RotFuchs 198 – Juli 2014

Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Gisela Steineckert

Sie machen Geschäfte und Politik, ohne eine Spur von der Botschaft Jesu.

Das schreit zum Himmel – aber es könnte sich etwas verändern, drei Grasspitzen Hoffnung.

Ein starrsinniger alter Mann hat sich zur Ruhe gesetzt, sein öffentlich gezeigter Segen war keiner. Die Menge auf dem weiten Platz in Rom, oder die Ärmsten, wenn er sie besuchte, nahmen seinen Segen, aber es war nur Zeremonie, niemals Lebenshilfe, war keine Erleichterung.

Die katholische Kirche ist glaubensfest und sehr erfahren darin, sich alles vom Hals zu halten, was die Dogmen in Frage stellen könnte. Mit ihrer eigenen Geschichte gehen viele ihrer Vertreter um, als sei sie nur ruhmreich. Obwohl Papst Pius so lange gezaudert hat, bis kein Geschäft mit Hitler mehr zustande kam und die Juden vor der Deportation nicht zu retten waren. Ich erinnere mich auch an den unseligen Spruch auf dem Koppelschloß, der behauptete, daß Gott ausgerechnet die eigenen kriegerischen Untaten schützt.

Der spätere Schriftsteller und Grafiker Peter Edel wollte seine junge Ehefrau Esther in den Schutz eines Klosters bringen. Er sprach mit Mönchen und Nonnen, bat, wartete verzweifelt. Obwohl es solche Beispiele von Lebensrettung gegeben hat, starb Esther in Auschwitz an medizinischen Experimenten. Ist ihr Schicksal nur eine Ausnahme?

Oder einer der Beweise dafür, daß sich die katholische Kirche in der Nazizeit vor einer klaren antifaschistischen Haltung gedrückt hat? Es blieb dem einzelnen Pfarrer, im Hirtenbrief oder in der Predigt, bei den Verurteilten in der Zelle oder durch heimliche Überbringung letzter Nachrichten für die Angehörigen überlassen, das eigene Leben zu riskieren.

Die Festung Kirche ist sehr reich und sehr sicher, die unantastbaren Dogmen sorgen für jene Ängste bei den Gläubigen, die jede Macht braucht: Angst vor Strafe, der Verdammnis, dem Übermaß der eigenen Verantwortung.

Ich sehe mich als Halbwüchsige im Innviertel, im österreichischen „Neureich“, das eben ans Altreich angeschlossen wurde, damals zur überwiegenden Begeisterung der Bevölkerung, auch bei uns im Dorf. Die Pferde wurden ausgespannt, wenn Hitler sprach. Unser Pfarrer las alte Texte, und man hätte beim besten Willen keinen widerständigen Sinn erkennen können. Vor dem Essen stellten wir uns, nach Rang, in einer Reihe auf und beteten laut. Gläubige Menschen, Katholiken, aber ich kannte alle ihre Geheimnisse. Die waren sehr irdisch. Auf dem Platz des jungen Bauern saß der Kriegsgefangene Raymond. Er war auch zu Hause Bauer, und wer das querliegende Kalb mit bloßen Händen aus der Kuh holt, dem Zuchtstier auf die Kuh hilft und die Pferde auf dem regennassen Acker antreibt und hält, der sitzt auf dem Platz des eigentlichen Hausherrn Karl, der sich gerade am Kursker Bogen militärischen Befehlen beugte, was den Gefreiten das Leben kostete. Hat er gebetet, im letzten Augenblick, hat er 1943 gewußt, daß der großdeutsche Endsieg nicht stattfinden würde?

In Rom wurde nun als Papst ein gütiger Mann gewählt. Franziskus nennt sich nach seinem berühmten Vorbild, und führt das einfache Leben fort, für das er in seiner südamerikanischen Heimat zum Vorbild wurde. Er wohnt nicht in den Prunkgemächern seiner Vorgänger, scheint noch ganz bei Trost zu sein, fährt bisher nicht mit dem gepanzerten Papamobil, sondern mit seinem gewohnten Auto und redet mit Staatenlenkern auch mahnend, mit der Menge ziemlich normal.

Das hat ein anderer vor ihm scheinbar auch getan, nur unterstützte er damit eine Konterrevolution in Polen, die den Arbeitern alles versprach und nichts hielt. Seine eigene Aufgabe als Oberhirte hat er niemals kritisch befragt, mit ihm gab es kein Überdenken jahrhundertealter strenger und lebensfremder Vorschriften.

Franziskus scheint ein Mensch zu sein, mit dem die Kirche zu ihrer eigentlichen Aufgabe reifen könnte: dem Menschen ein Helfer zu sein.

Ich war Katholikin. Das hat man mir gesagt. Da es niemand besser wußte, ging ich zur Kommunion, wurde gefirmt und heiratete siebzehnjährig gesegnet. Der Pfarrer war aber kein Katholik, sondern Protestant, und seine Kirche, von Schinkel entworfen, war protestantisch, was keinem meiner Verwandten je auffiel. Sie hatten als Katholiken alle ihre Taufen, Hochzeiten und Trauerfeiern in der protestantischen Kirche begangen.

Ich will glauben, daß Papst Franziskus zunehmend kritisch die katholischen Dogmen am normalen Leben mißt, und die Diskrepanz zwischen geforderter und dem Menschen möglicher Moral wenigstens verringert. Nur die katholische Kirche hält Wiederverheiratete in der ersten Ehe fest. Papst Franziskus könnte uns auch aus der Empörung über das Verbot von Verhütung und Schutz vor Ansteckungen mit tödlichen Krankheiten erlösen.

Männer und Frauen begehren das andere Geschlecht, oder das eigene, aber das ist nicht krank, sondern Natur, das bunte Leben. Unmoralisch kann ein Mensch jeglichen Geschlechtes sein, dazu braucht es keine Spielart.

Wir haben lange genug mit den Folgen falscher Vorschriften und sogar verbrecherischen Besitzschutzes gelebt. Vertreter aller Religionen haben auch vor mörderischer Macht versagt, sie geduldet und eigene Ziele in ihr untergebracht. Immer war es der einzelne Mensch, der uns belehrte über das, was Kirche sein und was sie leisten kann.

Wir hatten einen alten Katecheten, der uns langweiligen Religionsunterricht gab. Uns war kein Streich zu blöd. Und er war ein Heiliger, hat uns nie bestraft. Aber er sparte von seiner Lebensmittelkarte, was er brauchte, um den Konfirmanden kleine Kuchen als Geschenk zu backen. Andere schenkten Zettel mit Sprüchen.

Er, dessen Namen ich vergessen habe, während mir seine dünne lange Gestalt und sein hageres Vogelgesicht eingebrannt sind, hat keine Butter und keinen Zucker gegessen. Er kam bei jedem Wetter sonntags in unsere Schloßkapelle, ohne Frühstück, acht Kilometer Weg, und eines Tages brach er nach den ersten Worten auf der Kanzel zusammen. Hunger, Kälte, Entbehrung. Es hieß, daß er sein Häuschen nie geheizt hat. Als er starb, durchforschte mein Blick gerade die Skelette zweier Märtyrer, die mit bunten, manchmal glitzernden Steinen besetzt waren. Darunter sollten noch immer echte Edelsteine sein. Die wollte ich mir später einmal holen.

Ich war bei seiner Beerdigung. Und wenn ich einen Grund brauche, beschämt zu sein, tritt er durch meine Tür. Er sieht mich nicht an. Er hat mich nie angesehen. Auch wir haben uns verfehlt.

Ich habe tiefe Ehrfurcht vor Janusz Korczak. Er hat die ihm anvertrauten Waisenkinder bis in die Gaskammer begleitet. Das war Selbstmord. Und Selbstmord ist für die katholische Kirche eine Todsünde. Korczak hat sie auf sich genommen. Moral läßt sich eben im Leben nicht nur über Gebote regeln, über lebensfremde Verbote schon gar nicht.

Auch über Korczak und Pastor Kolbe sollten wir den Nachgeborenen besser vermitteln, was wir aufrechten und unvergeßlichen Christen zu danken haben.

Ich bin gegen die Ohrenbeichte und die damit verbundene Schweigepflicht für den Pfarrer. Auch Kindermörder können durch Gebete von ihrer Schuld entbunden werden, ohne daß ihnen damit geholfen wäre.

Die Kirche braucht einen Prüfstand für ihre ganze Geschichte, ihre Verdienste und ihre Verbrechen.

Ja, ich hoffe. Sie haben schließlich auch aufgehört, unschuldige Weiber zu verbrennen.

Die katholische Kirche darf ihre Gläubigen nicht länger in Nöte bringen, die sie nur durch Sünden lindern können. Wenn sie nicht vereinsamen will, wird es dafür höchste Zeit.