimhalten“ sollte. Korrekt ist, daß die Spezialkommissionen Verbrechen ausschließlich zu untersuchen und aufzuklären hatten. Die Leiter und Mitarbeiter der SK hatten nicht den Auftrag, die Bevölkerung zu unterhalten, und zudem keine Befugnis, medial über die zu untersuchenden Verbrechen berichten zu lassen. Die Entscheidung, wann und wo über einen Fall in der Presse zu berichten sei, lag in keinem Fall bei den Spezial­kommissionen. Übrigens war die Verfahrensweise bei den Morduntersuchungs­kommissionen (MUK) der Kriminalpolizei analog (und ist es auch heute noch so). Die Entscheidung über die angemessene Einbeziehung der Bevölkerung setzte ein entsprechendes Verantwortungsbewußtsein voraus. Unter Beachtung der Geheim­haltung, vorrangig hinsichtlich des Täterwissens, kriminaltaktischer Erwägungen sowie möglicher Erfolgserwartungen war die Notwendigkeit sorgfältig zu prüfen und dann zu entscheiden. Zudem sollte innerhalb der Bevölkerung keine unbegründete Angst vor Kriminalität hervorgerufen werden.

Im Film kommt auch die bessere und modernere Ausstattung der SK zur Sprache. Ja, die SK waren besser und moderner ausgestattet. Allerdings wurde nicht darüber berichtet, daß die Spezialkommissionen in vielen Fällen die MUK mit ihrer Technik unterstützten. Aber führten ein besseres Schallaufzeichnungsgerät oder eine Polaroid-Kamera zum Täter? Wohl kaum. Immer war letztlich der Mensch entschei­dend an der Aufklärung der Verbrechen beteiligt. Und der Mensch war es auch, der die Zusammenarbeit zwischen den Spezialkommissionen und den Morduntersu­chungskommissionen gestaltete und prägte. Daß es hier bezirkliche Unterschiede gab, liegt in der Natur der Menschen.

Und natürlich wurden auch andere Klischees im Film voll und ganz bedient. So durften die medial überstrapazierten Szenen zur konspirativen Wohnungsdurch­suchung aus dem allseits bekannten MfS-Lehrfilm nicht fehlen. Leider wurde in der Doku nicht darüber berichtet, daß eine solche konspirative Wohnungsdurchsuchung bei den Film-Fällen nicht stattfand. Die Wohnungsdurchsuchungen bei den beiden Serienmördern in der Dokumentation erfolgten im Rahmen eines eingeleiteten Ermittlungsverfahrens, als sich beide bereits in Untersuchungshaft befanden, und führten zum Auffinden wichtiger Beweismittel in Form von Aufzeichnungen, die beide Täter zu den Taten gefertigt hatten.

In der Dokumentation von Gabi Schlag erfährt der Zuschauer hinsichtlich der Leipziger Krankenschwester und Serienmörderin, im Film Sybille D., genannt, daß der Chefarzt der Frauenklinik Prof. Springer hinsichtlich seiner Feststellungen den Leiter der Bezirksverwaltung des MfS Generalmajor Hummitzsch anruft und dieser dem Mediziner rät, Anzeige zu erstatten. Klar, der Arzt ruft mal einfach unkompliziert beim General des MfS an. Klingt komisch und ist es letztlich auch. In der Realität war der Auslöser für die Ermittlungen der Leipziger Spezialkommission an der Städtischen Frauenklinik die Mitteilung des Kreisarztes Leipzig an die Kreisdienststelle für Staatssicherheit Leipzig-Stadt. Der Kreisarzt informierte am 10. April 1986 die zuständige Kreisdienststelle über Unregelmäßigkeiten bei der Muttermilchversorgung Neugeborener und damit auftretender medizinischer Komplikationen. Leider bleibt unbekannt, wessen Hirn der Anruf des Chefarztes bei Generalmajor Hummitzsch entsprang. Hummitzsch selbst kann dazu keine Auskunft mehr geben.

Und natürlich darf auch der bekannteste DDR-Serienmörder Erwin Hagedorn aus Eberswalde nicht fehlen. Zum Fall Hagedorn heißt es in der Doku: „Schon einmal hatte die Spezialkommission Kindermorde falsch eingeordnet“ bzw. „tippte die Spezialkommission auf eine Beziehungstat“ oder der Täter wurde „mit Hilfe von Polizeipsychologen gefaßt“. Alles falsch. Richtig ist, daß die an der Untersuchung beteiligten Kriminalisten des MfS (HA IX/7 des MfS und Spezialkommission der Bezirksverwaltung Frankfurt an der Oder) bereits nach dem Doppelmord an Henry Specht und Mario Louis am 31. Mai 1969 davon ausging, daß es sich bei dem Täter um einen „Sexualpsychopathen mit sadistischer Prägung, also um einen in der Triebsphäre gestörten Mann, um einen Pädophilen handelt“. Wie es zu den oben genannten Aussagen in der Dokumentation gekommen ist, läßt sich leider nicht verifizieren. Korrekt dagegen ist, daß der Täter mit zielführender Unterstützung durch forensische Psychiater ermittelt werden konnte. Allerdings verzichtet der Film auch hier auf die Benennung der konkreten Umstände. So waren es die Angehörigen der HA IX/7 des MfS, Py. und Lü., die zuerst den international bekannten Gerichtspsy­chiater Prof. Schipkowensky in Sofia konsultierten und dann den Oberarzt an der Psychiatrischen Klinik der Charité Hans Szewczyk gutachterlich beauftragten – auf der Grundlage aller verwertbaren Ausgangsdaten des Falles. Grundlage für die Festnahme Erwin Hagedorns war dieses herausragende Täterprofil von Prof. Dr. Hans Szewczyk (1923–1994), der seit 1961 die Abteilung für Forensische Psychiatrie und Psychologie an der Charité der Humboldt-Universität zu Berlin leitete. Heute wird der Begriff des „Profilers“ mit dem FBI assoziiert, das diese Methode angeblich entwi­ckelt haben soll. Es war aber Hans Szewczyk, der das erste wissenschaftlich begrün­dete Täterprofil der Welt im Fall Hagedorn erarbeitete, was mittlerweile auch in der Fachliteratur anerkannt ist. (Vgl. Stefan Orlob: War der deutsche forensische Psychiater Hans Szewczyk der erste moderne Profiler? „Archiv für Kriminologie“ 207, 2001, S. 65–72)

Darüber wird in der Dokumentation von Gabi Schlag nichts gesagt; es werden viele falsche Thesen aufgestellt, die sich in den Akten und in den Aussagen von Zeit­zeugen nicht belegen lassen.

Im Fall des getöteten Hauptwachtmeisters der VP La. vom 21. September 1982 kommen zwei ehemalige Mitarbeiter der Berliner MUK zu Wort. Die beiden darge­stellten Kriminalisten beklagen, daß die Spezialkommission die Befragung abrupt unterbrochen und den Verdächtigen mitgenommen habe. Das ist insofern korrekt, als daß die Spezialkommission der BV Berlin letztlich übernommen hat. Aber auch hier lohnt sich die konkrete Darstellung der Ereignisse. Richtig ist, daß der Verdächtige R. am 25. und 26. September 1982, also zwei Tage, von der Berliner MUK überprüft und vernommen worden ist. Es ist also nicht so, daß der Verdächtige bereits kurz nach seiner Zuführung durch die SK übernommen wurde, denn bereits am Tag der Zuführung informierte MUK-Leiter Wr. den SK-Leiter St. über den Sachverhalt. Die Übernahme durch die SK der BV Berlin erfolgte erst am 27. September 1982, nachdem sich R. bereits zwei Tage bei der Berliner MUK befand. Auch wurde die Übergabe des Verdächtigen an das MfS durch Oberstleutnant der K Be. mitgeteilt. Vernommen durch die MUK-Kriminalisten Lö. und Oe. machte R. in allgemeiner Form Aussagen darüber, den Schutzpolizisten durch Messerstiche getötet und dessen Dienstwaffe an sich genommen zu haben. Außerdem machte R. bei seiner Verneh­mung durch die MUK Aussagen zu Spionen, zu denen er Kontakt gehabt haben will. Bei R. handelte es sich um eine „erheblich fehlentwickelte Person mit einer manifestierten abnormen Lügensucht“, was allerdings bei der Übernahme des Verfahrens durch das MfS noch nicht bekannt war. Vor seiner Übergabe an das MfS äußerte der Tatverdächtige gegenüber dem MUK-Leiter Wr., daß er die Tat nicht begangen habe und sein Geständnis den Zweck hatte, dem MfS übergeben zu werden. Letztlich mußte der aus Görlitz stammende Tatverdächtige vom MfS entlassen werden, da die geführten Untersuchungen keinerlei Beweistatsachen für seine Täterschaft ergaben. Auch mit den kriminaltechnischen Untersuchungs­ergebnissen war der Tatbeweis nicht zu führen. Zur Wahrheit gehört auch, daß der Fall der Kriminalpolizei nicht entzogen war, wie im Film suggeriert. Er wurde in Zusammenarbeit der Linie IX des MfS und der Hauptabteilung Kriminalpolizei, Referat 3, unter OSL der K Gr. bearbeitet. Leider gilt der Fall bis heute als ungeklärt.

Nach den bisher geschilderten Inhalten des Filmes überrascht es nur noch wenig, daß man aus dem Neubrandenburger Serienmörder, im Film Martin S. genannt, einen Leutnant der NVA machte. Da mußte man schon ein wenig dicker auftragen, und der korrekte Dienstgrad von S., Unterfeldwebel, erschien der Filmemacherin wohl zu klein, denn ein Offizier der Armee des Unrechtsstaates DDR als „Serial Killer“ mußte es mindestens sein. Noch besser wäre eine General gewesen, könnte man hinzu­fügen!

Natürlich hat das MfS auch in diesem Fall zusammen mit der Kriminalpolizei auf zentraler und territorialer Ebene ermittelt. Nachdem der Täter durch die Volkspolizei bei einer weiteren versuchten Tat am 8. Juli 1984 am Kiessee bei Schildow, Ortsteil Mönchmühle im Kreis Oranienburg, festgenommen worden war, erfolgte seine Übergabe an das MfS. Dies war insofern nicht ungewöhnlich, da die HA IX/6 explizit für die Untersuchung von schweren Straftaten durch NVA-Angehörige fachlich zuständig war. Dieser Fakt wurde dem unbedarften Zuschauer selbstverständlich nicht mitgeteilt.

Zusammenfassend läßt sich über den Film sagen: Durch die geschickte Auswahl von Fakten und deren Mischung mit nicht nachvollziehbaren Behauptungen sowie dem Weglassen von Tatsachen ist es dem normalen Zuschauer faktisch nicht möglich, Wahrheit und Dichtung zu unterscheiden. Und das ist ja wohl beabsichtigt worden. So wird quasi ein wirres Bild nach dem Motto „gute rechtsstaatliche Mordunter­suchungskommission“ und „böse unrechtsstaatliche Sonderkommission“ gezeichnet. Dabei ignoriert die Filmemacherin völlig, daß bestimmte Verbrechen ohne das Wirken der hervorragend ausgebildeten Kriminalisten des MfS nicht hätten aufgeklärt werden können, wofür es genügend Beispiele gibt. Und das hatte wenig mit der moderneren Technik zu tun.

Gabi Schlag hat sich auf ein Terrain begeben, dessen Inhalt und Umfang sie nicht überblicken konnte oder wollte, dies gilt ebenso für einen Teil der interviewten Personen. Für das Zusammenleben der Menschen waren die Aufklärung der Verbre­chen sowie die Verurteilung des (wirklichen) Täters wichtig. Da interessierte es den DDR-Bürger wenig, ob der Mörder durch die Kriminalpolizei oder die Staatssicherheit überführt wurde. Letztlich zählte der Erfolg. Müssen sich die Kriminalisten der Spezialkommissionen dafür entschuldigen? Wohl kaum!

Schon die WDR-Produktion „Mord in Eberswalde“, erstmalig von der ARD am 30. Januar 2013 gesendet, hatte übrigens den Fall des Serienmörders Erwin Hagedorn ideologisch bearbeitet und ein banales Geschichtsbild vermittelt, ohne jegliche Bereitschaft, dieses in den Gesamtzusammenhang der DDR-Geschichte zu stellen. So enthalten verschiedene Pressemitteilungen die Aussage, daß der Regisseur Stephan Wagner einen Film gedreht hat „über einen Mord, der von einem Staat begangen wurde“. Gemeint war damit wohl, daß der dritte Hagedorn-Mord an Ronald Winkler am 9. Oktober 1971 hätte verhindert werden können, weil er „ohne ideologische Verbohrt­heit“ wahrscheinlich zu retten gewesen wäre. Weil das natürlich hanebüchener Unsinn ist, hat der Film berechtigterweise den Grimme-Preis 2014 in der Kategorie „Fiktion“ gewonnen. Man kann nur wünschen und hoffen, daß der abstruse Film über die Spezialkommissionen ebenfalls den Grimme-Preis in dieser Kategorie erhält.