RotFuchs 197 – Juni 2014

Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Gisela Steineckert

Wann habe ich sie in mein Herz geschlossen? Vermutlich, als ich sie gesehen und ihre Stimme gehört habe. Sie hat ein eher altmodisches Gesicht, in der Kunst manchmal unter „Lesendes Mädchen“ abgebildet, mit Klavier in der Nähe, oder von Jane Austen geschildert.

Mir fiel auf, daß sie, auch in bedrängender Situation, ihre klare Meinung ohne unnötige Lautstärke vertritt. So sanft sie redet, ihre Haltung bleibt deutlich. Das leichte Zögern in der Stimme meint wohl, daß eigenen Erkenntnissen andere hinzugefügt werden könnten. Nie aber auf Kosten erworbener, gesicherter Erfahrungen.

Das Leben ist ihr eigentlich wohlgeraten. Unser Anfang lag in einer Zeit besonderer Förderung weiblicher Talente. Es entwertet diese Tatsache nicht, daß solche Gunst durch die Vielzahl von Abgängen bereits geförderter Talente zur Blüte kam. Wir wurden gebraucht und hatten die Chance, uns zu beweisen. Das hieß nicht, daß uns etwas geschenkt wurde.

Der Reihe nach, Freundin: Du bist vierjährig von Liegnitz nach Thüringen gelangt, dann nach Kleinmachnow, dort geblieben, hast früh geheiratet, zwei Söhne geboren, in Babelsberg an der Hochschule für Film und Fernsehen Dramaturgie studiert, und schließlich noch ein Jahr Literaturinstitut in Leipzig drangehängt. Ehre für Ehemann Christian, er hat das gefördert. Wohl wissend, daß daraus Selbstfindung folgert, und so war es dann auch.

Wir waren beide in unserer Zunft organisiert, Christa im Bezirksverband der Schriftsteller in Potsdam, ich in Berlin. Aber man traf sich ja, in Vorständen oder zu Beratungen, auch in Frankfurt an der Oder bei den Chansontagen, aus denen das Chansonstudio Potsdam immer mit Preisen hervorging. Christas nun fast lebenslanger Christian hat auch dieses Studio gegründet und es erhalten, bis heute. Über die Krise hinweg, in der ein verdienstvoller Künstler auf einmal weniger galt als eine Aktie. In Kleinmachnow beheimatet zu sein und sich ein Haus nach den beruflichen Nötigkeiten eingerichtet zu haben, das mußte die Treuhand wecken und auf die Spur setzen. Die Alteigentümer, die eine Bruchbude hinterlassen hatten und drüben entschädigt worden waren, wurden ermutigt, den neu ermittelten Wert zu fordern. Sie ließen sich nicht zweimal bitten. Das unrühmliche Gesetz stand auf ihrer Seite.

Christian gebührt der Dank für die Entdeckung und Förderung vieler reifer und ganz junger Talente, außerdem ist er ein erfolgreicher Komponist.

Christa hat immer auch Lieder und Gedichte geschrieben, aber unsere Kinder haben sie geliebt für ihre wunderbaren Filme, die sie mit den Regisseuren Rolf Losansky oder Hermann Zschoche geschaffen hat. Ob es um „Sieben Sommersprossen“ ging, um den Trompetenanton, oder ob ein Schneemann nach Afrika sollte, ob die Gritta vom Rattenschloß erzählt wurde, eine Grüne Hochzeit anstand – es gelang Christa Kožik wunderbare Literatur für Kinder, und sie bezaubert auch Erwachsene. Der Nationalpreis war verdient.

Es lag nahe, daß die Kindertheater nach den Stücken griffen. Christa sagt: „Kinder sind glücklich. Sie sehen die Welt noch mit drei Augen. Das dritte Auge gibt ihnen den bunten Blick.“ Den hat sie sich offenbar erhalten.

Ein Autor meinte, Christa Kožik fühle sich von der Fröhlichkeit, aber auch von der Zerrissenheit des Menschen angezogen. Vielleicht war dies der Anlaß, sich mit dem Leben Hölderlins zu beschäftigen und den Film „Die Hälfte des Lebens“ zu schreiben. Seit 2010 verleiht Baden-Württemberg den Hölderlin-Ring. Ihn bekamen der Regisseur Hermann Zschoche und die Autorin Christa Kožik.

Zur Uraufführung gelangte dieser DEFA-Film, mit Ulrich Mühe und Jenny Gröllmann, 1985 in der DDR. Ein Publikumserfolg; ob es auch gerunzelte Stirnen gegeben hat, weiß ich nicht. Es war auch nicht die Zeit, dergleichen auszutragen.

Das Leben schien eigentlich rund, arbeitsreich, solide. Die Familie war umgeben von Freunden und Kollegen, ein jeder trug zur Arbeit bei, feierte Ergebnisse, beklagte, wenn etwas nicht gedieh, oder nur zur Zeit eben nicht – Aufhaltungen, die wir alle kannten.

Die alltäglichen Anforderungen durchdrangen sich, das war Leben genug. Dieser kleine Clan braucht nicht auf die Probe für seine Kraft und seine Haltung gestellt zu werden.

Aber wer kann sich das aussuchen? Das über Jahrzehnte zum brauchbaren Lebens- und Arbeitsplatz gewordene Haus hatte plötzlich Leute mit großen Augen am Zaun. Sie waren gar nicht einverstanden mit dem, was aus ihrer Buchte geworden war. Es war nicht ihr Geschmack, sagten sie.

Die damals Abgehauenen ließen sich mit Billigung der Behörden das Haus noch einmal bezahlen, zum nun aktuellen Wert.

Christian konnte vielleicht noch mehr vollbringen, noch mehr Verantwortung übernehmen, aber die Vorgänge kamen in eine Zeit, in der für die Schaffung von Liedern kein Fonds mehr existierte, und wenn es nicht sofort einen Verwerter gab, dann war nur auf spätere Tantiemen zu hoffen. Gegen die Forderungen der Altbesitzer, erinnert euch, gab es damals gegenüber der Treuhand keinen wirksamen Einspruch. Deswegen: Zwanzig Jahre lang reiste die Schriftstellerin, immer mit dem Zug und vollem Bücherkoffer, zwischen Frankfurt an der Oder und der gleichnamigen Stadt am Main, sogar bis in die Schweiz, zu Lesungen. Da gab es für sie als Alleinreisende auch sehr unangenehme Situationen – sie staunt, daß ich die noch so genau weiß.

Sie sagt, wir seien Schwestern im Geiste. Ich mag ihre Lieder. Ihre Kinderfilme liebe ich, und ich schleiche mich demnächst mal wieder ins Theater, um mir die Wundersalbe Kinderlachen in die Seele zu holen. Es wirkt, ich glaube an Wunder und an Tatsächliches.

Wirklich ist, daß wir beide noch immer die gleiche Weltanschauung haben. Brauche ich dafür Beweise? Ja, ich habe mich einmal an ihr festgehalten, weil ich für den Aufruhr meiner Gefühle und Erinnerungen ihre Gelassenheit in Anspruch nahm. Das war an jenem Tag im April 1990, an dem die Schriftsteller der DDR ihre Interessenvertretung in den Sack hauten und sich vom Acker machten. Da saß sie neben mir, und ihre weibliche, menschliche und politische Würde gab mir die Kraft, mich nicht zu Wort zu melden.

Anläßlich des Internationalen Frauentages hat sie im März 2014 in Potsdam eine offizielle Rede gehalten, vor vielen einflußreichen Leuten. Sie nannte das: Gemeinsam – Lebendig – Widerständig.

Kluge, richtige Worte, aber ich will Christa auf einem Spaziergang begleiten und sie an ihr Gedicht erinnern, es heißt „Winterlandschaft 1990“:

Kleines Land, weithin verschneit.
Die Stille gefriert unterm Mond.
Schnee deckt ein Leichentuch,
schön anzuschaun.
Stöhnen die Bäume?
Bebt die Erde?
Ich geh durch die Nacht, höre
die gierigen Krähen und sehe
den Abdruck des Engels
im Schnee.
Wer starb hier?
Ich nicht …
doch mein Land.

Wir sind sehr erwachsen geworden. Außer, wenn wir über unsere vollkommenen Enkel sprechen.

Grüß deine schöne Familie. Bis gleich.